Predigt zum Altjahrsabend - 31.12.2003 Liebe Gemeinde! Ich möchte sie heute Abend einmal zu einer kleinen Ballonfahrt einladen,- ja, ei- nem kleinen Flug in der Gondel eines Ballons. Das mag ungewöhnlich sein...zu dieser Jahres- zeit...und zu dieser Stunde am Tag - wo's ja doch auch schon dunkel ist draußen! Denken wir uns, es wäre ein heller, warmer Tag. Überwinden wir die Angst vor dem Fliegen. Vertrauen wir uns dem Korb des Ballons an, nur ein paar Minuten lang. Wir steigen unmittelbar vor unserer Haustür ein. Gegenüber begrenzt das Nachbarhaus unseren Blick, oder die Mauer der Scheune, der Garage... Wir steigen - ganz langsam. Wir gleiten am Gie- bel unseres Hauses vorbei. Jetzt können wir über den Rand des Daches schauen. Kaum eine Sekun- de später sieht unser Auge ins Weite: Drüben (unser Garten, das Feld, die Wiesen, ein Streifen Wald auf der Kuppe dort hinten) (der Supermarkt, bei dem wir immer einkaufen, die Altstadt, die ....straße etc.) ... Wir sind jetzt wohl 100 Meter hoch. Blicken wir einmal nach unten. Da liegt unser Dorf (unsere Stadt). Unser Haus, unsere Straße, der Hof, der Stall, die Kirche, die Ortsmitte... Ge- wiss, wir kennen das alles - von unten. Aber jetzt entdecken wir alles neu. Wie nah doch da unten alles zusammenrückt. Wie gerade die Wege und Gassen verlaufen. Wie klein die Häuser sind - und die Menschen. Was uns unten immer so weit zu laufen erschien - nur ein Daumenbreit. Der Acker, auf dem sich der Bauer so plagt - nur eine Handvoll Erde. Das Grundstück auf dem wir wohnen und leben - klein wie eine Briefmarke. Alles wirkt so ganz anders von hier oben. Alles bekommt ei- ne völlig andere Sicht und Bedeutung. Wir erkennen Verbindungen, größere Zusammenhänge. Wir sehen, was wir so nie gesehen haben, hier oben ist der Blick frei und das Herz weit. So müsste man immer einmal über den Dingen schweben können - um sie recht zu erkennen! - Jetzt hole ich sie wieder auf die Erde zurück: In die Enge ihres Lebens, in ihre Beziehungen zu den Menschen, in die Erfahrungen, die sie machen mussten. Hier unten ist unser Blick so kurz; kaum zum Haus des Nachbarn reicht er. Den Kirchturm sehen wir nur von einer bestimmten Stelle unse- res Grundstücks. Wenn man sich immer um sein Haus und seinen Hof bewegt, ist wirklich alles sehr eng und klein. Irgendwie sind wir gefangen in unserem Leben, belastet von unserer Erinne- rung, stoßen überall an die Mauern unserer Ängste und Befürchtungen. Wir sind halt unten auf dem Boden. Da ist der Ausblick nicht weit und das Herz nicht leicht. Ja, wir müssten alles immer wieder einmal "von oben" sehen dürfen, von "höherer Warte", im großen Zusammenhang... Und gerade heute - in den letzten Stunden des ausgehenden Jahres - wird es uns bewusst: Wie viel Ballast hat sich da in den vergangenen 12 Monaten angesammelt. Wie beschwert uns das. Und wie gern möchten wir doch frei werden, loskommen von den Lasten, manche Erinnerung abschütteln, das neue Jahr befreit beginnen, aufatmen können....ins Weite schauen, sozusagen... Ich lese uns jetzt ein paar Verse aus dem Römerbrief des Paulus: Textlesung: Röm. 8, 31b - 39 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trüb- sal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? wie geschrieben steht (Psalm 44,23): »Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.« Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns ge- liebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewal- ten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Diese Worte der Heiligen Schrift möchten unser "Ballon" werden, der uns immer wieder über die Enge unseres kleinen Lebens erhebt. "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?" Diesem Vers dür- fen wir uns anvertrauen. Mit ihm steigen wir auf bis weit über die Grenzen unserer kleinen tägli- chen Welt. Wie klein und winzig wird auf einmal alles dort unten! "Gott ist für uns", wie gering wird doch die Bedeutung der Dinge, die wir "dort unten" erfahren haben! '"Gott ist für uns", wie viel von unserem Leid fällt da von uns ab! "Gott ist für uns", alle Lasten, alles Schwere, das uns so anhing, bleibt am Boden zurück. "Gott ist für uns" - und vielleicht erkennen wir über diesem Ge- danken, der uns weit über unsere Alltagswelt erhebt, nun auch die Linien, den "roten Faden", der durch unser Schicksal verläuft: Der verschlungene, dunkle Pfad, den wir da unten gehen mußten - von hier oben zeigt er sich schnurgerade! Und wir sehen am Horizont, wo er hinführt. Ja, und der ganze Lebensbereich, auf dem wir uns da unten bewegen - wie viele andere Bereiche, anderer Men- schen Leben, Schicksale liegen doch jetzt vor unseren Augen, alle nebeneinander, greifen ineinan- der, begrenzen eins das andere - alle ähnlich groß, nein, ähnlich klein von hier oben! "Gott ist für uns", ja, so muß wohl auch Gott unser Leben und Schicksal anschauen. Nicht weil er so hoch und erhaben wäre über uns und unserer Welt, aber weil er die Zusammenhänge weiß und erkennt, das große Ganze, das uns hier unten meist verborgen ist. Aber wir wollen heute einmal noch höher emporsteigen. Mit diesen Worten gewinnen wir weiter an Höhe: "Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben...noch alles uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." Hier blicken wir jetzt bis zum Horizont, ja, noch weiter! "Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes", unsere 60, 70 oder 80 Jahre werden der Ewigkeit eingefügt. "Nichts kann uns scheiden...", wir werden dem Volk Gottes eingegliedert. "Nichts kann uns scheiden...", der Himmel tut sich auf und wir ahnen etwas von seiner Herrlichkeit. "Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes"; kaum können wir jetzt noch unser Haus in dieser Welt ausmachen, in der Ferne, ganz dort unten, stecknadelkopfgroß...nein, -klein. Was ist alle Plage dieser Zeit gegen die Freude, die uns erwartet? Was bedeutet die Trauer um einen Menschen vor dem Horizont eines ewigen Lebens? Wie viel gelten aber auch einige Jahre des errafften Glücks, oder besser: wie wenig sind sie, wenn einer dafür sein zukünftiges Glück verspielt? Liebe Gemeinde, ich weiß wohl: Wir können nicht für immer dort oben bleiben. Wir gehören hier unten hin - in unser Schicksal, in unser Leben. Da ist unser Platz, und den hat uns Gott bestimmt. Da sollen wir uns bewähren. Aber lassen wir uns doch nicht immer wieder so herunterziehen in den Sog böser Erfahrungen, in die Angst, die Trauer, die schlimmen Erwartungen... Wir klammern uns ja oft selbst daran fest. Wir genießen es manchmal in einer seltsamen Lust am Leid, wenn uns ein Schmerz nach dem andern widerfährt. Wir wehren uns geradezu gegen den Trost. Wir sind's zufrie- den, gefangen in unserer Enge, mit unserem begrenzten Blick. Ja, wir halten uns fest an unseren Lasten, wollen die Ketten, die uns fesseln nicht aufgeben. Wenn schon alles so schwer ist, so freud- los, so klein - dann wollen wir's mit Anstand und Ernst auf uns nehmen. Aber es ist ja gar nicht so! Was wären denn Gottes Versprechen, wenn wir nicht hie und da etwas davon spüren könnten, dass sie wahr sind? Für was ist Weihnachten und Ostern gut, wenn nicht auch in unserem Leben etwas davon sichtbar und wirksam wird? In solchen Worten kommt das in unsere Tage, in dein und mein Schicksal: "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?" und in dem anderen: "Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes". Mir scheinen diese Verse wie der besag- te "Ballon", der uns über die Mauern und Grenzen unseres kleinen Alltags erhebt, hinauf in die Freiheit und Weite, in der alles unten klein und unbedeutend wird und in der unser Auge bis in Got- tes Ewigkeit hinein sehen kann. Liebe Gemeinde, ich wünsche uns zum neuen Jahr, dass es uns immer wieder einmal gelingt, die Lasten dieser Welt hinter uns zu lassen und befreit von Sorge, Angst und Trauer emporzuschweben über die Enge unseres Lebens. Ich wünsche uns, dass wir dort oben erkennen, wie gering so man- ches erscheint und auch ist, was uns unten so groß und wichtig vorkommt. Ich wünsche uns, dass wir entdecken, wie gerade manche Linie verläuft, die uns so schief und gewunden vorkam. Ich wünsche uns einen weiten Ausblick bis hin zum Horizont der ewigen Verheißung Gottes. Da wird es uns leicht ums Herz. Da können wir aufatmen. Lassen wir uns von Zeit zu Zeit hinauftragen - über unser kleines Geschick. Diese Verse wollen uns heute und in der Zukunft dabei helfen: Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.