Predigt zum Sonntag "Sexagesimae" 15.02.2004 Liebe Gemeinde! Manche Gemeindeglieder - besonders jene, die eigentlich nie zum Gottesdienst kommen - sagen uns Predigern des Wortes Gottes ja nach, wir würden meist viel zu ernst und zu mahnend predigen. Überwiegend wäre von Gottes Zorn, von Sünde, Schuld und Gericht die Rede. Die "frohe Bot- schaft" käme meist zu kurz! Vielleicht ist ja etwas dran? - Bemühen wir uns also heute einmal be- sonders darum, die "frohe, die befreiende Nachricht von Gottes Liebe" in den Versen zu erkennen, die uns für diesen Sonntag "Sexagesimä" als Predigttext verordnet sind. Sie werden sehen, das ist bei diesen Versen - wie bei vielen anderen auch - gar nicht so leicht! Aber hören wir auf Worte aus dem Hebräerbrief: Textlesung: Hebr. 4, 12 - 13 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedan- ken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Wenig, was froh macht, nicht wahr? Allenfalls noch die Bemerkung, dass Gottes Wort lebendig ist, kann uns ein bisschen gefallen. Aber wirklich nur ein bisschen. Das andere...das sind ja nur ernste, bedrohliche und bedrückende Gedanken: "Schärfer als jedes Schwert", "dringt durch und scheidet Mark und Bein", "Richter des Herzens", "niemand ist vor ihm verborgen", "bloß und aufgedeckt", "Rechenschaft schuldig"... Hören wir also heute eine richtige Bußpredigt? Ergreife ich nun doch die Gelegenheit, eine ganz ernste und mahnende Ansprache zu halten? Nein, mir gibt das heute einmal die Möglichkeit, ihnen vor Augen und Ohren zu führen, dass die Freude der Christen etwas anderes ist, als Dinge zum in die Hände klatschen und Lachen. Ich ärgere mich sowieso schon lange über dieses ewige Missverständnis, die Frohe Botschaft ließe nur unser Herz hüpfen und wir könnten uns nur noch freuen, wenn wir sie vernehmen. Nein, sie ist auch sehr hart. Sie muss es ja auch sein, sonst würden wir wohl noch weniger auf sie achten. Und da will ich jetzt etwas sehr persönliches und sehr offenes sagen: Ich glaube, wenn die Men- schen heute immer weniger in die Kirchen kommen und das Wort Gottes immer geringer schätzen, dann liegt es nicht so sehr an den ernsten und mahnenden Predigern, sondern eher an denen, die Gottes Evangelium zu billig und zu seicht, zu heiter und darum zu belanglos verkündigen. Das Wort Gottes ist die beste Sache von der Welt, aber es ist auch eine ernste Sache, denn es geht um alles: um das Leben - hier und ewig! Und es geht auch - bitte schön - darum, dieses Leben zu ver- fehlen - und so zu verlieren. Und das ist sicher nichts zum Lachen. Aber zurück zur Freude, zu der Freude, die wirklich im Wort Gottes liegt: Ich denke mir immer, es ist doch kein Zufall, dass in diesem Wort so oft von den Dingen die Rede ist, die zuerst überwun- den werden müssen, ehe Menschen froh werden und sich freuen können: Die vielen Gleichnisse von verlorenen Dingen und Menschen fallen mir ein: Erst nach einer langen, zermürbenden Suche findet die Frau ihren Groschen und der Hirte sein Schaf. Erst dann können sie lachen und ein Fest feiern. Und der Sohn, der alles in der Fremde mit Freunden verprasst hat, die keine waren? Er muss erst durch die Zeit des Elends und des Hungers hindurch - dann macht er sich auf zum Vater und erfährt dort die überraschende Liebe dessen, dem er so viel angetan hat. Oder gehen wir auch ins alte Testament: Erst nach einer 40-jährigen Wüstenwanderung darf Israel ins gelobte Land einziehen. Und Daniel muss erst in den Feuerofen und Jona in den Bauch des Fischs, ehe sie zu neuem, frohen Leben gelangen. Und schließlich die vielen Heilungen, die Jesus vollbracht hat, die Wunder an Leib und Seele. Oft jahrelange Besessenheit oder Aussatz, Blutfluss oder Lähmung mussten bestanden werden, bis endlich einer sie zu Gesundheit führt und zum Heil. Halten wir es fest: Die Freude steht nie gleich am Anfang! Und ich glaube nun, das ist auch bei der frohen Botschaft Gottes so. Die macht auch nicht gleich Freude! So gut, so fromm und so fehlerlos stehen wir ja auch nicht da vor Gott. Im Gegenteil: Viele Menschen heute - ich glaube, es werden immer mehr - sind so belastet mit Schuld und der Bürde ihres eigenen verkehrten Wesens, dass sie sich überhaupt nicht mehr freuen können. Und ich halte es einfach für falsch, nun zu diesen Menschen zu gehen und ihnen zu sagen: Komm zu Jesus, da bist du im Nu deine Schulden und deine Lasten los. Man kann sie bei ihm loswerden, jawohl, aber ganz und gar nicht im Nu! Und man kann bei ihm Frieden und Freude finden, ganz gewiss, aber nicht bevor man sich auch sein Wort, sein hartes, scharfes, schneidendes und durchdringendes Wort hat sagen lassen. Und dieses Wort spricht uns nunmal zuerst auf unsere Sünde an. Ach, nicht auf unsere 100 oder mehr täglichen Verfehlungen. Die sind's doch gar nicht. Es ist unsere ganze Art, unser innerstes Wesen: Dass wir so kleinlich und engherzig sind, dass wir immer vergleichen, was habe ich und was hat der andere, unser Richten über die Mitmenschen, unser Geschwätz und die üble Nachrede, die doch täglich neu Leid und Kummer bei unseren Nächsten schaffen. Und vor allem doch unser eigenwilliger Sinn, der uns glauben lässt, wir könnten uns selbst erlösen oder wie die heutigen Menschen sagen: "Wir machen das schon!" Und dass wir auch Gott immer wieder unsere Verdiens- te vorweisen, was wir doch für gute und tüchtige Christen sind und wie viel besser wir doch daste- hen als der und der... Das wagen wir uns, dem Vater Jesu anzubieten, der seinen Sohn hat sterben lassen, dass wir uns al- lein auf ihn berufen, auf sein Blut und seinen Tod für uns! - Nein, wir sind nicht recht, wie wir sind. Schon gar nicht gleich, wenn uns Gottes Wort anspricht. Warum also erwarten wir, dass dieses Wort nun sofort Lachen und Freude bei uns auslöst? Zuerst bringt es uns zurecht, das Wort Gottes: Es ist lebendig und kräftig. Es kennt uns ganz genau und schaut in die verborgensten Winkel unserer Seele. Gott selbst ist ja in seinem Wort. Und es dringt durch und dringt ein in unser Herz und unseren Sinn - und will uns verändern: Die Gedanken richten und das Böse vom Guten scheiden, das will es und das kann es - wo wir es eindringen las- sen! Ich meine ja manchmal, schon das wäre eigentlich etwas sehr Gutes und Frohes! Was spielen wir doch heute oft für Rollen. Wie strengt uns das an, immer die Starken zu mimen, die Lässigen, die nichts bedrückt, die mit allem, was sie tun im Recht sind und so lächerliche Dinge wie Schuld und seelische Belastung überhaupt nicht kennen. Wie viele Energien bindet das doch, immer die Star- ken zu machen, die niemals so etwas wie Reue und Ringen um Vergebung anfechten kann. Und wie leid ist das im Grunde doch manchem, dass er auf diese Maske und diese Rolle, die er tagein, tagaus spielt, so festgelegt ist, dass er gar nicht mehr herauskommt. Kann da solch ein hartes, aber ehrliches Wort Gottes nicht befreiend sein und froh machen?: Ich, dein Gott kenne dich! Ich sage dir, wer du bist. Ich decke deine Schuld auf und spreche sie an. Du hast vor mir Rechenschaft zu geben und ich fordere sie von dir. - Ich glaube fest, das ist die "Wüstenwanderung", die wir hinter uns bringen müssen. Das ist unser Suchen und Sehnen, das vor das Finden gesetzt ist. Das ist der Fisch, in dem wir erst das Dunkel und die Angst kennen lernen müssen, dass wir hernach um so froher werden, wenn uns die Güte Gottes befreit. Auch wir sind doch krank, vielleicht nicht am Körper, aber doch an unserer Seele und unserem Gemüt. Wir brauchen das scharfe, schneidende und scheidende Wort Gottes, dass es uns erst zeigt, wie und wer wir wirklich sind. - Endlich ein Wort, vor dem wir nichts mehr mimen und spielen, täuschen und verbergen können. Endlich die Maske vom Gesicht tun und die Rolle weglegen können... Wie gut. Wieviel Freude...schon das... Nein, ich will heute nun nicht doch noch die Kurve ziehen hin zu einem fröhlichen, versöhnlichen - und dann auch seichten Schluss. Lassen wir's stehen. So! Dass Gott unser Vater ist, der unser Leben und unsere Freude will, das wissen wir ja. Spätestens seit unser Herr, der Sohn dieses Gottes ans Kreuz gegangen ist, wissen wir es. Übrigens: Auch in seinem Leben und Leiden zeigt es sich, dass erst das Ernste und Schwere bestanden werden muss. Erst Sterben, Leid, Hohn und Striemen - dann die Auferstehung und die Freude neuen Lebens. Es soll wohl so sein. - Merkwürdig, nicht wahr?