Predigt am Sonntag "Reminiszere" - 23.2.1997 Thema: "Warum läßt Gott das Böse zu?" (Gehört zur Predigt: "04passion.txt" - Thema:"Warum läßt Gott uns leiden?") Zur Einstimmung: Jak. 1, 20 - 24 Denn wenn jemand ein Hörer des Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Mann, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon und vergißt von Stund an, wie er aussah Denn der Mensch tut nicht, was vor Gott recht ist. Darum legt ab alle Unsauberkeit und alle Bosheit und nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gepflanzt ist und Kraft hat, eure Seelen selig zu machen. Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein; sonst betrügt ihr euch selbst. Liebe Gemeinde, warum läßt Gott das Böse zu?, über diese Frage möchte ich heute sprechen. Ich tue das mit sehr beklommenem Herzen: Als könnte ich da Antwort geben! Jahrtausendelang haben die Menschen darüber nachgedacht. Schon die erste Geschichte der Bibel dreht sich um diese Frage: Wie kommt das Böse in die gute Schöpfung? Warum übertreten Adam und Eva das Gebot Gottes, "vom Baum inmitten des Gartens sollt ihr nicht essen"? Die alte Geschichte löst das so: Die Schlan- ge war's! Sie flüstert den Menschen das Böse ein. Sie macht, daß sich die Menschen gegen ihren Gott auflehnen und sein Verbot mißachten. Aber wer ist die Schlange? Der Satan, der Teufel, der Böse... Und wo kommt er her? Hat nicht Gott die Welt gemacht? Und den Satan? Den nicht auch? Wenn ja, wer läßt denn dann das Böse zu; wer gibt dem Teufel denn dann freie Hand, wer steht also letztlich hinter der Schlange??? Die Frage bleibt. Bis heute! Vor allem: Sie ist ja kein bloßes Denkproblem, keine knifflige Aufgabe, kein Rätsel, das unsere geistigen Kräfte anspornen und unseren Ehrgeiz herausfordern soll. Viele Menschen leiden an dieser Frage. Viele Menschen verlieren um ihretwillen fast oder auch ganz ihren Glauben. Viele Menschen haben über dieser Frage mit ihrem Gott gebrochen. Bei den einen geschah das im letzten großen Krieg: Millionen Tote. Millionen vergast, auf schreckliche Weise getötet. Eu- ropa, ein Meer von Blut, ein Meer der Tränen, eine Wüste aus Trümmern. Und an der Front kam manchem das Grauen hautnah: Der verletzte Kamerad, der dann qualvoll starb. Die Opfer der eige- nen Waffen, die man einsetzte, einsetzen mußte... Die Entbehrungen, Ängste und Leiden eigener Gefangenschaft. Wo war Gott bei alledem? Einem anderen zerbrach sein Gottvertrauen vielleicht angesichts der Krankheit eines lieben Angehö- rigen: Sehen müssen, wie der Sohn, der Ehegatte, ein geliebter Mensch immer weniger wird, Schmerzen hat, unaufhaltsam dem Tod entgegengeht - furchtbar ist das! Recht vorstellen kann sich das wohl nur, wer's miterlebt, mit durchlitten hat. Da fragt man schon: Wo ist Gott - und: Warum, warum? Ein dritter weist vielleicht auf die Hunger-, die Kriegs- und Krisengebiete dieser Welt hin: Warum müssen Millionen von Menschen sterben, weil sie nichts zu essen haben, während schon ein kleiner Teil des Rüstungsaufwands der Staaten dieser Welt alle ernähren könnte? Warum müssen - auch in diesem Jahr 1997 - Tausende von Menschen - und nicht nur Soldaten - wahnwitzigen Kriegen ge- opfert werden, wie an einigen Stellen in Schwarzafrika? Warum können Millionen von Menschen, ganze Völker, nicht in Frieden und Eintracht leben, sondern in Furcht und Schrecken, bedrückt von Diktatur, Folter und Geheimpolizei, verfolgt von Angehörigen anderer Religionen oder Volksgrup- pen? Wie kann Gott das zulassen? Wie können wir hinter alledem überhaupt noch an einen Gott glauben? Einen Gott zumal, den Jesus "Vater" nennt, "Vater im Himmel"? Das wird uns über sol- chen Gedanken ja fast zum Hohn - und es ist vielen ja auch schon zum Hohn geworden. Mit ihnen fragen wir jetzt: Warum läßt Gott das Böse zu? Ich kann auch keine Antwort geben, ich sagte es schon. Manchmal aber bringen auch Fragen weiter. So möchte ich an uns alle ein paar Fra- gen richten; es sind recht persönliche Fragen: Wie ist das bei uns, bei dir, bei mir: Sind wir eigentlich nur gut? Tust du stets, was recht, was ehrlich, moralisch einwandfrei, ohne Falsch und Eigennutz ist? Gehe ich stets den richtigen Weg, den geraden, den christlichen Weg? Aber nicht so allgemein! War es gut, gestern dein Kind anzuschreien? War es richtig neulich den Krach mit den Nachbarn vom Zaun zu brechen? Was ist mit den Jahren, ja Jahrzehnten in deinem Le- ben, in denen du von Gott wirklich nichts wissen wolltest und dich keiner je in der Kirche gesehen hat? Dreht sich dein ganzes Leben nicht viel zu sehr um dich selbst und vielleicht noch deine Familie? Und ich? War es gut, dem Landstreicher kürzlich an der Tür nur Geld zu geben - um ihn rasch wieder loszusein? Sollte ich nicht noch mehr für die älteren Gemeindeglieder tun? Müßte nicht ein größerer Teil meines Einkommens an Brot für die Welt gehen oder etwas ähnliches? Können wir das zugeben, daß auch hier Böses in Spiel ist? Was antworten wir jetzt?: Aber das ist doch etwas anderes! Das hat doch mit der ursprünglichen Frage gar nichts mehr zu tun! Dort ging es doch um das Böse - sozusagen auf höherer Ebene! - was hat das mit dem Leben des Einzelnen zu schaffen? Nun, dann will ich weiter fragen: Wer steht denn hinter der Entscheidung zum Krieg? Wer verhindert mit politischer Weichenstellung für die Rüstung, daß Hungernde satt werden? Wer gibt die Befehle zur Folterung, zum Töten, zum Bespitzeln, zum Einsatz sämtlicher Werkzeuge der Unterdrückung? Sind das nicht immer Einzelne? Und sind unsere bösen Taten grundsätzlich etwas anderes? Macht die Tragweite einer Bosheit aus, ob sie böse ist? Ist erst der Befehl, der Tausende von Toten zur Folge hat, wirklich böse, nicht auch schon die Schlechtigkeit und Sünde wie sie uns tagtäglich unterläuft? Sehen wir das nicht, weil es so klein ist und so unbedeutend gemessen an den Dingen, die in unserer Zeitung stehen? Nein, ich will den Mächtigen auf der weltpolitischen Bühne genauso fragen, wie dich und mich: Warum tun wir das Böse? Warum tun wir es, wohl wissend, es ist falsch, es ist Sünde, es ist nicht nach Gottes Willen? Wollen wir jetzt auch noch fragen: "Warum läßt Gott das Böse zu?" Dann fra- gen wir auch richtig: Warum steuert Gott denn nicht deine und meine Entscheidungen. Warum wehrt er uns denn nicht, wenn wir auf den falschen Weg treten? Und: Wieso stellt er sich nicht auch da dazwischen, wo die Großen ihre mörderischen, Leid und Tod bringenden Befehle geben? Wir sind wieder beim Beginn: Warum verhindert Gott nicht, daß Eva von der verbotenen Frucht nimmt und sie und Adam davon essen? Warum fällt er dem Kain nicht in den Arm, als er den Bruder erschlägt? Will Gott denn nicht das Gute? Fragen wir weiter: Was wären das für Menschen, die nur Gottes Willen tun könnten? Was wären das für Geschöpfe, die nicht auch die Möglichkeit zum Bö- sen haben? Mir kommt da der Gedanke an Marionetten, Puppen an Fäden, nur fähig das zu tun, was der Spieler will, der sie führt. Aber wären das Menschen? Ist es darum nicht vielleicht gerade das Experiment der göttlichen Schöpfung, daß Gott ein Wesen gemacht hat, das frei ist, das wählen und entscheiden kann - auch gegen den Schöpfer? Ob Gott nicht - um den Preis des Bösen - freie Ge- schöpfe haben wollte? - Jetzt stehe auf einmal ich selbst hinter dem Bösen, das ich tue! Ich - mit meiner Freiheit, mit meiner Entscheidung, mit meiner Wahl in jeglicher Situation: Gut oder Böse? Gottes Wille oder mein eigener? Auf einmal muß ich mich selbst fragen: "Warum lasse ich das Böse zu?" Und die Antwort genügt nicht, wenn ich sage: Weil mich Gott halt frei geschaffen hat...denn ich weiß ja, was das Gute wäre, ich weiß ja, was Gott von mir fordert, aber ich tue doch das Böse, wissentlich, willentlich! Und ich will ja auch frei sein, will ja von Gott nicht an Fäden gehalten und zum Guten gezwungen werden! Darum noch einmal: Warum lasse ich das Böse zu? Diese Frage kann ich beantworten, denn sie meint mich, ganz persönlich: Weil ich Eigennutz, meine Karriere, persönliche Vorteile, Sicherheit, Machtgelüste und dergleichen obenan stelle, deshalb! Vielleicht kannst du, wenn du dich ehrlich prüfst, hier mitsprechen? Und zusammen können wir dann sagen: Weil wir Sünder sind! Wir wissen, was Gott will, und wir tun es doch nicht. Wir sind frei, uns für das Gute zu entscheiden und wählen - oft genug! - das Böse. Warum läßt Gott das Böse zu? Ich kann die Frage nicht beantworten, es sei denn - für mich persön- lich: Weil er mich frei entscheiden lassen will. Weil er mich zum Guten weder zwingen noch drän- gen, sondern mit seiner Liebe überwinden will. Ich glaube, genauso verfährt Gott mit dir auch - und mit allen Menschen, die ihn kennen. Fragen wir also: Warum tun wir das Böse - auf der großen Weltbühne und im Alltäglichen - und geben wir Gott Antwort. Die Predigt wurde gehalten von Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35325 Mücke/Groß-Eichen predi195