Predigt am 11. Sonntag n. Trinitatis - 22.08.2004 Textlesung: Eph. 2, 4 - 10 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr se- lig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, da- mit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch sei- ne Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. Liebe Gemeinde! Was führt zum Heil - Glaube oder gute Werke? Sie haben von mir sicher nicht erwartet, dass ich nun den Zeigefinger erhebe und sage: So oder so ist das, basta! Das ist nicht meine Sache. Und da- zu ist das Problem auch zu schwierig, das löst keiner im Nu. Aber vielleicht können wir uns ge- meinsam auf die Suche machen, die Frage, "Glaube oder Werke", gemeinsam bedenken. Vielleicht nehmen wir dann den einen oder anderen Denkanstoß mit nach Hause, um ihn in unserem Alltag auszuprobieren? Was haben wir denn zur Lösung des Problems heute Morgen schon mitgebracht? - Den Glauben an einen Herrn im Himmel, der über uns Macht hat? Sicher! Denn warum sollte einer sonst zum Got- tesdienst gehen? Haben wir auch Werke vorzuweisen? - Gewiss! Denn so ganz ohne Folgen wird der Glaube an einen guten Gott wohl nie bleiben. Nur: Was ist wichtiger? In welcher Richtung müssen wir möglicherweise an uns arbeiten? Was nehmen wir also von heute Morgen an guten Vorsätzen mit? Ich kenne einen Mann, der steht mit beiden Beinen fest im Leben, wie man sagt. "Tue recht und scheue niemand", das ist kurz gefasst seine Lebensregel. Einen Gott braucht sein Denken nicht. "Ich helfe anderen, wo ich kann und mache nichts Böses", so sagt er. "Ich habe mir noch nie etwas zu- schulden kommen lassen", so freut er sich. "Ich bin damit immer gut hingekommen, auch ohne den Himmel", so erzählt er. Ich denke bei mir: Was wird sein, wenn dir einmal alles schief läuft? Ich wünsche es dir ja nicht, aber nimm an, du wirst schwer krank ... dein Lebensgefährte hat einen Un- fall ... Wie wirst du da hindurchkommen - ohne Glauben? Oder du verlierst deine Arbeit und fin- dest keine andere mehr, soviel du dich auch bemühst ... Was schützt dich dann vor der Verzweif- lung, wenn nicht der Gott, bei dem nicht zählt, was du kannst, leistest oder hast? Aber ich kenne auch eine Frau, fromm und tief gläubig - wie man sagt. Ihr Lebensinhalt heißt: Gott dem Herrn die Ehre geben. Sie liest viel in der Bibel. Das Gesangbuch kann sie auswendig. Jeden Sonntag geht sie zur Kirche. All ihre Gedanken kreisen um "himmlische" Dinge und Gottes Wort. Nur: Taten fehlen. Oft schon dachte ich bei mir: Ob nicht so ein Mensch mehr erreichen könnte, als den anerkennenden Blick, aber manchmal auch das mitleidige Lächeln seiner Umgebung? Ob nicht von solch einem Glauben eine Kraft für andere ausgehen müsste, stark genug, Berge zu versetzen, oder doch wenigstens Hügel der Angst, der Not und der Sinnlosigkeit? Zwei sehr extreme Figuren, die beiden, von denen ich sprach. So etwas gibt's doch gar nicht im wirklichen Leben, meinen sie? - Ich will uns ein Bild aus der Wirklichkeit malen, das wird uns vielleicht mehr ansprechen: Ein Baum auf fruchtbaren Land, kräftiger Stamm, gesunder Wuchs, breit ausladende Krone, voll im Laub ... Man ahnt, was unter der Erde ist: eine gute, weit verzweigte, tief gegründete Wurzel! Ich möchte diesen Baum mit uns Christen vergleichen: Die Wurzel - das ist der Glaube, die Krone - das sind die Werke. Da steht also nun ein Baum mit Blüten und Blättern und später im Jahr auch mit Frucht, nur: Er hat keine Wurzel, die ihn stützt und hält und ausreichend versorgt. Ein Windstoß kommt oder eine Zeit der Dürre und Trockenheit ... Der Baum stürzt um und verkommt und mit ihm welken die Blätter, vertrocknen die Früchte. - Die Wurzel - das ist der Glaube. Da steht ein anderer Baum: Die mächtige Wurzel verankert den Stamm fest im Boden, gewaltig greift sie aus in alle Richtungen, an manchen Stellen ragt sie hervor aus dem Dunkel der Erde, nur: Die Krone ist verdorrt, bloß ein paar Blättchen spielen im Wind. Abgestorbene Äste, geborstene Rinde überall, hier blüht nichts. Der Saft reicht nicht aus der Tiefe bis hier herauf. Allein die Wur- zel ist noch lebendig. Dieser Baum reift keine Frucht. Oben am Licht ist er tot. - Die Krone - das sind die Werke. Ich kann mir einen dritten Baum vorstellen: Die Krone wie der erste, die Wurzel wie beim zweiten. Und er treibt seine Blätter zu seiner Zeit, er blüht und trägt Frucht zu seiner Zeit und er ruht zu sei- ner Zeit. Wenn die Dürre kommt, so greift ihn das nicht an - seine Wurzeln reichen bis hinab zu unerschöpflichen Wassern. Wenn der Sturm kommt, so lässt er Blätter, aber nichts wirft ihn um, denn er steht fest im Boden. Immer wieder grünt und blüht er, immer wieder Frucht, der Umgebung zur Freude, zum Nutzen und zum Segen. - Christen können solch ein Baum sein. Was sagt uns das Bild für die Frage: Glaube oder Werke? - Einmal das: Nicht "Glaube oder ..." es muss heißen: "... und Werke!" Denn Glaube ohne Werke ist tot und Werke ohne Glauben haben keine Wurzel, die sie tragen und speisen. Das Bild vom Baum verdeutlicht aber noch etwas anderes: Nicht jede Zeit im Leben eines Baumes ist ja gleich. Da gibt es die Zeit des Austriebs, der Blüte, der Frucht und der Ruhe - das sind die Zeiten der Krone oder der Wurzel. Deckt sich das nicht mit unserer Erfahrung?: Es geht mir gut, ich genieße so viel Freude und Glück, ich lebe gern, freue mich über jeden neuen Tag, weil er mir so viel Schönes bringt ... Das ist erfüllte Zeit eines Lebens. Aber wäre das nicht auch die Zeit der Früchte? Müsste mein Lebensbaum - jetzt, wo's mir gut geht - nicht Frucht um Frucht hervorbrin- gen? Die Wurzel - mein Glaube - reicht doch tief hinunter; ich könnte doch Früchte treiben, gute Werke - wann denn, wenn nicht jetzt? Oder: Es geht mir schlecht ... ich muss durch viel Leid hindurch, viel Kummer drückt mich, das Leben ist mir zur Last geworden; manchmal meine ich, es geht nicht mehr ... Schwere Lebensjahre! Sie kommen für uns alle einmal - früher oder später. Jetzt muss es sich erweisen, wie tief die Wur- zel gründet, wie weit sie hinabreicht, wie kräftig und tragfähig sie ist. Kann sie mein Leben ernäh- ren, bis die Dürre vorüberging? Hält sie mich, solange der Sturm an mir reißt. Bringt sie mich über die dunkle Zeit hinaus, bis wieder ein Frühling für mich kommt? Liebe Gemeinde, wenn wir von heute Morgen etwas mitnehmen wollen, dann vielleicht dies: Set- zen wir uns doch in einer stillen Stunde vor einen Baum - nicht irgendeinen - vor den unseres eige- nen Lebens. Betrachten wir ihn lange und gründlich, so wie's ein Gärtner täte, der ihn pflanzte, heg- te und pflegte. Ist der Wuchs in Ordnung? Ist oben nicht zu viel Austrieb, den meine schwache Wurzel eigentlich gar nicht ernähren kann? Und wenn meine Zeit ist, trage ich dann Frucht? Und wenn es bei mir gerade nicht grünt und blüht, sammle ich meine Kräfte dann in der Wurzel? Wie sieht meine Krone aus? Treibe ich Blätter dem Licht entgegen? Wie ist mein Wurzelwerk beschaf- fen? Gibt es faule Stellen? Habe ich mancherorts mein Wachstum eingestellt? Hänge ich an der Wasserader, die auch in kargen Zeiten nährt und überleben lässt? Was ist wichtiger für uns persönlich - Glaube oder Werke? Ich denke, ein ehrlicher Blick auf unse- ren Lebensbaum wird Antwort geben, jeder und jedem für sich. Was dir fehlt, weißt du selbst am Besten. Nur: Wir sollten uns nichts vormachen! Einmal wird ein anderer unseren Baum in Augen- schein nehmen, den blenden nicht die Früchte, sie mögen noch so schön anzusehen sein und vor dem kannst du deine Wurzeln nicht verbergen. Was hat den größeren Wert: Glaube oder Werke? - Liebe Gemeinde, ist das wirklich eine Frage, die so oder so beantwortet werden kann? - Kann ein Baum ohne Wurzeln leben? Zu was soll ein Baum gut sein, wenn er keine Frucht bringt? Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.