3. Predigt zu Figuren aus der Passionsgeschichte - 14.03.2004 Liebe Gemeinde, heute ist schon die dritte Figur aus der Passionsgeschichte dran. Es ist der, von dem immer wieder gefragt wird, warum er ins Glaubensbekenntnis gekommen ist und manchmal denken wir, er hätte auch in der Passionsgeschichte nichts verloren. An mindestens einer Handlung aber, die er tut, kommen wir nicht vorbei. Ich meine, wie er sich die Hände im Wasserbecken wäscht, als er das Ur- teil über Jesus bestätigen soll. Eine Zeichenhandlung, mit der er sagen will: Ich bin nicht schuld an seinem Blut. Und noch heute ist das bei uns ja sprichwörtlich: "Ich wasche meine Hände in Un- schuld!" Noch verbreiteter allerdings ist das entsprechende Verhalten - auch wenn wir uns nicht immer die Hände dabei waschen. Sie wissen jetzt auch, von wem ich heute sprechen will: Von Pila- tus, dem Statthalter in Jerusalem. Aber hören wir seine Geschichte, wie sie in der Bibel erzählt wird: Textlesung: Mt. 27, 15 - 26 Zum Fest aber hatte der Statthalter die Gewohnheit, dem Volk einen Gefangenen loszugeben, wel- chen sie wollten. Sie hatten aber zu der Zeit einen berüchtigten Gefangenen, der hieß Jesus Barabbas. Und als sie versammelt waren, sprach Pilatus zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen soll ich euch los- geben, Jesus Barabbas oder Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus? Denn er wusste, dass sie ihn aus Neid überantwortet hatten. Und als er auf dem Richterstuhl saß, schickte seine Frau zu ihm und ließ ihm sagen: Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; denn ich habe heute viel erlitten im Traum um seinetwil- len. Aber die Hohenpriester und Ältesten überredeten das Volk, dass sie um Barabbas bitten, Jesus aber umbringen sollten. Da fing der Statthalter an und sprach zu ihnen: Welchen wollt ihr? Wen von den beiden soll ich euch losgeben? Sie sprachen: Barabbas! Pilatus sprach zu ihnen: Was soll ich denn machen mit Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus? Sie sprachen alle: Lass ihn kreuzigen! Er aber sagte: Was hat er denn Böses getan? Sie schrien aber noch mehr: Lass ihn kreuzigen! Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu! Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder! Da gab er ihnen Barabbas los, aber Jesus ließ er geißeln und überantwortete ihn, dass er gek- reuzigt werde. Ich könnte über dieses Verhalten und diese Geschichte bis Ostern durchpredigen! Wenigstens aber bis Karfreitag. Nicht weil diese Art, sich fein herauszuhalten, so schön wäre, sondern weil ich mei- ne: Das ist arg verbreitet in unserer Zeit. Und weil ich überdies finde, die Menschen merken es oft gar nicht mehr, wie sie sich herausziehen wollen, wo sie doch mittendrin und mit schuldig sind... Aber ich will jetzt ein paar Beispiele geben. So sieht dieses "Händewaschen" in unseren Tagen aus: Ein alter Mann hat vor einem halben Jahrhundert seine Frau und seine Kinder verlassen. Jetzt, da seine Lebensuhr unablässig abläuft, liegt seine Schuld von damals immer drückender auf seinen Schultern. Aber er spricht sie nicht an und nicht aus - er versucht immer noch zu erklären, zu be- schönigen, wirbt um Verständnis, macht allen, die es hören wollen, weiß, er meine immer noch, er habe sich damals richtig verhalten... Und - merkwürdig - er sucht geradezu nach Menschen, denen er seine Geschichte erzählen und vor denen er sich dann mit Worten reinwaschen kann. Eine Frau in den mittleren Jahren hat mit ihrem Geschwätz schon einige Menschen gegeneinander aufgebracht, Nachbarn entzweit und Kollegen zu Feinden gemacht. Inzwischen erzählen ihr die Leute kaum noch etwas. Also erfindet sie, was sie dann austrägt, bauscht Kleinigkeiten auf und biegt Halbwahrheit zur Wahrheit um. Spricht man sie darauf an, dann antwortet sie im Klageton: Ich habe doch nichts damit zu tun! Was ich weitergegeben habe, das habe ich selbst genauso ge- hört! Ich bin doch nicht schuld daran, was andere machen! Ich habe doch nur gehört und weiterge- sagt... Und viele Jugendliche stehlen heute oder sind gewalttätig, ohne das geringste Unrechtsbewusstsein. Das macht doch dem Kaufhaus nichts, wenn da jetzt ein Kassettenrekorder fehlt! Wenn ich die Scheibe eingeworfen habe, na und, mein Vater zahlt doch Steuern und wir sind haftpflichtversi- chert! Oft können wir auch hören, dass die Gesellschaft oder die Erziehung der Eltern doch schließ- lich dafür verantwortlich ist, wenn einer ein Dieb wird. Damit reden sich junge Menschen heute schon selbst heraus: Ich kann doch nichts dafür! Das müssen Sie meinem Vater vorhalten, doch nicht mir. - Und auf der anderen Seite stehen dann die Eltern, die natürlich auch nichts für ihre Er- ziehung an ihren Kindern können: Ich habe das damals auch nicht anders erlebt, als ich so klein war wie mein Kind heute! Schon meine Mutter hat nie Zeit für mich gehabt...und ich habe auch keine. Neulich hat ein Vater zur Lehrerin seines Kindes allen Ernstes gesagt: Warum soll es mein Sohn besser haben als ich? Sie spüren jetzt auch, warum man damit nie zuende kommt: Man kriegt den eigentlich nie zu fas- sen, der schuld ist. Immer wenn du denkst, jetzt hast du ihn, dann streckt der den Finger und sagt: Der ist es doch gewesen, ich doch nicht, schon meine Mutter hat doch...die Gesellschaft war's, die Heimkarriere, auf mich hat auch nie einer Rücksicht genommen, die Umstände haben mich zum Dieb werden lassen, Herr Richter, die Versuchung war zu groß, der Teufel muß seine Hand im Spiel gehabt haben... Aber doch nicht ich! - Her mit dem Wasserbecken! Ich wasche meine Hände in Unschuld! Ja, und da steht er, Pilatus. Gleich wird er seine Hände eintauchen und sich einreden: Ich bin doch nicht verantwortlich für das, was hier geschieht. Das Volk ist es! Sie haben ihn doch kreuzigen wol- len! Die Soldaten sind es! Sie werden es ausführen! Der Hohepriester ist es! Er hat diesen seltsa- men König doch schließlich zu mir geschickt und verlangt, dass ich ihn verurteile... Und so geht es durch alle Zeiten, bis heute: Pilatus taucht seine Hände ein und dünkt sich frei von aller Schuld und aller Verantwortung. So war Pilatus damals und so ist er bis heute! Und damals wie heute stehen sie sich gegenüber: Der eine, der sich die Hände wäscht und doch schuldig ist am Blut des anderen - und eben Jesus, unschuldig und gut, der niemandem etwas zulei- de getan hat, der aber die Schuld des anderen - und die aller Menschen - auf sich nimmt. Es wird sein Blut kosten. Liebe Gemeinde, was kann man jetzt sagen? Was soll ich predigen, was nicht schon bis hierher ganz klar geworden ist? Was auch sollte uns deutlich werden, was nicht schon unser Gewissen laut genug und wieder und wieder sagt und oft gesagt hat? Schon Pilatus hat es gespürt: Du bist der, der alles in Händen hat. Du hättest alles wenden können. Du hast die Macht. - Und darum hast du jetzt Schuld, kein anderer, du weißt es! - Warum wäscht er sich denn die Hände? Warum bedarf es denn dieser Geste? Welchen Schmutz will er denn abwischen, wenn doch keine Schuld an ihm haftet? Welches Blut klebt denn an ihm? Noch lebt dieser Mensch doch! Aber er wird ihn ans Kreuz brin- gen und er, Pilatus, wird verantwortlich sein. Er weiß es! Und wir? Spüren wir es nicht auch? Es mag ja sein, wir haben schon einige Übung darin, unsere innere Stimme zu übertönen, zum Schweigen zu bringen, mit unseren Entschuldigungen zu ver- harmlosen. Mag ja auch sein, dass wir umgeben sind von Menschen, die es genauso versuchen, mit ihrer Schuld und ihrer Verantwortung fertigzuwerden. Die Wahrheit ist nur: Es geht nicht. So nicht! Und wir merken es genau, dass es nicht geht. Unser Gewissen wird nicht frei, das Herz nicht leicht und die Hände nunmal nicht sauber, da können wir waschen und waschen. Und auch das spüren wir: Es genügt nicht einmal, neu und anders anzufangen. Hätte Pilatus auch in seinem ganzen weiteren Leben, keinen Menschen mehr ans Kreuz gebracht, so hätte ihm doch das Blut Jesu weiter angehaftet! Und wäre der alte Mann, von dem ich erzählt habe, nachdem er seine Familie im Stich gelassen hatte, auf wundersame Weise vor weiterer Schuld bewahrt geblieben, so wäre diese Bosheit doch nicht ungeschehen gemacht. Und würde die Frau künftig nie mehr schwät- zen und die Leute lügnerisch austragen, so hätte sie doch schon so großes Unheil angerichtet, dass es für ein ganzes Leben reicht! Und die Jugendlichen, die stehlen, die Eltern, die in der Erziehung versagen und und und... Nicht einmal die Umkehr - wenn sie uns wirklich gelänge - würde auslöschen, was gewesen ist...an Schuld, an Gemeinheit und dunkler Verantwortung, die wir auf uns geladen und zu tragen haben. Gott sei Dank ist da der andere, dieser seltsame König, den sie mit Dornen gekrönt haben, der die Leidensstraße bis zum Ende gehen wird, der schuldlos sterben wird an der Schuld der anderen. Nur bei ihm können wir frei werden! Nur bei ihm ist uns ein neuer Anfang gegeben. Weil er unsere Schuld nicht verharmlost, nicht verdrängt, nicht abweist und auf andere schiebt! Er trägt sie - für uns. Und - ganz tief in unserem Herzen wissen wir es - das ist der einzige Weg, mit Schuld fertig- zuwerden. Solange sie nur geleugnet wird, solange wir nur so tun, als wäre sie nicht da, wird sie immer wieder hervorkommen, durchscheinen durch unsere weiße Weste. Wir können sie nur selbst tragen und abtragen oder abgeben. In diesem Dorngekrönten ist uns von Gott der geschenkt, dem wir alle Schuld aufladen dürfen. Ihm können und sollen wir sie geben - dann wird sie uns vergeben. Er wird sie ans Kreuz tragen und dort wird sie durch seinen Tod abgetan. In seinem Blut dürfen wir uns reinwaschen. Anders geht es nicht. Und wir wissen es; unser Gewissen sagt es uns: Wahrhaftig - so heißt es bei Jesaja - er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schuld und durch seine Wunden sind wir geheilt. Durch alle Zeiten hindurch stehen sie sich gegenüber: Der Pilatus damals und der Pilatus unserer Tage, der sich reinwaschen will...und der Christus Gottes, der uns gemacht ist zum Opfer und zur Vergebung. Ihm dürfen wir alle Schuld auf die Schultern laden und er wird sie hinauftragen ans Holz. - Pilatus oder Christus - auf welcher Seite stehen wir?