Predigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis - 6.9.2009 Textlesung: Lk. 10, 25 - 37 Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose 19,18). Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goß Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme. Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen! Liebe Gemeinde! Das ging Ihnen jetzt sicher beim Hören genau wie mir (vor Tagen) beim Lesen: „Da ist sie also wieder einmal, diese bekannte, schöne Geschichte über den Samariter und sein vorbildliches Ver- halten. Und da sind auch sie, der Priester und der Levit, die sich so gar nicht barmherzig gegenüber dem erweisen, der unter die Räuber gefallen ist und verletzt am Boden liegt!“ Und nach diesem Hören und Lesen hätten wir dann sicher Grund zu denken: Diese Geschichte kennen wir doch gut. Vielleicht wurde sie uns schon in der Schule oder im Kindergottesdienst zum ersten Mal erzählt. Und wie oft mögen wir schon eine Predigt oder Andacht über diese Geschichte gehört haben? Darum wissen wir auch, worauf es in ihr ankommt, was sie uns sagen will und was wir an ihr lernen sollen. - Was soll die Predigt heute also Neues zu dieser Geschichte bringen? Was ich jetzt vorschlagen will, ist vielleicht ja auch nicht so ganz neu, aber ich glaube doch, dass es uns diese Samaritergeschichte einmal anders nahe bringt und so, dass die Absicht Jesu, warum er sie erzählt hat, besonders klar hervortritt. Wir wollen dabei einmal nicht die Rolle des Samariters bedenken, auch nicht die des Priesters und Leviten, die uns sonst meist besonders beschäftigt ha- ben, sondern wir wollen uns in den verletzten Mann hineindenken, der unter die Räuber gefallen ist. So oder so ähnlich könnte er die Geschichte erfahren haben. Ich lasse jetzt ihn sprechen: „Alles haben sie mir genommen! Und geschlagen haben sie mich - mit Fäusten und mit Knüppeln. Aber warum nur? Ich hätte ihnen auch so alles gegeben, was ich hatte. Ich glaube, ich blute an der Stirn und an Rücken und Beinen. Mein Kopf dröhnt - ich traue mich gar nicht, ihn zu heben. Ob die Räuber wohl fort sind und nicht mehr zurückkehren? „Herr, im Himmel, mach, dass sie weg sind!“ Ich versuche jetzt einmal den Kopf zu drehen, dann kann ich vielleicht schauen, ob jemand auf dem Weg kommt, der mir helfen kann. Au, wie das weh tut! Mein rechtes Auge ist ganz zugeschwollen. Aber Gott sei Dank, mit dem linken kann ich noch sehen. Ja, die Räuber sind weg! Und in der Ferne nähert sich eine kleine Staubwolke. Wer das wohl ist. Und ob er mich sieht - ich liege ja hier ein bisschen abseits von der Straße. Doch, eben schaut er auf, der Mann auf dem Maultier. Das scheint seinem Gewand nach ein Pries- ter zu sein. Da habe ich ja Glück gehabt. Das ist einer aus meinem Volk! Der hilft mir bestimmt! Aber was ist das: Der Priester wendet sich ja ab. Das sieht fast so aus, als wollte er vorbeireiten ... ja, wirklich, er lässt mich hier liegen. Hilfe! Warte doch! Ich verblute hier noch! Ich glaube, ich werde hier sterben. - - - Da kommt wieder einer. Wenn ich ihn noch richtig erkenne, ist das ein Levit. Der dient im Tempel in Jerusalem, bereitet die Gottesdienste vor und sorgt dafür, dass der Priester für die Lesungen die richtigen Schriftrollen mit dem Wort Gottes gebracht bekommt. Der wird doch bestimmt zu mir kommen und meine Wunden versorgen. Eben hat er zu mir hingeschaut ... und er hat mich auch ge- sehen ... und jetzt ... sieht er in die andere Richtung und geht weiter ... Warum denn nur? Ich kann doch nicht mehr lange ... Da ist noch einer in der Ferne ... er kommt näher ... er hat einen Esel dabei ... Wie er gekleidet ist, muss das ein Mann aus Samarien sein! Dann gibt’s nichts mehr zu hoffen. Von dem kann ich nichts erwarten. Die sprechen ja nicht einmal unsere Sprache, die Samariter und ihr Glaube ist auch an- ders und sie beten Gott an einem anderen Ort an, nicht wie wir in Jerusalem. Bald ist meine Kraft am Ende. Ich werde die Augen schließen und sterben ... Was ist das? Der Samariter kommt zu mir, jetzt kniet er neben mir und hat schon die Wasserflasche geöffnet und wäscht meine Wunden. Und Öl und Wein gießt er auch darauf. Ach, wie tut das wohl! Was er zu mir sagt, kann ich nicht verstehen, aber es ist gut, dass er mit mir spricht. So hat meine Mutter früher auch mit mir gesprochen, wenn ich traurig war oder mir das Knie aufgeschrammt hatte. Ich fühle mich schon viel besser. Aber was will er jetzt? Er versucht mich aufzuheben. Ach, ich soll wohl auf seinen Esel steigen. Ja. ich schaffe es mit seiner Hilfe. Er ist so stark und doch so behutsam. Wohin wird er mich bringen? Dort vorn liegt eine Herberge. Der Wirt steht gerade in der Tür. Jetzt spricht der Samaritaner mit dem Wirt. Der scheint ihn zu verstehen. Aber was will mein Retter von ihm? - Er zieht ein paar Münzen aus seiner Börse. Die gibt er dem Wirt und jetzt tragen sie mich gemeinsam auf eines der Zimmer und legen mich in ein Bett. Wie gut! Ausruhen können, schlafen ... Ich glaube, der Samariter muss jetzt weiterziehen. Aber er hat dem Wirt Geld dafür gegeben, dass er mich bei sich aufnimmt und pflegt, bis ich wieder ganz in Ordnung bin. Was ist das für ein Mensch! Ein Priester und ein Levit haben mich im Staub der Straße liegen lassen. Einer, der nicht einmal unsere Sprache spricht, hat mir geholfen. Aber stimmt denn das? Hat er mich nicht doch verstanden und ich ihn? Ihm verdanke ich mein Leben! Durch ihn kann alles mit mir wieder gut werden. - Danke, fremder Samariter! Liebe Gemeinde, heute haben wir einmal der Not, der Angst und den Gedanken des verletzten Mannes am Weg zwischen Jericho und Jerusalem Raum gegeben und nicht der doch ziemlich er- bärmlichen Rolle des Priesters und des Leviten. Und ich glaube, das wollte Jesus auch bei dem Schriftgelehrten und den anderen Zuhörern damals erreichen. Denn darauf zielt seine Frage, die die Frage des Schriftgelehrten genau herumdreht. Der wollte wissen: „Wer ist denn mein Nächster?“ Jesus aber stellt jetzt die Frage so: „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?“ Und der Schriftgelehrte antwortet: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat.“ Zu dieser Antwort kommt man nur, wenn man sich hineinfühlen kann in die Not, das Leid, die Angst oder die Verzweiflung eines anderen Menschen. Diese Antwort zeigt, dass einer begriffen hat, dass der Priester und der Levit zwar vor dem Gesetz, das ihnen verbot, sich mit Blut zu verunreinigen, richtig gehandelt haben, nicht aber vor der Nächstenliebe. Wer diese Antwort gibt, der hat verstanden: Jedem Menschen, der mich braucht, soll ich der Nächste werden. Wir wollen uns so, wie wir es heute bei dem getan haben, der unter die Räuber gefallen war, in alle Menschen hineinversetzen, denen wir begegnen und die unserer Hilfe und Liebe bedürftig sind. Dazu ist es nötig, genau hinzuschauen. Nicht bei allen Menschen ist ja ihre Not so deutlich, wie bei einem, der noch die Verletzungen und Spuren des Überfalls der Räuber trägt. Dazu ist es nötig, aufmerksam auf das zu achten, was sie sagen und manchmal sogar die unausgesprochenen Bitten zu hören. Manche Menschen in Kummer und Ängsten haben es längst aufgegeben, laut und vernehm- lich um Hilfe zu rufen. Sie sind resigniert und oft ganz verstummt. Schließlich müssen wir auch ein Herz haben, dass sich erbarmt und ihnen öffnet und Füße, die sich auf den Weg zu ihnen machen und Hände, die anpacken und für sie tätig werden. „Geh hin und tu desgleichen“, sagt Jesus! Die Nächstenliebe haben wir dann begriffen, wenn wir den Mitmenschen „Nächste werden“ und „die Barmherzigkeit“ an ihnen tun. AMEN