Predigt zum Ewigkeitssonntag - 21.11.2004 Liebe Gemeinde! Wir haben den Tod erfahren. Nicht den fernen, von dem wir in der Zeitung lesen. Wir mussten Ab- schied von Menschen nehmen, die uns nahe standen und lieb waren. Und heute noch treibt uns der Gedanke an diese Menschen die Tränen in die Augen! Der Schmerz ist immer doch da! Die Wun- den sind frisch - ob sie sich jemals schließen? - Ich habe einmal in einem Lied gelesen: "So groß das Leid - der Trost ist größer!" Ob das stimmt? Ob etwa die Worte der Heiligen Schrift ankommen gegen unsere Trauer und unsere Angst? Wir wollen sehen. Wir wollen es ausprobieren. Für diesen Sonntag, an dem überall in unseren Kirchen der Verstorbenen gedacht wird, sind Trost- worte aus dem Buch der Offenbarung vorgeschlagen. (Mir persönlich waren das immer sehr wich- tige Worte; sie begleiten seit langem viele meiner Tage, besonders die schweren Stunden.) Textlesung: Offb. 21, 1 - 7 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist ver- gangen. Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendi- gen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein. Zwei Verse dieses Prophetenworts bewegen mich immer ganz besonders: "Gott wird abwischen al- le Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein." Und der andere: "Wer überwindet, der wird alles ererben." Zwischen diesen beiden Sätzen kann ich meine Hoffnung festmachen. Das Haus meiner Zuversicht hat diese beiden Ecksteine: Gott wird alle Tränen abwischen. Wer über- windet, wird Gottes ewige Zukunft gewinnen. Es liegt viel in diesem Wort: Gott wird alle Tränen abwischen ... Gott sieht offenbar unsere Tränen! Er hat gesehen, wie wir um unsere Mutter geweint haben. Er war neben uns, als uns der Schmerz um den Vater so beschwert hat. Ja, er hat sich mit uns gegrämt, als sich unsere Tage um unser Un- glück gedreht haben wie eine Mühle. Keinen Seufzer haben wir getan, den er nicht gehört hätte. Kein Gedanke an unsere Verstorbenen, den er nicht gekannt hat. Keine Erinnerung, um die er nicht weiß. Wie gut und wie wahrhaftig unsere Beziehung wirklich gewesen ist - es liegt alles offen vor ihm. Nichts ist Gott verborgen. An allem nimmt er teil. Immer ist er in unserer Nähe. - Und doch erspart er uns nichts! Selbst den Tod müssen wir mit unseren Lieben leiden, und einmal werden wir ihn selbst schmecken. "Gott wird abwischen alle Tränen ..." Er wird! Warum erspart Gott uns nicht das Sterben? Warum jagt er den Tod nicht endgültig aus dieser Welt, den Tod, den sein Sohn doch schon besiegt hat? Es gibt viele Versuche, das zu erklären. Ich kann heute keinen weiteren hinzufügen, schon gar kei- nen neuen. Aber zwei Gedanken leuchten mir dazu besonders gut ein: Einmal ist der Tod das letzte Geheimnis, das sich hartnäckig der menschlichen Erkenntnis entzieht. Wie eine uneinnehmbare Burg trotzt es jedem Angriff. Und nichts hat der hochmütige Mensch ja ausgelassen, sie zu bezwin- gen. Denken wir doch nur, wir hätten auch den Tod noch in unseren Händen! Nicht nur die Schöp- fung wäre in unserer Gewalt, nicht nur die Kraft der Atome, der Blitz, die Gezeiten, das Meer und jetzt sogar die Gene ..., auch der Tod läge in unserer Hand! Maßlosigkeit und Überhebung wären die Folge. Der Hochmut der Menschen hätte keine Grenzen mehr. Der "Turm von Babel" reichte bis an den Himmel. Aber Gott hat sich den Tod in seiner Macht vorbehalten. Gott sei Dank! Und der andere Gedanke ist: Es gefällt Gott so. Einfach das: Es gefällt ihm so! Warum können wir das nicht stehen lassen? Wollen wir unserem Schöpfer Vorschriften machen? Warum ist uns denn nicht genug, dass der Tod schon besiegt ist? Warum reicht uns nicht Christi Sterben und seine Auferstehung für uns? Warum wollen wir die Frucht seines Kreuzes nun auch noch gleich und so- fort haben? Es gefällt Gott, uns hier eine Zeit zuzumessen, die wir leben sollen, die wir füllen sol- len mit Liebe und Güte zu unseren Mitmenschen - und mit Glauben an ihn! Es gefällt ihm so, Men- schen als sein Gegenüber zu haben, die ihn frei als ihren Herrn und Gott annehmen - ja, oder ihn verachten. Es gefällt ihm, alle zu sich zu rufen und dann denen, die kommen, das Leben zu schen- ken. Ein Leben, das keinen Tod mehr kennt. Und da sind wir bei dem zweiten Wort: Wer überwindet, der wird alles ererben! Es gibt also etwas zu "überwinden"; das Leben ist kein Zuckerlecken und es soll keines sein! Irgendwie meinen wir doch immer - und immer mehr - das Leben müsste schön sein, müsste Freude machen und nur Glück schenken. Gewiss: Wir erleben auch schwere Tage. Wir haben unsere Sorgen, tragen unsere Kreuze. Jede und jeder von uns. Aber, wenn wir einmal ganz ehrlich sind: Erscheint uns das Schwere nicht oft wie die Störung der Ordnung, wie ein Fehler im Lebensplan, wie eine höchst ü- berflüssige Abweichung vom Normalen? Das Gute und Schöne ist doch die Regel! Das hat zu ü- berwiegen. Ja, mehr noch: Nur ein Leben, über dem beständiger Sonnenschein liegt, erscheint uns lebenswert! Woran das hängt? Viele Einflüsse dieser Zeit wirken daran mit: die Werbung, die immer nur ge- sunde, fröhliche Menschen vorführt, die Medien, die um Armut und Hässlichkeit meist einen Bo- gen machen, die Politik, die sich in Optimismus und Schönfärberei gefällt ... Und wir sind schon arg beeinflusst davon. Deshalb werden wir dann mit dem Schweren, mit der Krankheit und dem Tod nicht fertig, ohne dass es unseren Glauben an Gottes Güte erschüttert. Wenn nun aber erst das Schwere so ein Leben rund und voll machte? Wenn nun erst der Tod die Freude eines Menschenlebens ganz zum Klingen bringt? - Was waren denn das für Erfahrungen am Sterbebett unseres Angehörigen? Ja, wir meinten, den Anblick nicht mehr ertragen zu können. Ja, wir waren vor Schmerz fast von Sinnen und haben nächtelang nicht geschlafen. Aber das war doch nicht alles! Da gab es doch auch dieses andere Gefühl ganz tief drinnen in unserem Herzen - wir hätten es kaum beschreiben können. Dieses Wissen: Hier geschieht Wesentliches. Hier fallen Bar- rieren zwischen uns und dem sterbenden Menschen, die vielleicht jahrzehntelang bestanden haben. Hier sind wir einander so nah gekommen wie nie! Und hier ist ja auch Gott ganz in der Nähe gewe- sen; meinten wir nicht manchmal, nur die Hand ausstrecken zu müssen? Wollen wir uns dieses Erleben wirklich verkleinern lassen? Haben wir hier nicht eine Tiefe des Le- bens ausgelotet, die uns zuvor verborgen war, ja, an die wir niemals gedacht hätten? Und wie war denn das in den Tagen nach dem Tod des lieben Menschen, um den wir trauern? Ge- wiss, es hat uns nichts mehr geschmeckt. Gewiss haben wir uns gewünscht, es möchte nicht ge- schehen sein ... Aber haben wir vom Ende des erloschenen Lebens her nicht auch erst völlig er- kannt, was es bedeutet hat? Haben wir hier nicht erst den Wert der Tage ermessen, die unserem Verstorbenen auch für uns gegeben waren? Wie wichtig wurde doch nach ihrem Tod jedes ihrer Worte! Wie haben wir uns doch bemüht, uns so ganz zu erinnern, wie und was er vor Jahren zu uns gesagt hat. Jede Tat - aufbewahrt in unserem Gedächtnis. Jede Geste - bedeutsam. Jeder Blick - als wäre es gestern gewesen. Wollen wir uns diese Erfahrungen verwässern lassen durch die Behaup- tung: So ein Leben müsse nur gut sein und der Tod passe eigentlich nicht so recht in die Welt Got- tes??? "Wer überwindet, wird alles ererben!" Es gibt etwas zu überwinden! Das Leben hat diese dunkle Seite. Sie ist kein göttliches Versehen in einer nur hell gedachten Welt. Sie gehört zum Leben wie zum Frieden die Möglichkeit des Krieges gehört und zu Gott wohlgefälligen Werken die Sünde ge- hört. Könnten wir denn die hohen und schönen Töne unserer Lebensmelodie hören, wenn es nicht auch die dumpfen und tiefen gäbe? Alles zusammen macht erst den Akkord. Vor dem Hintergrund des Leids und des Todes begreifen wir erst, was das heißt: Leben dürfen, lieben dürfen, Freude ha- ben, fröhlich sein, Glück empfinden ... Aber die dunklen Töne werden einmal ausklingen: "Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen!" Halten wir uns bis dahin an der Hoffnung fest! Lassen wir uns trösten von der Zusicherung: Es wird ein Ende haben mit dem Tod. Dafür ist Jesus Christus gestorben und auferstanden. Das ist gewiss - für unsere Verstorbenen und einmal für uns: Wer überwindet, wird alles ererben. Das Leben, das uns blüht, wird ewig sein. AMEN