Predigt zum 10. Sonntag nach Trinitatis - 16.8.2009 Textlesung: Lk. 19, 41 - 48 Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen, und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt dei- nen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist. Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler aus- zutreiben und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): „Mein Haus soll ein Bethaus sein“; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Ho- henpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, dass sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn. Liebe Gemeinde! Heute ist der so genannte „Israelsonntag“. Wir haben es ja schon an den eben gehörten Versen ge- merkt. Trotzdem: Ich glaube nicht, dass es unsere Aufgabe als Christinnen und Christen dieser Zeit ist, über die damalige Verstockung Israels nachzudenken, die dann im Jahr 70 n.C. die Zerstörung Jerusalems nach sich zieht, oder darüber, warum die Juden Jesus Christus nicht als ihren Messias anerkannt haben. Wenden wir uns also lieber dem zweiten Teil dieses heute zu predigenden Textes zu. Dort finden wir genug Gedanken, über die sich für uns heute zu sprechen lohnt und die uns auch wichtige Anregungen und Anstöße geben können. „Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben ...“ Warum tut Jesus das? Da- rum: „‘Mein Haus soll ein Bethaus sein’; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht.“ Der vor- nehmste Sinn des Tempels ist, dass man dort beten, sich Gott zuwenden kann. Alles andere muss im Hintergrund bleiben, muss - wenn es überhaupt im Tempel stattfindet - diskret und unauffällig sein und so, dass es nicht vom Gebet ablenkt oder dieses gar stört. Genau das aber war wohl der Fall. Mittendrin im „Bethaus“ saßen die Taubenverkäufer, die Tiere für die Opferung anboten. Da- neben die Geldwechsler, denn innerhalb der Tempelmauern galt eine andere Währung. Das ging sicher nicht besonders ruhig zu. Wir können uns vorstellen, dass der eine seine Tauben als besonders schön und ohne Fehl und Tadel anpries. Ein anderer hat vielleicht laut seinen günstigen Wech- selkurs hinausgeschrien. Wieder ein anderer bot mit schriller Stimme religiöses Gerät wie Leuchter oder Weinkannen an. Nein, ein „Bethaus“ war dieser Tempel sicher nicht. Wir können verstehen, dass Jesus ein heiliger Zorn überkommt und er - zum ersten und letzten Mal in seinen kurzen Wir- kungsjahren - sogar ein wenig gewalttätig wird. Wenn man bei dieser „Tempelreinigung“ noch ein bisschen verweilt und genauer hinschaut, dann wird man sicher neben der Störung der Gebetsruhe noch etwas anderes entdecken, gegen das sich Jesus hier wendet: Hier war es ja nicht nur laut, hier wurde auch gehandelt und - was vielleicht das Entscheidende ist - es wurden Opfergaben gekauft und diese dann dargebracht. An so vielen Stellen aber - auch schon des Alten Testaments, nach dem sich die Juden ja richteten! - ist davon die Rede, dass Gott nach Recht und Gerechtigkeit fragt und nicht nach Opfern (Am 5,21ff) und ihm Speisopfer nichts bedeuten, dass er vielmehr will, dass die Menschen Gutes tun, nach Recht trachten, den Unterdrückten helfen, den Waisen Recht schaffen und die Sache der Witwen führen (Jes. 1,17)! Um wieviel mehr sind das jetzt Fragen an uns, die Christen, für die Jesus Christus selbst und ein für allemal das Opfer für alle Sünde und Schuld geworden ist. Was sollte es für uns noch zu opfern ge- ben? Was gäbe es für uns zu erwerben und zu kaufen, was wir dann Gott zu Füßen legen könnten. Und wofür auch? Seit Christi Tod am Kreuz sind wir mit Gott im Reinen. Wir können dem nichts hinzufügen, dass Christus für uns in alle Ewigkeit genug getan hat und wir durch seine „Wunden geheilt sind“. Aber gibt es denn etwa bei uns noch Opfergedanken? Ist uns am Ende auch der Handel mit Gott durchaus vertraut, bei dem wir ihm etwas anbieten, um ihn milde zu stimmen oder für uns einzu- nehmen? - Wir wollen gleich einmal danach sehen. Zuvor aber noch die Frage: Was hat denn bei uns Christen das „Opfer“ und den „Handel mit Gott“ abgelöst? Anders gefragt: Aus welchem Grund nehmen wir denn heute - und eben auch in unserem „Tempel“, der Kirche - Kontakt zu unserem Gott auf? Hier gibt es sicher ein paar Antworten: Einmal um Gottes Wort zu hören, wie jetzt in dieser Stunde. Dann auch um uns als Gemeinde zu treffen und uns gegenseitig mit unserer Treue zu Gott und un- serem Glauben an ihn zu stützen, denn wir Christen können nicht ohne die Gemeinschaft der ande- ren Christen sein. Noch ein Grund, warum wir in unsere Kirche gehen, ist dieser: Wir wollen hier Gott unsere Bitten für uns und die Mitmenschen vortragen. Das wichtigste aber ist - und das be- sonders wenn wir auf das schauen, was unser Herr für uns getan hat - dass wir hier unseren Dank vor Gott bringen. Ich persönlich glaube, wir können Gott gar nicht genug danken und ein Leben in seiner ganzen Länge würde nicht ausreichen, ihm einen angemessenen Dank abzustatten - gesch- weige denn ein Gottesdienst hin und wieder oder das Abendgebet, bevor wir uns zum Schlafen le- gen. Aber kehren wir zurück zu den Fragen nach dem „Opfer“ und ob wir nicht auch mit Gott „han- deln“? Ich trage hier jetzt einfach ein paar Erfahrungen vor, die nicht unbedingt ich gemacht habe, die aber allesamt gut vorstellbar und glaubhaft sind. Prüfe sich jede und jeder selbst daran, ob solche oder ähnliche Gedanken und Handlungsweisen ihr oder ihm wirklich so ganz fremd sind: - Ein Mann aus einer christlichen Gemeinde spricht ziemlich regelmäßig, wenn wieder vier oder fünf Wochen vergangen sind, zu seiner Frau so: „Ich gehe heute mit zum Gottesdienst. Ich glaube, ich muss mich wieder einmal in der Kirche sehen lassen!“ - Er „muss“? Geht er also nicht freiwillig in die Kirche? Ist das für ihn eine Mühe, nicht ein Bedürfnis? Ist es gar ein Opfer, den Gottesdienst zu besuchen? - Während des Schlussgebets im Gottesdienst kommt neulich einer Frau etwas in den Sinn, sie weiß auch nicht woher und warum: „Gott, müsstest du mir nicht endlich meinen Wunsch erfüllen, du weißt schon welchen? Ich habe in den letzten Wochen doch wirklich versucht, so zu leben, dass es dir gefallen kann!“ - Will diese Frau mit Gott einen Handel machen? Meint sie, etwas geleistet zu haben, das Gott jetzt auch belohnen müsste? - Ein gut betuchter Kirchenvorsteher einer Kirchengemeinde hat über viele Jahre im Heiligabend- gottesdienst, wenn die Spende für Brot für die Welt dran war, immer mit sichtbar hoch erhobenem 500-Euro-Schein darauf gewartet, dass der Klingelbeutel zu ihm kam. - Warum wollte er, dass jeder sieht, wie spendabel er ist? Sollte zu dem Opfer, als das er die große Summe sicher betrachtet hat, noch der Lohn des Staunens und der Anerkennung durch die versammelte Gemeinde kommen? - Werden nicht einige von uns, wenn sie von diesem Gottesdienst heute nach Hause gehen, auch das Gefühl mitnehmen, dass sich Gott doch sicher gefreut hat, dass wir heute in seiner Kirche wa- ren? - Aber warum sind wir denn gekommen? Um Gott zu beeindrucken? Meinen wir wirklich, wir hätten ihm mit unserem Besuch gedient? Heißt nicht Gottes-dienst zuerst und ausschließlich, dass ER uns dienen will? Und das tut er auch noch, ohne irgend eine Gegenleistung zu verlangen! Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: „Mein Haus soll ein Bethaus sein“; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht. Liebe Gemeinde, Gottes Kirche ist ein Bethaus. Hier pflegen wir die Beziehung zu ihm. Hier kom- men wir ihm nahe, was ja für sich genommen schon ein unglaubliches und unverdientes Vorrecht ist: Wir dürfen zu Gott kommen. Der große Gott will mit uns zu tun haben! Der Schöpfer sieht nach seinen Geschöpfen! In der Kirche geht es niemals geschäftlich zu. Wir bringen hier nichts mit, worauf Gott nicht schon einen Anspruch hätte. Wir können auch nicht mit ihm handeln - was könnten wir ihm denn anbie- ten, was er uns nicht geschenkt hätte? In der Kirche haben unsere Bitten ihren Raum und ihre Zeit. Gott sagt uns zu, dass er sie hören will und sie erfüllt, wenn das möglich ist und wenn es uns dient. Und in der Kirche erfüllen wir, als von Gott in Jesus Christus so reich beschenkte Menschen, unsere vornehmste Pflicht: Wir sagen ihm Lob und Dank für alles, was er an uns tut und getan hat. Ich glaube, ich spreche da uns allen aus dem Herzen, wenn ich hinzufüge: Es ist auch gut und an- gemessen, dass sich in unserem Tempel, unserer Kirche niemand marktschreierisch aufführt, dass hier keiner laut seine Waren oder seinen Wechselkurs anpreist, dass hier vielmehr eine angenehme Ruhe herrscht, die wir heute oft entbehren müssen, eine Atmosphäre die unsere innere Erhebung fördert und unserer Besinnung auf Gott und uns selbst entgegen kommt. AMEN