Gemeinsame Predigt am 6. So.n.Trin. - 6.7.1997 (Kann vom Pfarrer/in mit MitarbeiterInnen aus dem Kindergottesdienst zusammen gehalten werden) Liebe Mädchen und Jungen, liebe Vorkonfirmanden und Konfirmanden, liebe Gemeinde! Geschichten kommen immer gut an. Besonders wenn so viele junge Leute in der Kirche sind wie heute. Unsere Geschichte heute paßt auch noch gut zur Aufnahme der Konfirmanden und zu diesem besonderen Sonntag mit seinem Thema "Taufe" paßt sie auch. Aber wir wollen jetzt keine langen Vorreden mehr halten, sondern unsere Geschichte erzählen: Wir versetzen uns in Gedanken in die Tierwelt. Unsere Geschichte spielt in einem Tümpel. Ihr kennt diese kleinen Ansammlungen von Wasser, wie man sie in einer Bodensenke findet. Das Wasser ist dort nicht klar wie in einem Teich. Es ist aufgewühlt und schmutzig. Vielleicht liegt auch mancherlei Unrat darin und am Rand des Tümpels gibt es schaumige Blasen von Seifenlauge und Öl. Manchmal, wenn es lange schönes Wetter war, dann liegt der Wasserspiegel ruhig und glänzend da und man kann auf den Grund sehen. Dann aber - nach einem Platzregen - wirbelt es wieder den Dreck hoch und das Wasser ist trübe und undurchsichtig und wirkt wie eine Lache aus Teer. Jeder schüttelt sich bei dem Gedanken, in so ein Wasser zu fallen. In einer solchen Welt spielt unsere Geschichte. In diesem Tümpel nämlich wohnt eine Libellenlarve und ein Blutegel. Sie kennen beide keine andere Welt als diese: Den kleinen schmutzigen Tümpel. Manchmal schwimmt die Libellenlarve an die Wasseroberfläche und beobachtet. Sie ist nicht unzufrieden in ihrem Tümpel - sie kennt ja nichts anderes - aber sie könnte sich doch etwas Besseres vorstellen. Wenn sie da so nach oben schaut, sieht sie merkwürdige Schatten über sich vorbeiziehen. Und so ein ganz anderes Licht ist da oben. Fast zeichnet es sich farbig ab unten in ihrer Welt, dem Tümpel. Einmal trifft sie den Blutegel und spricht ihn an: "Du, ich glaube, da oben ist noch etwas anderes. Da gibt es noch etwas - außerhalb unserer Wasserwelt! Schau doch mal" Aber der so Angesprochene blickt nicht hinauf und antwortet nur mürrisch: "Ach, hör auf, du irrst dich! Glaub mir, einem erfahrenen Blutegelmann. Ich bin weit herumgekommen in der Welt. Ich habe manchen Weg dieser Welt durchschwommen. Außer uns hier gibt es nichts mehr. Dieser Tümpel ist die Welt. Die Welt ist ein Tümpel. Unrat, Seifenlauge, Probleme, Häßlichkeit, Kampf ums Überleben, Bosheit... Hier mußt du leben. Hier mußt du dich behaupten und durchwursteln und auch einmal anderen das Blut aussaugen, sonst gehst du unter. So ist das. So ist die Welt. Glaub mir, einem erfahrenen Blutegel." "Aber ich habe doch über uns Schatten gesehen und Farbe und Licht", wagte die Libellenlarve zu entgegnen. "Papperlapapp", sagte der Blutegel, "das sind Hirngespinste! Du täuschst dich. Außer uns hier gibt es nichts. Mach' dir nichts vor!" Sie lebten weiter in ihrem Tümpel, in ihrer Welt. Bis die Libelle eines Tages, sie war wieder an der Oberfläche und schaute sehnsüchtig nach oben, bis die Libelle in sich ein so seltsames, unbekanntes Gefühl verspürte. Sie merkte, wie eine Verwandlung mit ihr vor sich ging. Sie kletterte an einem Schilfhalm am Rande des Tümpels hinauf und verwandelte sich: Ihre alte Gestalt sprang auf und fiel von ihr ab. Es wuchsen ihr Flügel. Kaum hatte sie sich an das neue Gefühl gewöhnt, das voller Freude und voller Glück war, da breitete sie die zarten Flügelhäute aus und schwebte davon. Mitten hinein flog sie in das Licht, die Sonne, die tausend Farben, deren schwaches Abbild sie schon unten im Wasser gesehen hatte. Alles ließ sie hinter sich zurück, was bisher ihre Welt war: Den Tümpel, den Schmutz, den Unrat und den so erfahrenen, weitgereisten Blutegelmann auch. Aber keinen einzigen Augenblick und keinen Gedanken mehr verschwendete sie an den Tümpel, aus dem sie kam. Das war unsere Geschichte. Sie paßt zu diesem Sonntag und zu dem, was wir heute vorhaben, paßt sie auch: Die Welt, in der wir leben ist auch ein Tümpel, so denken viele. Sie sagen: "Da gibt es nichts außerhalb von dem, was wir sehen und begreifen können." Wir kennen alle gewiß solche Menschen. Kluge, erfahrene, weitgereiste Menschen! Vielleicht sind wir selbst so!? Wenn wir mit denen über die Konfirmandenzeit reden würden, die heute beginnt, dann könnten wir vielleicht hören: Im Grunde ist doch alles Unsinn. Es gibt nichts außer dem, was wir sehen und anfassen können. Und selbst von Gott wird ja so gesprochen: Den gibt’s nicht. Er ist nur eine Erfindung der Pfarrer. Aber vielleicht sagen diese Leute auch: Wenn auch nichts dran ist an der Sache, etwas schlechtes werdet ihr nicht lernen in dieser Zeit. Dann geht halt hin - in Gottes Namen - und laßt euch konfirmieren. Und noch ganz anders wird geredet. Jedenfalls so, daß es euch nicht gerade ermutigt, mit Freude und Interesse in diese Zeit zu gehen. Aber es gibt auch die anderen. Die sind wie die Libellenlarve aus unserer Geschichte.. Die geben das Fragen, das Suchen, das Sehnen und Hoffen nicht auf. Auch wenn vieles dagegen spricht im „trüben Tümpel” dieser Welt. Sie schauen aus nach einer anderen Welt voller Farbe und Licht. Und sie sind bereit, etwas dafür zu tun, daß diese Welt ein bißchen mehr so wird, wie sie sich’s wünschen. Diese Menschen würden euch, liebe neue Vorkonfirmanden, vielleicht sagen: Von dieser Welt hört ihr in der Konfirmandenzeit. Und ihr hört auch von dem, der sie allein schaffen und schenken kann: von Gott! Er hat uns Jesus geschickt, daß er in uns die Sehnsucht weckt, daß wir uns nicht mit dem, was wir sehen und greifen können, begnügen. Es muß mehr geben, als diesen trüben Tümpel. Liebe Jungen und Mädchen! Wir sind überzeugt davon, daß es mehr gibt! Deshalb laden wir euch ein zur Konfirmandenzeit mit ihrem Unterricht und ihrem Gottesdienst. Wir wollen uns bemühen, auch in euch die Sehnsucht zu wecken oder wachzuhalten, daß es doch mehr gibt als die kleine, mehr oder weniger trübe Welt, die wir schon kennen. Und wir sind überzeugt davon, daß es Freude macht, die Farbe und das Licht von Gottes Welt kennenzulernen. Dazu wollen wir - von der Gemeinde - euch in den nächsten zwei Jahren helfen. Und wir wünschen euch, daß ihr ganz offen dafür seid und euch nicht von "Blutegeln" davon abbringen laßt, daß es mehr gibt, als unsere fünf Sinne wahrnehmen. Aber noch eines liegt in der Geschichte vom Tümpel, vom Blutegel und der Libellenlarve, und das eben hat mit unserer Taufe zu tun, an die wir ja an diesem besonderen Sonntag denken - und darum wollte ich es noch uns allen sagen: Wem das gleichgültig ist, daß er einmal getauft wurde, wer darin keine Kraft und keinen Segen sieht, der gleicht dem Blutegelmann unserer Geschichte. Der kennt kein Sehnen und kein Hoffen. Der kennt aber auch keine Zukunft über den Tümpel hinaus. Die Libellenlarve gleicht denen, die sich darauf verlassen, was Gott ihnen einmal bei der Taufe zugesprochen hat: "Du bist mein Kind! Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Ich habe mit dir mehr vor als dieses Leben." Und sie bekommen eines Tages recht mit ihrer Hoffnung und ihrer Sehnsucht: Ihnen werden Flügel wachsen und sie können sich über den trüben Tümpel dieser Welt erheben. Denn wer hofft, der hat teil an einer anderen Welt! Nicht erst später, schon heute! Schon die Hoffnung schenkt die Flügel, die uns über diese Welt hinaustragen. Und noch eins: Wenn man vom Licht weiß, dann lebt man schon anders in der Welt des Tümpels. Wer die Farbe kennengelernt hat, der hält es auch im Trüben besser aus. Und so einer kann auch etwas Zuversicht und Farbe in den Tümpel dieser Welt bringen. Die Hoffnung schenkt die Kraft dazu. Wenn ich von einer anderen Welt als dieser weiß, dann werde ich ihr Licht auch in dieser Welt ausbreiten, wenigstens einen schwachen Glanz davon. Wem einmal die Flügel der Hoffnung gewachsen sind, der erlebt sich auch in dieser Welt beflügelt und unbeschwert von allem Leid, allem Unrat, aller Bosheit. Wer das Licht der neuen Welt gesehen hat, der läßt sich von keinem erfahrenen Blutegel überzeugen. Und einmal steigen wir auf über die Oberfläche dieses Tümpels und kehren nie mehr zurück! Welch herrliche Aussicht! Liebe Gemeinde, liebe Jungen und Mädchen! Wir Christen wissen von der anderen Welt Gottes, die uns Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene verdient hat. Wir wissen, daß der Tümpel dieser Welt nicht alles ist. Wir wissen, daß wir einmal all das zurücklassen werden und auffahren werden wie mit Flügeln... Dann wird weder Sehnsucht mehr sein, noch Andeutung von Licht und Farbe, sondern das ewige Licht und die Farbe und die Fülle der neuen Welt Gottes. - Ich glaube, das mußte auch noch gesagt werden. AMEN Wir wünschen allen - besonders den jungen Leuten, die wir heute in den Konfirmandenunterricht aufnehmen - daß sie den erfahrenen Blutegeln keinen Glauben schenken, sondern zur Hoffnung finden, die sie schon hier und heute über diesen Tümpel hinausführt und einmal ewig in die Farbe und das Licht bei Gott.