Predigt am Sonntag "Okuli" - 2.3.1997 Thema: "Warum läßt Gott uns leiden?" (Gehört zur Predigt: "03passion.txt" - Thema: "Warum läßt Gott das Böse zu?") Liebe Gemeinde! Diese Frage war letzten Sonntag offen geblieben. Vielleicht konnten sie ja mitge- hen, wenn ich sagte: Es ist so viel Böses in der Welt, weil wir frei sind, zu wählen und zu entschei- den, Recht oder Unrecht, Gut oder Böse, mein Wille oder Gottes Wille. Und wir sind frei, weil Gott uns so haben will, nicht Marionetten, die wie an Fäden seinen Händen folgen müssen. Gott will freie Menschen, die ihn liebhaben, ihm gehorchen, ihn ehren - weil sie selbst das wollen! Wie gesagt, vielleicht konnten sie dazu ja sagen, vielleicht deckte sich das mit ihrer Lebenserfah- rung... Warum aber müssen so viele - unschuldige Menschen - Böses leiden? Was hat das Kind ge- tan, das dem modernen Straßenverkehr nicht gewachsen ist und unter das Auto kommt. Der Fahrer mag verantwortlich sein: Zu schnell gefahren, nicht aufgepaßt, alkoholisiert...aber das Kind, das un- ter den Rädern seines Wagens stirbt??? Kriegsopfer kommen uns in den Sinn, für immer verkrüppelt oder sonstwie geschädigt, Millionen, die im Krieg gefallen sind oder in Gefangenschaft starben.- Warum dieses Leid? Die Politik, die zum bewaffneten Konflikt führt, die Hetze der Kriegstreiber und Geschäftemacher, der entscheidende Befehl der Generäle - dahinter könnten wir wohl Bosheit und Verantwortung sehen...aber bei den Opfern??? Und bei uns ganz persönlich - gibt es da nicht auch Schmerz und Leid, die wir nicht begreifen, die wir mit dem gütigen Gott nicht zusammenrei- men können? "Persönlich"- das scheint mir überhaupt das entscheidende Stichwort. Ich glaube, ich kann nicht über das Leiden der anderen Leute sprechen und dann gar zu deuten versuchen: Das kommt davon... Du mußt da hindurch, weil... Persönlich wird gelitten. Jeder für sich...allein? - Wir wollen sehen. So will ich hier jetzt Menschen zu Wort kommen lassen, die leiden müssen, bzw. mußten. Hinter je- dem Beispiel, das ich wähle, steht ein Stück Wirklichkeit, wie ich sie erlebt habe. Vielleicht hilft uns das Erlebnis und das Bekenntnis anderer, die leiden müssen, mit dem eigenen Leid fertigzuwerden? Lassen wir sie selbst reden: (Ein alter Mann auf dem Sterbelager, Krebs in letzten Stadium) "Wissen Sie, Herr Pfarrer, mein Leben war nicht so... Immer viel geschafft, von morgens bis abends...ich habe auch einiges erreicht! Aber was nützt mir das jetzt? Wenn die Gesundheit nicht mehr da ist! Über Gott und den Glauben habe ich mir früher nie Gedanken gemacht. Dazu ist später noch Zeit, dachte ich immer.- Jetzt bleibt auf einmal keine Zeit mehr. Ich denke, Gott straft mich jetzt - mit dieser Krankheit, mit diesen Schmerzen... Aber ob er am Ende doch so einen wie mich noch brauchen kann? Ob Gott mir diese schwere Zeit schickt, damit ich doch noch begreife, mich doch noch 'bekehre', wie ihr Pfarrer das nennt...was meinen Sie? Ob doch noch Hoffnung ist für ei- nen wie mich??? (Ein noch junger Mann, seit 5 Jahren im Rollstuhl) Das ging schnell, damals. Ich war im Urlaub am Meer in Griechenland. Dort habe ich mir Kinderlähmung geholt. Kurze Zeit später konnte ich mich nicht mehr bewegen - von der Hüfte abwärts. Die Verlobung ging damals in die Brüche. Das war furchtbar hart, aber es war wenigstens eine klare Entscheidung. Es ist immer wieder schwer für mich zu denken: Das wird nie mehr anders, keine Hoffnung... Aber irgendwie - ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können - irgendwie lebe ich heute intensiver. Ich war ja noch ziemlich jung damals, sehr oberflächlich und ungefestigt... Heute erkenne ich erst, was das heißt: Gesund sein, leben dürfen - ja, das Leben erscheint mir jetzt unendlich viel wertvoller, und ich bin dankbar, leben zu dürfen - selbst so... Sicher wäre ich gern gesund, würde gern laufen können und unbehindert sein. Aber ich möchte die Erfahrung doch nicht missen, die mir die Krankheit gebracht hat. Sie hat mir irgendwie die Au- gen geöffnet, wer ich bin und was mein Leben ist - auch wenn ich im Rollstuhl sitzen muß! (Eine alte Frau im Krankenhaus, Siechtum seit einem Schlaganfall) Ach, der Herr Pfarrer, schön, daß Sie mich wieder einmal besuchen kommen - ich war in letzter Zeit viel allein. Allein - eigentlich stimmt das gar nicht! Ich mußte in den letzten Wochen viel an Jesus denken. Er hat ja doch auch schwer gelitten. Eigentlich hat er das alles auch durchgemacht...noch schlimmer vielleicht. Mich trö- stet das. Ich glaube, er ist mir nah, wenn die Schmerzen kommen und wenn ich nicht schlafen kann in der Nacht, wenn ich nach der Schwester rufe und keiner kommt... Es ist gut, das zu wissen: Er kennt das Leiden, er ist selbst auch da durchgegangen. Manchmal meine ich, ich fühle, daß er da ist, neben mir...ob das bloß Einbildung ist, Herr Pfarrer? Aber helfen tut es mir! Vielleicht ist ihnen das aufgefallen, liebe Gemeinde: Keiner der drei hat gefragt: Warum? Warum muß ich leiden? Ist das ein Zufall? Ob der Mensch, der selbst leidet, vielleicht gar nicht so fragt, nicht mehr so fragt, sondern nur wir...als Außenstehende?! Bekommen wir vielleicht Antwort, wenn wir selbst im Leid sind? Werden wir dann vielleicht auch persönlich erfahren, warum? Und hat nicht jeder von uns auch schon einmal wenigstens eine Ahnung davon bekommen, wofür auch das Leiden gut sein mag: Daß es mich zurechtbringt mit meinem Leben, solange dazu noch Zeit ist, daß es mir zeigt, wie wertvoll das Leben ist, daß ich den Beistand Jesu erfahre...und mancher hat persönlich noch ganz andere Erfahrungen gemacht... Nur gefragt: Warum? - das haben wir dann nicht mehr! Es mögen einige unter uns sein, die noch nie so tief hinunter mußten, die das Leid noch nie haben kennenlernen müssen. Vielleicht aber ist es gut, vorbereitet zu sein, gewappnet für das, was morgen schon eintreten kann. Und da ist es sicher gut zu wissen, daß wir, wenn wir leiden müssen, auch ei- nen Sinn finden werden - wenn wir uns den heute auch noch nicht vorstellen können. Mir persönlich scheint dabei am wichtigsten - und das muß gerade jetzt in der Passionszeit gesagt werden - daß unser Gott nicht irgendwo weltenfern im Himmel thront, sondern daß er selbst herun- tersteigt in die Tiefe des Lebens, noch tiefer als je einer von uns hinunter muß. Im Viehtrog fängt er an. Durch jegliches Leiden geht er - und endet am Kreuz. Fragen wir doch hier einmal: Warum? Warum leidet dieser Gott selbst? Warum erspart er sich das nicht? - Wir kennen die Antwort: Wüß- ten wir, du und ich, sonst: Daß wir im Leiden nimmermehr allein sind? Daß wir einen haben, der dann neben uns steht. Daß dann einer unsere Hand hält - und nicht losläßt? Und wüßten wir sonst, wohin es - durch das Leid hindurch - mit uns geht?: Nämlich diesem Jesus nach - durch das Leid, aber auch durch die Auferstehung - zum Leben, dorthin, wo kein Leid, keine Tränen, kein Schmerz mehr sein wird. Wir sollten das nie vergessen: Daß wir einen mit-leidenden Gott haben. Wer weiß denn, wann es für ihn soweit ist, daß er oder sie das wissen muß!? Weil es dann nämlich das einzige sein wird, was uns noch aufrecht erhält und nicht verzweifeln läßt! Ein Rätsel bleibt. Vielleicht hat manche oder mancher jetzt ja schon bei sich so gefragt: Warum bleibt manchen - guten - Menschen nichts erspart, wie wir sagen? Von Kindheit an nur Schweres erlebt, kaum ein paar glückliche Jahre, dann der Ehegatte gestorben, Krankheiten, immer wieder Unglück, Not, Schmerz bis hin zu einem qualvollen Tod. Warum gibt es so etwas? Will denn unser Gott Leute haben, die leiden, die seinem Sohn sichtbar nachfolgen. Braucht Gott vielleicht solche Menschen, um uns zu zeigen: Selbst im Leid singen Menschen sein Lob, selbst unter Schmerzen halten sie ihren Glauben fest, selbst in letzter Not lassen sie ihren Herren nicht... Sollen sie uns das zeigen? Vielleicht denken einige hier jetzt auch an gegenteilige Beispiele: Von Jugend an auf der Siegerstraße; immer vorndran, immer erfolgreich, alles verlief nach Plan. Alles wurde mitgenommen, nichts ausgelassen - und das Schicksal spielte mit: Gesund bis ins Alter. Nur für diese Welt gearbei- tet. Für Gottes Sache nie Interesse gehabt. Den Herrn Jesus nie gekannt. Am Ende dann ein leichter Tod, ein schönes Sterben, sanft wie im Schlaf. Wir fragen: Warum gibt es das? - Beantworten kann ich diese Fragen auch nicht - jedenfalls nicht so, daß jeder hier zufrieden sein wird. Persönlich aber denke ich vor diesen Fragen daran, wie wenig dieses Leben doch ist, angesichts der ewigen Herrlichkeit, die Jesu Leute erwartet. Ich frage mich: Ob nicht das Leben in Saus und Braus halt auch alles ist, was die Menschen, die ohne Gott leben wollen, gewährt bekommen. Und ich fra- ge mich dann weiter: Ob wir solche Menschen wirklich beneiden sollten? Andererseits - wenn wir an die mit hartem Schicksal Geschlagenen denken: Ob sie einmal, wenn sie das herrliche Ziel des Lebens erreicht haben, der vergangenen Leiden auch nur einen Augenblick ge- denken werden? - Wie gesagt, so denke ich ganz persönlich. Anderen wird das nicht unbedingt ein- leuchten oder gar helfen. Aber es gibt auch Worte der Bibel, die in diese Richtung führen, und sol- che Worte wollen wir jetzt noch hören: Textlesung: Röm. 8, 18 - 21 und 28 - 32 Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 8,19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden. 8,20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; 8,21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 8,28 Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind. 8,29 Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. 8,30 Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht. 8,31 Was wollen wir nun hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? 8,32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Die Predigt wurde gehalten von Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35325 Mücke/Groß-Eichen Predi196