Predigt am 13. Sonntag n. Trinitatis - 05.09.2004 Textlesung: 1. Jh. 4, 7 - 12 Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und ge- sandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen. Liebe Gemeinde! Hier wird über Dinge des Herzens gesprochen - aber für den Kopf! So ein bisschen kommt einem das vor, als erklärte ein Verliebter dem Menschen, den er liebt, wie diese Liebe chemisch und biologisch bei ihm ausgelöst wird. Aber kann man mit dem Verstand und erklärenden Worten deut- lich machen, warum einem die Liebe ergreift? Und kann ich wirklich mit dem Mund erläutern, wa- rum mein Herz für Gott oder einen Menschen entbrannt ist? Ist es nicht die Liebe selbst, die an und mit uns handelt, die Liebe, die viel höher und größer ist, als unser Kopf es fassen kann? Ganz gewiss! “So ist es”, würden wir sagen. Warum aber spricht uns Johannes hier so an, als kön- nten wir selbst mit unserem Willen und Verstand zur Liebe finden? Schon der erste Satz tut doch so, als müssten wir uns zu lieben nur vornehmen, und schon könnten wir es: “Lasst uns einander lieb haben!”. Und all die anderen Sätze für den Kopf sind nicht anders: “Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht!” - “...so sollen wir uns auch untereinander lieben!” - “Wenn wir uns untereinander lie- ben, so bleibt Gott in uns...” - Noch einmal: Können wir die Liebe in uns schaffen? Kommt es auf unseren Willen an? Ist es nicht vielmehr allein Gottes Werk in uns, wenn wir lieben können? Nicht leicht zu beantworten, diese Fragen! Viele kluge Leute haben sich schon dazu geäußert. Die einen sagen: Wir müssen auch selbst lieben wollen, sonst bleibt die Liebe einseitig. Andere meinen: Gott allein bereitet unser Herz, dass wir lieben können - wir sind dabei überhaupt nicht beteiligt. Wieder andere versuchen einen Kompromiss: Gott weckt die Liebe in uns, dann aber müssen wir selbst die Liebe tun und am Leben halten. - Aber wie ist es denn nun? Alle diese Meinungen kön- nen doch nicht richtig sein. Und außerdem sind uns ja heute auch Bibelworte vorgelegt, die eine bestimmte Ansicht vertreten. Liegt in diesen Worten vielleicht eine Antwort auf die Frage, wie und durch wessen Macht die Liebe in unser Herz einzieht? - Gehen wir doch einmal diesen Satz ein - haben wir ihn begriffen, dann haben wir die ganze Botschaft des Johannes verstanden: “Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott.” Diese beiden Gedanken scheinen ein Widerspruch zu sein: “Lasst uns einander lieben” und: “...denn die Liebe ist von Gott”. Wenn die Liebe allein von Gott ist, dann wird es nichts nützen, zur Liebe zu ermuntern. Und umgekehrt: Wenn wir lieben wollen, aber Gott uns die Liebe nicht ins Herz senkt, dann können wir nichts tun. - Was führt uns hier weiter? Nun, vielleicht sind diese Gedanken ja wirklich alle viel zu sehr für den Kopf! Hören wir doch einmal auf unser Herz, da sieht manches anders aus: Wie ist das, wenn Gottes Liebe uns ergreift und bewegt? Dann können wir uns gar nicht mehr verschließen, dann müssen wir lieben, dann wer- den wir antworten auf Gottes unermessliche Zuneigung, dann werden wir dankbar und froh sein, dass der große Gott uns kleine Menschen liebt. Dann werden wir auch, was wir an Liebe von Gott erfahren, an unsere Mitmenschen weitergeben und werden dabei erleben, dass der Strom der Liebe Gottes nicht versiegt, dass er durch uns hindurchgeht zu unseren Nächsten, unseren Schwestern und Brüdern, die Gott mit uns verbunden hat in Jesus Christus. Aber bevor wir uns jetzt in theoretischen Sätzen verlieren, zurück in die christliche Praxis: Wirkt die Liebe Gottes also doch völlig selbsttätig, ohne unser Zutun, ohne unser Wehren oder Wollen? - Ja und nein. Ja, wenn wir erst drin sind im Kreis der Liebe Gottes, die unsere Liebe hervorbringt und durch uns zu den Mitmenschen kommt und dort als Liebe Gottes empfangen wird um durch diese Menschen wieder andere zu erreichen... Nein aber, bevor Gott uns mit seiner Liebe beschenkt. Nein, wenn wir noch draußen sind, noch nicht hineingenommen in den wunderbaren Lauf aus Liebe zu Liebe. - Aber wie kann das sein? Ich glaube das hat mit unserer Freiheit zu tun, die Gott uns lässt. Das kommt von daher, dass wir die Liebe Gottes auch ablehnen können, uns ihr verschließen oder vor ihr weglaufen können. Und dafür gibt es viele biblische Beispiele: Was tut der Verlorene Sohn (Lk. 15,11-32) anderes, als sich der Liebe des Vaters zu entziehen? Und der Reiche Jüngling (Mt. 19,16-26), wenn er sich nicht von seinen Gütern trennen kann, ver- weigert er sich dann nicht der Liebe Gottes, die ihn verwandeln will? Oder die Bösen Weingärtner (Mt. 21,33-46), treiben sie ihre Ablehnung der Liebe Gottes nicht auf die Spitze, wenn sie dem Herrn des Weinbergs die Früchte verweigern, die ihm doch zustehen, ja, wenn sie schließlich seinen Sohn töten? Es stimmt also ganz offenbar beides: Gott selbst wirkt seine Liebe in uns. Sie ist sein freies Geschenk, das wir nicht erwerben oder durch unseren Willen in uns schaffen können. Das andere aber ist auch richtig: Wir können die Tür unseres Herzens zusperren. Dann kommt Gott nicht hi- nein, dann wird keine Liebe in uns entstehen und wachsen. Darum können wir jetzt diesen Satz ein wenig anders lesen und verstehen: Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Ja, die Liebe ist von Gott! Nur er kann sie in unser Herz pflanzen. Wir selbst können das niemals tun! Aber verschließt euch nicht dieser Liebe! Öffnet euer Herz! “Lasst uns einander liebhaben!” Wir können es, wenn wir nur wollen! Denn warum soll Gott uns seine Liebe vorenthalten, mit der er doch auch andere Menschen erreichen und uns und sie für sich gewinnen will? Wer schließlich den Weg zur Liebe gefunden hat, wer sich geöffnet hat und mit der Liebe beschenkt wurde, der ist “aus Gott geboren und hat Gott und sein Wesen kennen gelernt.” Liebe Gemeinde, was zunächst so schwierig ist und so widersprüchlich aussieht, was in der Theorie und der Theologie unvereinbar scheint, das löst sich leicht in der Praxis des Lebens und de Liebe. Und eigentlich ist nichts neu daran oder überraschend: Gewiss können wir uns die Liebe Gottes nicht erwerben oder verdienen! Die hat Jesus Christus am Kreuz verdient. Und genau so können wir auch schon die Liebe eines Menschen, eines Mannes oder einer Frau, nicht durch alles Geld der Welt, durch Güter oder Macht in unseren Besitz bringen. Umgekehrt haben wir aber alle auch schon erlebt, dass Gottes Liebe abgelehnt wird (vielleicht ha- ben wir das ja selbst schon einmal getan?) oder dass die Liebe eines Menschen ins Leere läuft, weil der geliebte andere Mensch die Zuneigung nicht schätzen kann und die Liebe nicht haben will. Nun werden wir uns sicher fragen, warum Johannes dann von diesen selbstverständlichen Erfah- rungen um die Liebe so eindringlich spricht und mit dem unüberhörbaren Wunsch, uns zur Liebe Gottes zu führen, die doch Geschenk ist und von uns - auch wenn wir es wollten - Gott nicht ab- gezwungen werden kann. Aber wieder praktisch, warum sagt Johannes solche Worte: Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden. Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. Ich glaube, hier soll die Sehnsucht nach der Liebe Gottes wach gehalten oder neu entfacht werden! Es ist ja gut möglich, ich glaube sogar, es ist häufig, dass ein Mensch die Liebe Gottes hingehalten bekommt, dass er sie annimmt, sich ihr öffnet - aber er lehnt ab, hat irgendwann abgelehnt und seit- dem die Chance verpasst, Gottes Liebe neu in sein Herz einzulassen. Solchen Menschen möchte Johannes sagen: Gott ist Liebe! Und wenn du bis heute die Wärme seiner Liebe in dir noch nicht gespürt hast, dann tu jetzt dein Herz auf und vertraue: Gott liebt dich und versöhnt dich mit sich selbst durch seinen Sohn Jesus Christus. Und bist du erst in seiner Liebe, dann kannst du auch deine Mitmenschen lieben und mit ihnen teilen, was Gott dir schenkt. Wer weiß, vielleicht ist das ja doch für den einen oder die andere von uns - bei aller Widersprüch- lichkeit und aller Schwierigkeit, sie zu verstehen - eine frohe Botschaft, die unser Leben neu ma- chen und durch die Liebe Gottes verwandeln kann? Und vielleicht hat Johannes ja uns alle als christliche Gemeinde angesprochen, wenn er am Ende sagt: Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen. Ich wünsche uns, dass wir uns der Liebe Gottes öffnen können und Gott uns persönlich durch seine Liebe zu neuen Menschen macht und uns alle zu einer Gemeinde, in der seine Liebe wohnt. AMEN