4. Predigt zu Figuren aus der Passionsgeschichte - 21.03.2004 Liebe Gemeinde! Der vierte Sonntag der Passionszeit, die vierte Figur aus der Leidensgeschichte Jesu. Es ist eine Frau, von der wir in der Heiligen Schrift nicht sehr viel hören. Das kommt weniger von daher, daß sie so unbedeutend wäre, sondern es liegt daran, daß in biblischer Zeit die Männer das Sagen hatten und die Frauen weniger beachtet wurden. Das muß man auch von den Evangelisten sagen. Daß sie auch alle Männer sind, spricht für sich: Matthäus, Markus, Lukas, Johannes... Ich will also heute eine Frau in die Mitte stellen: In die meiner Predigt und unserer Gedanken. Ich folge damit dem Beispiel Jesu, der zwar auch ein Mann war, der doch aber die Frauen nicht weni- ger wert geachtet hat als die Männer. Davon bekommen wir ja auch im Evangelium einen Eindruck, selbst dann noch, nachdem die Geschichten seines Wirkens durch die Köpfe und Federn der Män- ner gegangen sind, die sie aufgeschrieben haben. Aber - da kommt mir eine Idee - lassen wir doch einmal die Frau, um die es heute geht, selbst sprechen. Das ist ja sicher mehr als nötig, daß auch einmal eine Frau zu Wort kommt, wo wir sonst alles nur von Männern aufgezeichnet und überlie- fert bekommen haben. Ja, lassen wir sie jetzt selbst reden. Sie mag uns erzählen, wer sie ist und was sie mit diesem Jesus von Nazareth erlebt hat. Maria Magdalena (vielleicht gelesen von einer Sprecherin!?) erzählt: Mein Name ist Maria. Weil ich aus dem kleinen Ort Magdala gebürtig bin, haben mich die anderen Jünger und Jüngerinnen Maria Magdalena genannt. Ja, ihr habt richtig gehört: Es gab auch Jünge- rinnen! Nur wurden wir in der Bibel damals unterschlagen. Die Zeit war noch nicht reif dafür, uns wahrzunehmen und angemessen zu behandeln. Manchmal denke ich: Auch für Jesus und wie er mit uns Frauen umging, war die Zeit noch nicht reif! Er war so ganz anders, so ohne jeden Dünkel und ohne Herablassung... Aber der Reihe nach: Das war ein ganz besonderer Tag, als er in mein Leben getreten ist. Gleich das erste, was mir aufgefallen ist, er hat mich gegrüßt, ganz persönlich, er hat nicht den Mann ge- meint, dem ich damals angehörte, sondern mich: "Sei gegrüßt, Maria!", hat er gesagt. Das war nicht nur völlig ungewöhnlich, das galt auch als beschämend für einen Mann, wenn er eine Frau grüßte - auch noch als erster! Und dann - das habe ich hinterher erst erfahren - er war auch noch ein Rabbi, ein verehrungswürdiger Gesetzeslehrer! Aber das ging so weiter. Es blieb nicht bei dieser ersten Überraschung. Er hat mit mir gesprochen, sich nach mir erkundigt, es war ihm wichtig, was ich dachte und fühlte... Er hat sehr schnell ge- spürt, daß ich nicht gesund war. Ich galt als von Dämonen besessen. Ihr sagt dazu heute: Ich hatte keinen gesunden Geist, meine Seele war krank. Als Jesus damals so freundlich mit mir gesprochen hat, da war mir im Augenblick besser zumute: Da hatte einer Interesse an mir persönlich, dem war wichtig, wie es mir ging, für den war ich nicht bloß eine Frau, die unbedeutende Gattin eines Man- nes... Versteht ihr, was ich meine? Ich habe damals empfunden, wie mir das bis dahin immer ge- fehlt hatte: Als Mensch geachtet zu sein, etwas gelten, ein Wesen haben, eine Meinung und ein Ur- teil über die Dinge, nach denen jemand fragte. Jesus war für mich der - der erste! - der mich sah und wahrgenommen hat und mich nach dem befragte, was ich war und wie ich dachte. Ich glaube, nein, ich wusste hernach: Das war meine Krankheit gewesen all die Jahre: Eine Frau sein zu müs- sen in der Männerwelt damals, eine Frau...ohne Eigenschaften, ohne Ansichten, ohne jede Bedeu- tung...ein Niemand, ein Nichts. Jesus hat mich gesund gemacht! Er hat mich gesehen und ange- sprochen. Er gab mir das Gefühl: Ich bin eine Frau und ich gelte doch als ein Mensch! Damit fing es an: "Gegrüßt seist du, Maria!" Und von da an bin ich mit ihm durch die Dörfer und Städte gezogen. Mit vielen anderen Männern und Frauen - auch wenn ihr bis heute nur von den Männern gewusst habt: Petrus, Jakobus, Johannes, Andreas... Aber es gab da auch mich in seiner Nähe und noch eine Maria und Martha und viele andere! Aber das ist nicht alles, was man euch nicht oder nicht genügend überliefert hat. Auch so manches an Jesus hat man euch vorenthalten, so viele Gefühle, die er hatte: seine Angst, seinen Schmerz und seinen Zorn, so vieles halt, was doch menschlich ist. Aber sicher ist das auch die "Männersicht" der Evangeliumsschreiber, daß ihr davon so wenig lesen könnt, viel zu wenig. Ich will euch jetzt ein paar dieser Ereignisse und Gelegenheiten berichten, über die ihr bisher zu wenig wisst, besonders, was die Gefühle und was den Menschen Jesus angeht; ich will mich dabei nur auf die letzte Geschichte seines Leidens und Sterbens beschränken, schon da wird euch viel- leicht ein Bild von Jesus aufgehen, das ihr nicht kanntet: Ich will beginnen mit dem Einzug in Jerusalem. Es war ja wirklich nicht besonders großartig, wie er da auf dem Esel geritten kam. Aber wie hat er sich gefreut, als sie ihn so freundlich, ja, begeistert aufnahmen! Ich habe es in seinem Gesicht gelesen: Als sie ihm ihr Hosianna zuriefen, da hat er ge- glaubt, daß vielleicht doch noch alles gut werden kann. Niemals hätte er in diesem Moment denken können, daß ihm dieselben Leute nur fünf Tage später ihr "Kreuzige" entgegenbrüllen würden! Er traute den Menschen so viel Gutes zu! Dann ritt er zum Tempel. So wütend wie da habe ich ihn niemals vorher und auch in den Tagen, die noch kamen nie wieder gesehen. Ich denke, das verstanden auch nur wenige, warum er sich so über die Händler und Wechsler in Gottes Tempel aufregte. Aber ich begreife ihn und ich begriff auch damals: Es ging ihm um die Ehre Gottes! Da wo Gottes Majestät angebetet werden soll, feilschten sie um Geld und Gewinn. Dort wo sein Vater im Himmel versprochen hat zu reden und zu hören, übertönte das Geschrei der Opfertiere und das Klimpern der Münzen jedes Gebet. Die Menschen verspotteten den Höchsten! Sie benutzten ihn und sein Haus nur noch für ihre Zwecke! Das machte Jesus zornig und das konnte und kann ja auch den Frömmsten rasend machen! Wo soll das hinfüh- ren, wenn die Menschen Gott nur noch benutzen und als Förderer und Garanten ihres Wohlstandes missbrauchen!? Am Ende denken dann die Leute nur noch an Gott, wenn es ihnen schlecht geht und sie Bitten und Wünsche an ihn haben! Doch, ich verstehe den Zorn Jesu! Auch beim letzten Abendmahl mit den Jüngern und dann im Garten Gethsemane war ich in der Nähe! Wir Frauen hatten ohnedies - wie das ja auch noch bei euch üblich ist - alles für das Essen vorbereitet. An diesem Abend hatte Jesus fast abgeschlossen mit seinem Schicksal. Beim Mahl selbst war ich nicht dabei, aber ich habe ihn dann hinübergehen sehen in den Garten, kurz nachdem Judas die Gesellschaft der anderen verlassen hatte. Die Enttäuschung in seinen Zügen! Einer seiner engsten Freunde würde ihn verraten! Und nur des Geldes wegen. Da hatte er von der Liebe gepre- digt und die Menschen heil und gesund gemacht. Da hatte er doch mit seiner ganzen Lebensweise gezeigt, daß man mit dem Vertrauen zu seinem himmlischen Vater weiterkommt, als mit einer stets gefüllten Geldbörse. Da hatte er so oft vorgeführt, daß allein der Glaube an Gott trägt und hält. Und nun das: Einer lieferte ihn aus für 30 Silberstücke. Einer schlug alles in den Wind und spuckte dar- auf, was er bei ihm gesehen und erfahren hatte - für eine Handvoll Münzen. Ich glaube, in dieser Nacht hat er sehr schmerzlich lernen müssen, zu was Menschen alles fähig sind! Vom Fenster aus habe ich ihm nachgeschaut. Es war eine helle Nacht damals und so konnte ich ihn sogar noch drüben im Garten Gethsemane knien sehen, wie er betete und weinte und Angst hatte. Wie übergroß muß diese Angst gewesen sein! Einen so qualvollen Tod vor Augen. Verraten von einem Freund, übergeben an rohe Soldaten, gepeitscht, durchbohrt und zu Tode gefoltert. Ach und wir wollen Petrus nicht vergessen: Der hat es auch nicht geschafft, bei Jesus auszuhalten. Verleug- net hat er ihn, gleich dreimal. Er hat es mir später mit Tränen in den Augen gestanden. Wenigstens geweint hat er. Das nächste Mal, daß ich Jesus gesehen habe, war, als er die Straße hinauf zum Hü- gel gegangen ist. Nur ein kurzes Stück konnte er sein Kreuz tragen. Er war nicht so stark...äußerlich meine ich. Ein Fremder hat es ihm abnehmen müssen. Aber es war ja auch so alles furchtbar schwer: Die geifernde Menge, die Leute, die auf Sensationen aus waren, der Schmerz der Nägel, das grenzenlose Leiden am Kreuz erwarten müssen... Was ich oben auf Golgatha miterlebt habe, mitgelitten habe...ich kann und will nicht darüber spre- chen. Das ist über alles gegangen, was sich mit Worten sagen läßt. Dieses Leid dort am Holz muss- te genug sein, um alle Schuld dieser Welt, alle Bosheit der Menschen abzutun. Dieses Opfer hat Gott versöhnt. Ich will schließen mit der großen Freude am Ostermorgen: Ausgerechnet mich, eine Frau, hat Jesus gewürdigt, daß ich ihn als erste nach seiner Auferstehung sehen sollte. Ich durfte es sein. Ich sollte die Nachricht seinen Jüngern weitersagen, ich, eine einfache Frau...den Männern, seinen Jüngern...