Predigt in der Christnacht - 24.12.1999 Hinweise: Die Predigt kann von einem/r Prediger/in gehalten werden, oder man kann sie zu zweit oder zu dritt vortragen. Während eines Schlußliedes verteilen die, die zuvor die Predigt gehalten haben, einen Papierstern mit einem ermutigenden Bibelwort bedruckt, in den durch zwei Schlitze ein kleiner Strohhalm gesteckt wurde. Wichtig: Die Sterne werden überreicht - und nicht von den Christmette-Besuchern selbst genommen! Textlesung zur Einstimmung: Lk. 2,1-14 Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt ge- schätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthal- ter in Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürch- teten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. Liedstr.: EG 37,1 Liebe Gemeinde, dies ist eine Nacht voller Wunder: Der große Gott kommt zur Welt. Nicht als mächtiger Herrscher, sondern als hilfloses Kind. Seine Eltern sind einfache Leute. Der Vater ein Zimmermann, die Mutter eine kleine Magd. Und nicht einmal verheiratet sind die beiden miteinander. Seine erste Wohnung ist kein Palast. Sein Bettchen ist ein Futtertrog. Nicht Daunen halten ihn warm, sondern Stroh. Die ers- ten Gäste sind das Bettelpack von Bethlehem. Hirten, Tagelöhner, verachtete Sterndeuter, vor de- nen sich rechtschaffene Menschen in acht nahmen. - Aber diesem Kind singen die Engel. Den Ar- men, die in Lumpen gehen, gilt ihre Botschaft von der großen Freude zuerst. In Stall und Krippe be- ginnt der Erlöser der Welt. Wirklich: Eine Nacht voller Wunder! Liedstr.: EG 37,2 Und wunderbar paßt auch eine Geschichte aus alter Zeit in diese Szene. Es ist eine Legende...aber warum soll denn nicht in dieser Nacht, da die Engel über einem Viehstall singen und die Hirten dem Herrn der Welt an einer Futterkrippe ihre Aufwartung machen, warum soll denn nicht, wie es erzählt wird, auch ein Wolf beim Kind zu Besuch gewesen sein? Es war ein großes, graues Tier, der Leit- wolf seines Rudels, der da wohl erst einige Male den Stall schleichend umrundet hatte. Er wollte ja niemand ängstigen, aber gar zu gern hätte er doch auch das Kind gesehen. Wir können uns denken, wie die Schafe in der Nähe des Stalles in ihrem Pferch unruhig mit den Füßen scharrten. Auch Ochs und Esel hatten den Grauen schon lange gewittert. Wohl ein Dutzend Mal hatte der nun schon einen Anlauf gemacht - da faßt er sich endlich ein Herz, steckt erst den Kopf durch die Tür und dann - in einem Augenblick, in dem keiner aufmerksam ist - den ganzen mächtigen Leib. Und geduckt kriecht er zur Krippe, hebt dort den grauen Kopf mit den funkelnden Augen, in denen seine ganze Wildheit leuchtet, sieht das Kind und spürt es bis tief hinein in sein Herz: Mit diesem Kind wird Neues in die- ser Welt beginnen. Alles wird anders sein von nun an. Das Oberste ist zuunterst gekommen. Gott liegt da im Trog. Engel singen über einem Stall. Alle Wunder werden möglich! Ein Wolf wird kein Wolf mehr sein. Ein Schaf kein Schaf und ein Hase kein Hase mehr. Und da fühlt der Wolf auf ein- mal das Händchen des Kindes in seinem Nacken. Ganz sacht streicht es ihm über den Pelz. Und eine neue, nie gekannte Wärme rieselt ihm durch den Leib. Und er weiß es: Auch er wird nicht mehr der- selbe sein von jetzt an. Und als er sich wendet und nun leise, wie er gekommen ist, durch die Stalltür hinaus ins Dunkel glei- tet, da hat ihn keiner gesehen, Maria nicht und Josef nicht, die letzten späten Gäste an der Krippe nicht, nur das Kind - das aber sagt es nicht und hat's später nie einem Menschen gesagt. Der Wolf aber, als er zurückkehrt zu seinem Rudel, bemerkt, daß in seinem Fell, gerade da, wo ihn das Kind so zart berührt hat, ein Strohhalm von der Krippe hängen geblieben ist. Und noch mehr bemerkt er: Er ist nicht mehr der Wolf, der er war, denn er kann nicht mehr beißen! Schon wenn er die Zähne blecken will, da kann er's nicht mehr. Nie mehr in seinem Leben, konnte er einem anderen Wesen ein Leid zufügen. Nie mehr, solange der Strohhalm von der Krippe des Kindes in seinem Pelze hing, konnte er jemandem wehetun. In der Nacht der Wunder, war auch an ihm ein Wunder geschehen. Liedstr.: EG 37, 3 Gewiß, nur eine Legende. Vielleicht war damals kein Wolf im Stall von Bethlehem. Vielleicht also ist die Geschichte nicht wirklich so geschehen...aber warum soll sie nicht wahr sein? Auch wir, liebe Gemeinde, sind ja nicht wirklich an der Krippe unseres Herrn heute...und doch singen wir es im Lied: Ich steh an deiner Krippe hier... Warum also soll nicht auch für uns wahr werden, was der Wolf in jener ersten heiligen Nacht erfahren hat? - Fühlen wir es nicht auch? Dieses Kind ist Gott. Ganz tief steigt er herab aus seinem Himmel, bis hinunter zu uns. Und er wohnt nicht in Palästen. Den Futtertrog wählt er für sich. Und mit ganz einfachen Leuten hat er zuerst zu tun. Mit Hirten, mit den Armen, mit Schuldigen und Belasteten...mit uns. Wunder über Wunder. Wir stehen jetzt auch an seiner Krippe. Vielleicht haben wir uns auch erst nicht getraut, wie der graue Wolf. Wir fan- den, wir wären ihm vielleicht nicht recht? Zu ängstlich, nicht würdig, zu viel Schuld in unserem Her- zen, nicht fromm genug oder was wir sonst noch gedacht haben. Aber jetzt sind wir hier, haben uns überwunden, wie der graue Wolf, schauen dem Kind ins Gesicht und spüren, wie es uns berührt... Und es geht uns tief ins Herz und wir wissen es: Alles wird anders sein von nun an. Das Oberste ist zuunterst gekommen. Gott liegt da im Trog. Alle Wunder werden möglich! Ein Ängstlicher wird keine Angst mehr haben. Eine, die Schuld auf sich geladen hat, ist frei. Wer bis heute Freude daran hatte, andere zu beschweren, wird einfühlsam werden. Die von sich geglaubt haben, keiner hätte gern mit ihnen zu tun, die wissen es von nun an: Wir sind Gottes Menschen, die er ganz besonders liebhat. Arme werden reich durch ihn. Geplagte atmen auf. Von den Überarbeiteten fällt alle Be- triebsamkeit ab. - Keiner, der an seiner Krippe gewesen ist, wird je noch derselbe sein! Das Wunder geschieht! Liedstr.: EG 37, 4 Und so wird in dieser freundlichen Nacht von seiner Krippe ein Segen mit uns gehen, wie damals der kleine Strohhalm im Pelz des Wolfs. Wir werden keine Furcht mehr haben, weil Gott ja in diesem Kind bei uns ist. Wir werden freundlich mit allen Menschen reden und umgehen, weil Gott ja so freundlich zu uns ist. Wir lassen alle Schuld, die uns je bedrückt hat, an seiner Krippe zurück und können selbst wie die Neugeborenen werden und neu beginnen. Wir kommen los aus einem Leben, das nie so recht unseres war und können Neues probieren, nie betretene Wege gehen und uns selbst und unserem Wesen bis heute ganz neue Seiten abgewinnen. Wir werden die Kraft haben, Beziehun- gen zu den Menschen, neu aufzunehmen oder - wo sie einmal zerbrachen - wieder anzuknüpfen. Wir sind nicht festgelegt auf alles, was bis heute war - Gott legt sich auch nicht fest auf den Himmel und die Macht, er wird ein ohnmächtiges, hilfloses Kind. Kein Tag von heute an wird leer sein und uner- füllt. Wir werden Aufgaben haben an den Menschen: Gottes Segen, der von heute mit uns geht, wird uns zu denen führen, die uns brauchen, deren Not gerade wir wenden und deren Schicksal gerade auf uns wartet. Der Segen Gottes geht mit uns in dieser Heiligen Nacht. Der Wolf wird nicht mehr beißen. Das Lamm wird nicht mehr furchtsam sein. Und auch wir werden anders sein und neu und so, wie Gott uns schon immer gemeint hat. Wie der Strohhalm im Pelz des Wolfes wird bei uns bleiben, was uns in dieser Nacht berührt hat: Gott wird Kind. Der Himmel kommt zur Erde. Die Engel singen von ei- ner großen Freude. Alles wird noch einmal gut. Tausend Wunder sind möglich. Segen begleitet uns...das Wunder geschieht auch an uns... Liedstr.: EG 37, 5 + 9