Predigt zum Karfreitag - 09.04.2004 Textlesung: 2. Kor. 5, (14b - 18) 19 - 21 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt. Liebe Gemeinde! Heute stirbt der Herr der Christen. Der Sohn Gottes wird hingerichtet. Am blutigen Holz des Kreu- zes lässt er sein Leben - für dich und für mich. Diese Ereignisse sind sicher grausam genug. Wer sich da hinein vertieft, dem muss traurig zumute werden. Unter dem Kreuz des Herrn gibt es wohl nur das Entsetzen: Da hören wir seine Stimme: "Mich dürstet!" Da dringt uns sein gequälter Schrei durch und durch. Dort müssen wir sein Leid mit ansehen. Dort riecht es nach Blut und Schweiß. Wer erträgt den Anblick des gemarterten Körpers? Wer fasst die ungeheuerliche Botschaft: "Dieser war Gottes geliebter Sohn"? Und wer erträgt diesen Gedanken: Für dich geschlagen? Für dich gelit- ten? Für dich getötet? Wir fliehen vor dem Kreuz. Oben auf dem Hügel, wo das Blut fließt und seine Qual laut wird, hal- ten wir es nicht aus. Allenfalls aus der Ferne wollen wir es sehen. Das Entsetzliche komme uns nicht zu nah. In gehörigem Abstand wird das Kreuz erträglich klein. Und nicht nur seines. "Lasst euch versöhnen mit Gott", so ruft uns der Herr zu. Wir haben Mühe, seine Worte zu verstehen. Zu weit haben wir uns vom Kreuz entfernt. Und auch die Schuld, die ihn ans Holz gebracht hat, haben wir verdrängt. Ja, manchmal meint man, uns Christen wäre das Wissen abhanden gekommen: Die- ser trägt die Sünde der Welt. Meine und deine Schuld bringt ihn ans Kreuz. Begreifen wir diesen Zusammenhang noch? Sieht es nicht manchmal so aus, als wollten wir Ostern ohne Karfreitag, Auferstehung ohne Leiden und Tod, Herrlichkeit ohne die Gedanken an Sünde und Schuld? Wie groß ist die Zahl der Gottesdienstbesucher heute, am Karfreitag? Wie viele werden es an Os- tern sein? Hier müsste uns das Entsetzen ankommen. Über uns selbst, die Christen. Ein heilsames Entsetzen wäre das! Der Herr, nach dem wir heißen, opfert sich für uns. Er leidet, damit wir Frie- den mit Gott haben. Er vollbringt unsere Versöhnung. Unser Freibrief von Sünde und Tod ist mit seinem Blut geschrieben. Und er bittet uns noch: Lasst euch versöhnen mit Gott... Wie ist das, wenn Menschen uneins waren und einander die Hand reichen wollen?: Einsicht muss wohl da sein. Erkennen: Ich habe einen Fehler gemacht. Wenigstens aber muss man sagen können: Wir haben uns wohl beide nicht so gut verhalten. Wenigstens das. Bewusst werden müssen wir uns: Es liegt ein Fehler vor, einer ist schuldig geworden, vielleicht beide. Jetzt kann man sich versöhnen. Jetzt wird ein neuer Anfang möglich. Aus der Erkenntnis von Schuld kann die Aussöhnung kom- men. Anders nicht. Lasst euch versöhnen mit Gott! Kann ich ferne vom Kreuz wie ein Unbeteiligter stehen? Kommt mir die bloße Zuschauerrolle zu? Erkenne ich "aus der Ferne", was da geschieht? Begreife ich, dass es meine Sünde ist, die ihn martert, ihm die Seite durchbohrt und ihm Hände und Füße zerfetzt. - Nur unter Jesu Kreuz wird mir aufgehen, dass sein Leid meine Schuld ist. Und nur so kann es Ver- söhnung geben. Wie aber leben die Christen? Wie steht es mit ihrem Bewusstsein von Sünde und Schuld? Ich ken- ne viele, die scheinen ganz und gar durchdrungen von dem Wissen: Ich bin ein anständiger Mensch. Ich tue niemandem Böses. Meine Habe ist auf meiner Hände Leistung gewachsen. Ich achte die Grenzen, die mir Recht und Anstand setzen. Das schlimme ist: Alles das stimmt! Vor den Augen der Menschen ist alles in Ordnung. Nach den Maßstäben dieser Zeit, in der Gottes Wille keine Rol- le mehr spielt, kann es keine Einwände geben. Gott aber stellt andere Ansprüche als unser Zeitge- nosse! Bloß "anständig" genügt ihm nicht; selbst die Feinde sollen wir lieben. Das "Böse" vermei- den ist zu wenig. Das Gute tun sollen wir jederzeit, selbst an denen, die uns hassen. Meine "Leis- tung" ist - genau betrachtet - gar nicht mein Verdienst. Nichts bin ich aus mir selbst. Alles bin ich durch Gott. Und die "Grenzen" von Recht und Anstand sind nicht die Grenzen, die Gott mir setzt, vielmehr: Vollkommen sollen wir sein, wie er vollkommen ist. Aus diesen Gedanken kommt Er- kenntnis von Schuld. Aus dieser Erkenntnis könnte "Versöhnung" kommen. Für diese Versöhnung hängt Jesus am Kreuz. Aber ich kenne noch andere: Jeder weiß es von ihnen, es gibt da eine dunkle Stelle in ihrer Vergan- genheit. In dieser oder jener Hinsicht ist bei ihnen schon Jahre lang nicht alles in Ordnung. Man weiß um ihre Schuld. Sie selbst auch. Aber dazu stehen können sie nicht. Da wird verdrängt und verschleiert. Jegliche Energie wird dazu aufgewendet, zu verdecken, zu verharmlosen und abzulen- ken. Und die Menschen in der Umgebung lügen eifrig mit. Nennen schwarz weiß und hängen der Schuld den Mantel vor. Und sie meinen wohl noch, das wäre hilfreich und gut. Dabei müsste es doch einmal ausgesprochen werden. Wenigstens im vertrauten Gespräch: Du hast Schuld auf dich geladen. Du bist schuldig geworden vor Gott und den Menschen. Und man könnte es doch auch aussprechen. Man kann doch dazu stehen. Unterm Kreuz kann ich meine Schuld annehmen. Und dort kann ich sie auch gleich wieder loswerden: Dafür hängt ja der Herr am Holz. Dafür hat er gelitten. So geschieht Versöhnung. Aber ohne mein Ja zu meiner Sünde, geschieht gar nichts. Ohne dieses Ja ist Christus umsonst gestorben - für mich jedenfalls. Ich sage es noch einmal: Entsetzen müsste uns packen. Immer einsamer stirbt unser Herr. Seine Leute, seine Christen begreifen es immer schwerer, was ihn ans Kreuz bringt. Zuletzt werden wir alle von weitem nach Golgatha schauen, wie auf eine ferne Bühne, auf der Unbegreifliches vorge- führt wird. Bloß Zuschauer einer rätselhaften Vorstellung Gottes. Schließlich fällt der Vorhang und wir gehen nach Hause, leer, unbeteiligt, so als wäre nichts gewesen. Aber es kann kein neues Leben geben ohne Kreuz. Kein Ostern ohne Karfreitag. Keine Auferste- hung ohne den Geschmack von Leid und Tod. Keine Versöhnung ohne die Erkenntnis von Schuld. Liebe Gemeinde! Lasst uns unter das Kreuz gehen. Lasst uns dort aushalten, wenigstens so lange, bis wir begreifen: Sein Leid ist unsere Schuld. Wir haben ihm die Schmerzen bereitet. Er stirbt an unserer Sünde. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt. Ich wünsche uns einen gesegneten Karfreitag. Ich wünsche uns Erkenntnis unserer Schuld. Ich wünsche uns gute Gedanken unter dem Kreuz Christi. Lasst Euch versöhnen mit Gott!