Predigt zum 3. Adventssonntag - 14.12.2008 Textlesung: Mt. 11, 2 - 6 (7 - 10) Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Ar- men wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert. Liebe Gemeinde! Das wird ja nun keiner wagen, so mir nichts, dir nichts in unsere Zeit zu übertragen! Wie Jesus damals gehandelt und was er an Wundern getan hat, können wir doch heute nicht mehr sehen! Ja, was können wir dann aber überhaupt aus diesen Versen für uns heute entnehmen? Das waren meine Gedanken zuerst, während und nachdem ich diese wenigen Zeilen aus dem Matthäusevangelium gelesen habe - mit dem Hintergedanken dazu eine Predigt schreiben zu müssen! Und es ist schon wahr: So wie die Jünger des Johannes können wir nicht zu Jesus gehen und ihn fragen, ob er der Herr ist, auf den wir gewartet haben. Und warum auch: Wir wissen es doch! Wir haben ihn ja auch auf der Straße nach Golgatha gesehen und am Kreuz, wie er für unsere Schuld gelitten hat und gestorben ist. Und wir haben doch auch von seiner Auferstehung an Ostern gehört und wir feiern sie auch jedes Jahr ... seit bald 2000 Jahren. Aber ... hier zögere ich jetzt schon, denn die Sache mit dem Kreuz fällt uns irgendwie leichter zu glauben als die andere: Dass er auferstan- den sein soll. Und das für uns ganz persönlich zu nehmen, ist noch einmal etwas anderes: Werden wir wirklich auch auferstehen und in Gottes Nähe ewig leben? Es hat Sie jetzt hoffentlich nicht allzu sehr erschreckt, dass ich so offen darüber rede, dass viele Christen - und ich nenne sie durchaus auch Christen! - Schwierigkeiten mit der Auferstehung un- seres Herrn haben. Und dann, das ist ja klar, auch mit der Hoffnung auf die eigene Auferstehung! Aber da fällt mir jetzt auf, dass die Antwort Jesu an die Johannesjünger damals, eigentlich mit ge- nau solchen Leuten heute spricht, die einen solchen Glauben nicht aufbringen können. Was antwor- tet er ihnen: Sagt weiter, „was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Jetzt werden wir denken: Hören können wir ja vielleicht noch davon, was Jesus während seiner Er- denzeit getan hat, aber sehen??? Und in jedem Fall kann es dabei doch nur um den Glauben an Jesu Wunder damals gehen! Das wäre schön und überzeugend, wenn er diese Taten auch noch heute vollbringen würde! Ich möchte Ihnen ein paar kleine Geschichten erzählen: Ein Mann, der in seinen jungen Jahren viel den Kindergottesdienst seiner Gemeinde besucht und sich später hat konfirmieren lassen, konnte später in einem sehr harten Beruf in der Firmenleitung eines mittleren Unternehmens nie mehr an den Glauben seiner Kindheit und Jugend anknüpfen. Ir- gendwie sah er dafür auch gar keinen Raum in seinem beruflichen Alltag. Nein, er war kein Un- mensch und hat seine Leute gut und gerecht behandelt. Aber manchmal musste er auch Entschei- dungen treffen, bei denen er nicht nach Nächstenliebe oder Barmherzigkeit fragen konnte. Seit zwei Jahren ist er jetzt im Ruhestand. Er hat wieder angefangen, den Gottesdienst seiner Ge- meinde zu besuchen. Und die Fragen, die ihn als Kind und später als Jugendlicher interessiert ha- ben, sind ihm wieder wichtig geworden. Auch bemüht er sich um ein wirklich christliches Leben. Dabei hat dieses neue Leben durchaus auch eine sehr schmerzliche Seite: Es ist ihm nämlich aufge- gangen, was er in den 45 Jahren als leitender Angestellter so alles falsch gemacht und was sich ganz und gar nicht mit christlichen Maßstäben gereimt hat. Manchmal kommt es ihm vor, als wäre er in diesen Jahren blind gewesen für das, worauf es in einem Leben als Christ eigentlich ankommt. Und er ist froh, dass er jetzt vielleicht noch einmal eine Chance bekommt, anders zu leben und manches Versäumte gut zu machen! - Geht hin und sagt weiter: „Blinde sehen!“ Eine alleinstehende Frau hat lange Zeit gezögert, sich bei ihrem kranken Nachbarn, er ist seit drei Jahren Witwer, anzubieten, dass sie ihm in der Zeit der Krankheit den Haushalt und die Wäsche macht, ihm einkauft und mittags bei sich etwas mitkocht. Eigentlich war das nachbarschaftliche Verhältnis, als seine Frau noch lebte, immer gut. Aber jetzt, da er allein ist? Die Christlichkeit würde es ja gebieten! Aber konnte sie denn einfach hingehen und ihn fragen, ob ihm eine solche Hilfe recht wäre? Und die Leute, die würden sicher reden und irgendwelche Absichten unterstellen. Dabei tat ihr der Nachbar wirklich nur leid und ihr wäre die Hilfe auch keine besondere Belastung. - Gestern ist sie hingegangen und hat ihr Angebot gemacht. Der Mann war ganz gerührt und hat gern angenommen. Jetzt ist sie selbst sehr froh, dass sie den Mut aufgebracht hat. - Geht hin und sagt weiter: „Lahme gehen!“ Der Marco P. war im Konfrmandenunterricht seiner Gemeinde von vornherein ein Außenseiter. Ir- gendwie wollte keiner von den anderen Jungen und Mädchen etwas mit ihm zu tun haben. Das mag daran gelegen haben, dass er auf eine andere Schule ging als sie. Außerdem waren seine Eltern erst vor einem Jahr in die Gemeinde gezogen. Jedenfalls wollte schon in der ersten Konfirmandens- tunde keiner neben ihm sitzen. Sie behandelten ihn, als hätte er eine ansteckende Krankheit. Für die Konfirmandenfreizeit hatte sich die Pfarrerin vorgenommen, diese für junge Christen unmöglichen Beziehungsprobleme anzusprechen und nach Möglichkeit zu lösen. Sie konfrontierte die Gruppe - als Marco nicht dabei war - mit ihrem abweisenden Verhalten dem einen gegenüber. Es war kein leichtes Stück Arbeit, aber schon als sie von der Freizeit nach Hause fuhren, gingen ei- nige aus der Konfirmandengruppe auf Marco zu. Es war ein zaghafter und ein wenig unbeholfener Anfang - aber es war ein Anfang! Später bei der Vorstellung und dann bei der Konfirmation merkte keiner der Angehörigen der Konfirmanden, dass da irgendwann einmal ein Problem in der Gruppe gewesen war. - Geht hin und sagt weiter: „Aussätzige werden rein!“ Er war nun einmal nicht fromm, der junge Mann, der da durch seine Freundin auf eine Bibelrüstzeit für junge Christen geraten war. Er hatte das ja auch vorher deutlich gesagt! Nicht nur seiner Freun- din, auch dem Leiter der Rüstzeit. Aber dann wollte er sich doch nicht bei den täglichen Andachten und Bibelarbeiten ausschließen. Also saß er so dabei ... Seltsam war das: Am dritten Tag sprachen sie über den Zöllner Zachäus, den Jesus auf dem Baum sitzen sah ... und den er einfach angespro- chen hatte: „Du, Zachäus, ich will heute in deinem Haus zu Gast sein!“ Der junge Mann wusste nun auch nicht warum, aber diese Geschichte sprach mit ihm, sie rührte ihn und zeigte ihm, dass es bei der Frömmigkeit, wie er es nannte, gar nicht allein auf ihn ankam. Zachäus hätte ja nie gedacht, was dann geschehen war: Dass nämlich Jesus zu ihm kam und sich ihm zuwandte. Nicht bei allen, aber noch bei einigen der Geschichten, die sie besprachen, musste er in den übrigen Freizeittagen immer wieder denken, sie wären gerade für ihn erzählt. Und für ihn selbst kaum zu glauben - am Ende fand er gar nichts mehr dabei, als seine Freundin fragte, ob er nicht im nächsten Jahr wieder mitfa- hren wolle? - Geht hin und sagt weiter: „Taube hören!“ Und sicher jede Christin und jeder Christ kennt mindestens einen Menschen, der lange Zeit, viel- leicht Jahrzehnte seines Lebens, ganz und gar nicht zugänglich war für die Botschaft von Jesus Christus! Irgend ein Ereignis tritt ein, die Menschen machen eine bestimmte Erfahrung und alles ist anders. Sie beginnen nach Gott zu suchen. Sie wollen Antworten auf die letzten Fragen. Und viel- leicht gehen sie uns ein wenig unangenehm an und wollen wissen, was wir denn glauben. Es ist, als wären sie aus einer gewissen Starre erwacht und lebendig geworden. Und sie ruhen nicht eher, bis sie wissen, wofür sie immer schon da sein sollten und bis sie die Mitte und den Sinn ihres Lebens gefunden haben. Geht hin und sagt weiter: „Tote stehen auf, und Armen wird das Evangelium ge- predigt.“ Liebe Gemeinde! Ich denke doch, dass wir heute genauso wie damals, Zeuge dieser Jesuswunder werden können. Und wer weiß, vielleicht hat der eine oder die andere von uns, die wir jetzt hier sitzen, ja am eige- nen Leib ein solches Wunder erfahren? Nicht alle von uns waren ja schon immer so nah bei IHM ... Wahrhaftig: „Selig, wer sich an ihm nicht ärgert!“ Er hat seltsame Methoden. Er wartet gar nicht immer so lang, bis wir zu ihm kommen. Er tritt uns einfach in den Weg und sagt uns: Du, ich brauche dich. Ich habe eine Aufgabe für dich. Du musst dein Leben ändern - aber ich helfe dir da- bei. Das Wunder, dass er nicht abwartet, bis wir ihn finden, ist für mich mindestens ebenso groß wie die anderen: Dass auch heute noch Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige rein werden, Taube hören, Tote aufstehen, und Armen das Evangelium gepredigt wird! AMEN