Predigt zur Kirchweih - 17.8.2003 Textlesung: ohne Liebe Gemeinde an Kirchweih! Ja, Kirchweih! Wenn in der Zeitung auch etwas von Kirmes gestanden hat. Aber Kirmes ist eigent- lich Kirch-weihe, wir feiern also den Tag, an dem die Kirche hier in Ruppertenrod eingeweiht wor- den ist - auch wenn wir jetzt nicht in ihr sitzen. Aber was ist wichtig an diesem Tag? Woran denken wir, wofür danken und was feiern wir? Ein Märchen soll uns helfen, daß wir der Kirmes oder der Kirchweih, ihrem besonderen Sinn und dem, worum es dabei geht, auf die Spur kommen. Es ist die Geschichte vom "Kirmesmann". Ich muß dabei stark kürzen, beschränke mich also auf das Wichtigste und - wie ich finde - das Lehr- reichste an diesem Märchen, jedenfalls so wie ich es verstanden habe: In einem Dorf vor 100 oder 200 Jahren - vielleicht gar nicht weit von hier - soll die Kirmes gefeiert werden. Alles ist bereit. Die Kuchen und das Brot sind gebacken. Die Braten fertig für den Ofen. Die Wurstdärme und Schweineblasen gefüllt. Das Bier gebraut und der Wein auf Kannen gezogen. Auch das Festzelt ist schon aufgebaut und der Pfarrer steht bereit in seinem schwarzen Rock den Kirmesgottesdienst zu feiern. Nur einer fehlt. Das ist der Kirmesmann. Er kommt Jahr um Jahr zur Kirmeszeit aus dem fernen Holland mit seinem bunten Wagen und dem Karussell, das die Kinder so lieben. Nur in diesem Jahr kommt er nicht! Was also machen die Leute des Dorfes? Erst ziehen sie hinaus auf die Anhöhe vor dem Ort, um auszuschauen, ob man nicht in der Ferne eine Staubwolke sähe? Die Kinder sind da und schauen. Die Alten sind da und selbst der Herr Bürgermeister mit der goldenen Kette vor dem Bauch. Aber kein Kirmesmann ist zu sehen, so sehr alle auch ihre Au- gen anstrengen. Am Abend zwei Tage vor der Kirmes ist Krisensitzung im Gemeinderat. Was soll man tun? Eine Kirmes ohne Kirmesmann halten? Das geht nicht, so ist es die Meinung aller. Denn ohne Kirmesmann gibt es keine Kirmes, keine Fröhlichkeit und kein Fest. Also wird einer von den Räten mit einer sechspännigen Kutsche ausgesandt. Eilig fährt die Kutsche landauf landab bis nach Holland, wo der Kirmesmann wohnt. Der Gesandte findet auch wirklich das Haus des Kir- mesmanns, der hat, wie sich herausstellt in diesem Jahr die Kirmes glatt vergessen. Der Schluß der Geschichte ist rasch erzählt. In derselben Stunde packt der Kirmesmann seine Kirmessachen und fährt in seinem Kirmeswagen hinter dem Gesandten her, der als Vorhut schon die Ankunft des so heiß Ersehnten bekanntgibt. War das ein Hallo, als der Kirmesmann im Dorf einfuhr! War das eine Freude! War das ein Fest! Eine wunderschöne Kirmes gab es, so wie sie immer gewesen war und wie sie nunmal sein mußte: Mit dem Gottesdienst vorher, dem Karussell, das die Kinder lieben, mit fröhlichem Schmausen und Zechen. Noch lange redete man von dieser Kirchweih, die fast ausgefallen wäre... Hier will ich meine Geschichte schließen. Aber nicht ohne einen letzten Satz aus dem Märchen vor ihre Ohren zu bringen, den ich extra noch einmal nachgelesen habe: Als der Kirmesmann endlich da war auf der Kirmes des Dorfes, als der lang Erwartete also das Fest erst möglich und schön ge- macht hatte, "war er bis zum Ende der Festtage nicht mehr zu sehen." Und - seltsam - keiner hat mehr nach ihm gefragt oder ihn vermißt. Er war gekommen, man wußte, er war da, jetzt konnte die Kirmes steigen. - Mich hat das sehr beschäftigt. Gewiß, es ist ja nur ein Märchen, aber trotzdem: Was will der Erzähler damit sagen? Warum ging es nicht ohne den Kirmesmann? Warum, wenn doch alles bereit war, die Würste, das Bier, der Braten und selbst der Gottesdienst? Was lag am Kirmesmann? Was machte ihn so entscheidend wichtig, auch wenn er während der Kirmes selbst gar nicht mehr auftauchte? Ich habe mir schon meinen Reim darauf gemacht. Oder sagen wir: ein paar Reime. Mir scheint, es geht hier wie in anderen Märchen auch. Da liegt eine Botschaft verborgen zwischen den Zeilen. Da sollen wir etwas begreifen, eine Moral finden, etwas lernen. Wie beim Hans im Glück vielleicht, daß wir unser Herz nicht an die Güter hängen, sondern die Freiheit von allem weltlichen Kram und vor allem Gottes Führung höher achten als alle Sicherheit, wie sie Geld und Besitz versprechen. Oder wie bei Dornröschen, daß Beharrlichkeit zum Ziel führt - durch alle Dornen und alle Hemm- nisse, die sich in den Weg stellen und daß Liebe allein erlösen kann, wie wir an dem Kuß sehen, der die schlafende Prinzessin erweckt. Aber was gibt es hier zu deuten und zu lernen? Wofür steht der Kirmesmann in meinem Märchen? - Ich weiß es nicht, aber ich will ein paar Gedanken dazu vortragen: Steht er vielleicht für die Tradition, ohne die es heute und in Zukunft keine richtige Kirmes geben kann? Es ist ja sicher so, daß eine Kirmes, wenn sie sich erst ganz von ihrem Ursprung gelöst hat, kein Fest mehr hergibt. Es würde wohl hoffentlich keinem in Ruppertenrod einfallen, die Kirch- weih irgendwann im Jahr - vielleicht in der Advents- oder Osterzeit zu feiern, nur weil sie da in den Veranstaltungsplan der Vereine besser hineinpaßt. Es geht um den Geburtstag der Kirche. Darum muß dieser Tag auch zu einer bestimmten Zeit gefeiert werden. Ohne die gute alte Tradition des Gottesdienstbesuchs zur Kirchweih kommen in unseren Dörfern allerdings auch immer mehr Men- schen aus, die wir dann aber durchaus auf den Bänken im Festzelt sitzen sehen können. Mein Mär- chen könnte dazu sagen: Wenn die Tradition erst verloren ist oder aufgegeben wird, wenn also der Kirmesmann nicht kommt, dann gibt's nichts zu feiern! Dann muß die Kirmes ausfallen. Oder ist der Kirmesmann vielleicht die Freude? Ich meine da natürlich die echte Freude, nicht die aufgesetzte oder durch einigen Konsum von Alkohol heraufbeschworene, die uns innerlich ja nicht wirklich warm machen kann. Was wäre das denn für uns z.B. für ein Geburtstag, den wir feiern, wenn unsere Gäste so ganz deutlich nur gekommen wären, um uns ein mehr oder weniger gekonnt eingepacktes Pfund Kaffee zu überreichen und sich nach ein paar Minuten stehenden Aufenthalts bei uns wieder eilig zu entfernen - vielleicht gar mit dem Hinweis, sie würden bei ihrem Stamm- tisch erwartet? Möchten wir nicht vielmehr spüren, daß sich unsere Gäste freuen, bei uns zu sein, mit uns feiern zu können und daran, daß wir überhaupt da sind und gesund? Kann es also bei der Kirchweih ohne die Freude darüber abgehen, daß wir eine Kirche haben, daß wir hier in unserem Dorf Gottes Wort hören dürfen und einen Ort haben, an dem uns sein Trost, seine Erbauung und seine Liebe begegnen? Ja, ist der Kirmesmann meiner Geschichte wohl die Freude? Denn das leuchtet doch ein: Ohne eine solche Freude kann eine Kirchweih keinen Sinn und keine Mitte ha- ben. Oder müssen wir im Kirmesmann die Dankbarkeit erkennen? Gewiß auch keine so ganz weit her- geholte Deutung! Denken wir doch nur: Wir wollten Kirmes feiern, ohne daß sich in uns der leises- te Dank darüber regt, daß wir eine so schöne Kirche haben! Oder - ein bißchen persönlicher: Emp- finden wir denn keinen Dank dafür, daß wir vor dem Altar unserer Kirche an den wichtigsten Le- bensstationen den Segen Gottes zugesprochen bekommen haben? Macht uns das nicht dankbar, dort getauft worden zu sein, die Einsegnung bei der Konfirmation, die Bestätigung Gottes für unse- res Ehebund empfangen zu haben? Fühlen wir keinen Dank in unserem Herzen dafür, daß uns so manche Predigt von der Kanzel her schon zu Stärkung, Freude und Lebenshilfe geworden ist, daß uns bei einem Abschied schon manchmal eine Ansprache getröstet und ein Gedanke die Tränen ge- trocknet hat? Wir werden uns doch nicht denen gleichmachen, die nie, wirklich niemals den Mund aufbekommen - und das Herz schon gar nicht - um den Mitmenschen in ihrer Nähe ein Dankeswort zu gönnen? Und was wird da manchmal an Liebe und Treue in der Familie geschenkt, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Wieviel Hilfe gibt es von einem zum anderen Nachbarn, was tun manchmal Men- schen im Verein oder der Gemeinde für ihre Mitmenschen... Und doch wird kein Wort gesagt. Und doch ist anscheinend alles selbstverständlich, was getan wird...wenn man dem beharrlichen Schweigen derer glaubt, die eigentlich gar nicht genug danken könnten! - Wahrhaftig: Ohne Dank- barkeit kann es auch keine Kirmes geben? Ob also der Kirmesmann die Dankbarkeit ist? Liebe Gemeinde, vielleicht gibt es noch andere Gedanken dazu, andere Deutungen? Eine von den drei genannten allerdings könnte es wohl treffen? Vielleicht gar alle drei? Sie haben eben gespürt, welche Bedeutung für mich der Kirmesmann zuallererst hat. Am meisten habe ich nämlich über den Dank gesprochen. Aber so denke ich persönlich. Für sie ist vielleicht an- deres wichtiger? Warum denn auch nicht? Einig aber sind wir uns ganz gewiß darüber, daß es so ganz ohne eines der drei Dinge nicht geht, wenn man Kirmes feiern will. So wünsche ich Ihnen allen heute zu diesem Kirchweihtag: Daß ihnen die Tradition der Kirmes heute neu aufgeht: Ohne den Geburtstag der Kirche hätten wir heute nichts zu feiern. Dann wün- sche ich ihnen, daß die Freude, die sie dabei empfinden echt ist und von Herzen kommt, weil sie sich besinnen, was sie der Kirche hier am Ort alles verdanken. Und schließlich wünsche ich ihnen, daß ihr Dank dafür auch zu Worten und Taten wird und zu einer immer größeren Bereitschaft, auch zu dieser Kirche, ihren Gottesdiensten und der Gemeinde, die sich in der Kirche versammelt, zu stehen. - Wirklich: Wenn sich die Tradition, die Freude und die Dankbarkeit erst auf unseren Ge- sichtern spiegeln, dann mag der Kirmesmann während der Feier untertauchen! Dann können wir Kirchweih feiern!