Predigt zur "Silbernen Konfirmation"- 26.5.2002 Liebe Silberne Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde! Wir wollen auf den Predigttext hören, der uns für diesen Sonntag "Trinitatis" zu bedenken empfoh- len ist: Textlesung: 2. Kor .13, 11 (12) 13 Zuletzt, liebe Brüder, freut euch, laßt euch zurechtbringen, laßt euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Grüßt euch untereinan- der mit dem heiligen Kuß. Es grüßen euch alle Heiligen. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen! Ob sie mir das zugestehen, sie zu "mahnen" und gar den Versuch zu unternehmen, sie "zurechtzu- bringen"? Immerhin: Wäre das nicht schön, wenn von heute der "Gott der Liebe und des Friedens" mit ihnen ginge? Und wäre das nicht wunderbar, wenn die "Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes" auch in den kommenden Tagen spürbar bei uns bliebe? Wer mich ein bißchen besser kennt, der weiß: Ich bin wirklich davon überzeugt, daß die Sache Jesu Christi die beste Hilfe zum Leben, der sicherste Wegweiser durch diese schwierig und an vielen Stel- len unheimlich gewordene Welt ist. Darum werbe ich für den Gottesdienst und die Gemeinde! Dar- um werde ich nicht müde, zu den Kreisen und Gruppen, die unter unserem und anderen Kirchtürmen stattfinden, einzuladen. Aber eben "einzuladen", vielleicht auch einmal zu "mahnen", wie es hier heißt! Und ich will auch helfen, "zurechtzubringen", wie Paulus das nennt. Aber niemals mit Angst- mache oder irgendwelchem Druck. Denn ich glaube, das geht nur mit Liebe und freundlichem Ange- bot, mit eigener Überzeugung und daß man selbst von dem begeistert ist, wozu man andere einlädt. Soviel der Vorrede. Jetzt möchte ich ihnen eine Geschichte erzählen. Es ist ein Märchen aus dem Lieblingsbuch meiner Kindheit: "Die glücklichen Inseln" heißt es. Und es ist auch noch mein Lieb- lingsmärchen aus diesem Buch. Ich finde, es paßt sehr gut zu dem Anlaß, den sie heute feiern, liebe Jubilarinnen und Jubilare. Aber auch alle anderen wird es hoffentlich ansprechen: Ein Junge kommt bei einem Buchhändler in die Lehre, dem Buchmännchen. Er darf auch bei sei- nem Lehrherrn wohnen, in einem Haus, das vom Keller bis zum Dach voller Bücher ist. Oben im Dachstübchen bekommt der Junge sein Kämmerchen zugewiesen. Von nun an lernt der Junge wie man Bücher kauft und verkauft, wie man sie pflegt und restauriert, in Listen aufnimmt und in Rega- len ordnet und aufbewahrt. Immer wenn das Buchmännchen über Land ausfährt, um auf Dachbö- den und in Kirchensakristeien wertvolle alte Folianten und Bibeln aufzustöbern, nutzt der Junge die Zeit, das Bücherhäuschen seines Herrn zu erkunden. Immer wieder entdeckt er dabei neue Stübchen und Gänge, vom Boden bis zur Decke mit Büchern zugestellt. Eines Tages kommt der Junge in ein kleines Zimmerchen, in dem das Buchmännchen sein Bett auf- gebaut hat. Auch hier bestehen alle Wände aus Buchrücken und Regalen. Nur an einer Stelle ist Platz für eine uralte, schon arg rostige Eisentür ausgespart. Diese Tür hat keine Klinke und man sieht auch keinen Mechanismus, sie zu öffnen. Als der Junge aber wie zufällig dreimal dagegen klopft, springt sie auf und ein riesiger, behaarter Kerl steht deckenhoch im Raum und fragt nach des Jungen Begehr. Beim ersten Mal bittet der erschreckte Junge den Troll, nur recht bald wieder zu verschwinden. Dann aber faßt er sich ein Herz, klopft neuerlich an die Eisentür und bestellt sich bei dem haarigen Geist ein üppiges Abendessen. Überdies bittet er den Troll, beim Schmausen doch kräftig mitzuhalten. So kommen sie ins Gespräch. Der Geist erzählt dem Jungen, daß er dem Buchmännchen schon bald 60 Jahre dienen muß, immer wenn es an die eiserne Tür schlägt. Und er erzählt ihm, was diese Dienste wären: Stockflecken aus den Folianten beseitigen, Eselsohren in al- ten Bibeln glätten, eingerissene Seiten kleben, lederne Bücherrücken reparieren, metallene Buch- schließen auf Hochglanz bringen und noch dergleichen läppische Arbeiten, die seiner eigentlich unwürdig wären. Noch nie hätte das Buchmännchen, so wie er heute, ein Essen bestellt oder sonst etwas, wobei er seine wirkliche Macht hätte zeigen können. Des Buchmännchens Ansprüche wären nur die einfachsten Dienste: Stockflecken, Tintenkleckse, fehlende Seiten... Wir können uns denken, wie das Märchen weitergeht: Immer wieder, wenn sein Herr über Land ist, klopft der Junge an die Eisentür und läßt den Geist hervorkommen. Und er stellt ihm große, ange- messene Aufgaben: Eine sechsspännige Kutsche läßt er erscheinen, mit dem Geist selbst als Kut- scher, mit der fährt er sein altes Mütterchen aus. Ein Festbankett läßt er den Troll ausrichten, bei dem er das ganze Städtchen bewirtet. Und schließlich muß der Geist ihn sogar das Fliegen lehren, denn er will doch zu gern einmal die Welt von oben sehen... Alles das erfüllt der Geist nicht wider- willig, sondern voller Freude! Endlich ein Gebieter, der verlangt, was er doch kann, der sehen will, was er mit seinen Fähigkeiten vollbringen kann! Liebe Silberne Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde! Hier breche ich mit meinem Märchen ab. Ahnen Sie schon, was es uns sagen soll? Können sie es in unsere Zeit hinein deuten und mit uns und unserem Leben verbinden? - Gut, nicht alles läßt sich übertragen, aber manches! Der uralte, zottige Geist ist für mich die Kirche, die Gemeinde, in der wir leben. Und das Buch- männchen? Das ist für mich so ein Durchschnittschrist unserer Tage. Und wann klopft dieser Christ an die eiserne Tür? Wenn es um eine Konfirmation, eine Hochzeit oder eine Taufe geht. Und viel- leicht noch an Weihnachten - aber nur um ein Stündchen Glanz und Schimmer zu bestellen. Und dann noch - wenn's hoch kommt - einmal im Jahr, sozusagen um die "Stockflecken" zu beseitigen (ich meine das Abendmahl in der Passionszeit). Der uralte Geist aber kann mehr, viel mehr! Und da kommt jetzt eben dieser Junge in die Geschichte - und ins wirkliche Leben auch. Er ist für mich ei- ner, der wissen will, was die Kirche vermag. Einer, der nicht zufrieden ist mit dem bißchen Taufen und Trauen. "Ich will eine Kutsche mit sechs Pferden davor!", sagt er. Und er kriegt sie! In unserer Zeit ist das vielleicht der Wunsch, daß die Kirche das Leben begleitet, das heute ja schwierig genug ist, daß sie Gottes Wort in den Alltag übersetzt und alles, was uns heute an Schönem und Schwerem begegnet von diesem Wort her sieht, bespricht und beleuchtet. Und das kriegen wir in unseren Got- tesdiensten - wenn wir nur hingehen! Und das bietet unser Bibelkreis - wenn wir nur teilnehmen! Und überall wo sich die Gemeinde trifft, nimmt man etwas davon mit: Ein gutes Wort, einen guten Gedanken, einen Anstoß, der uns weiterbringt, hilft, tröstet... Und der Junge will, daß der Geist ein Festbankett für die ganze Stadt gibt. Und er kriegt, was er ver- langt! In unserer Gemeinde wären das vielleicht die Seniorennachmittage oder die Freizeiten jedes Jahr für die Kinder im Herbst... Aber auch andere Gruppen, die das Jahr über laufen, fallen mir ein: Der Ehepaarkreis, die Jungschar, der Frauenkreis... Was schenkt das allen, die mitmachen, doch im- mer wieder so viel! Erlebnisse von Gemeinschaft und Freude, Lachen und Singen, Feier und festliche Stunden, in denen wir einmal den Alltag hinter uns lassen... Schließlich will der Junge sogar fliegen! Und er kriegt, was er will! Und ich scheue mich nicht, auch das in unser Leben hineinzubuchstabieren: Ja, auch wir lernen bei unserer Kirche das Fliegen! Das ist sogar - aus einer bestimmten Sicht gesehen - eine der vornehmsten Aufgaben des uralten Geistes hinter der eisernen Tür, uns gerade diesen Wunsch zu erfüllen: Fliegen - sich über den Boden des Alltäglichen zu erheben, alles einmal von oben sehen, von höherer Warte sozusagen... Auch das kann uns die Kirche geben! Ich meine da ihre Botschaft, die unser Herz und unseren Blick verändern will. Was tun denn die Worte von der Vergebung, von der Liebe und Fürsorge Gottes für uns und vom ewigen Leben, was tun diese Worte denn anderes, als uns über diese Welt und ihre Dinge hi- nausbringen? Wer hört, daß Gott ihn um Christi willen annimmt und liebhat, so wie er ist, der kriegt Abstand von seiner Schuld - so als flöge er ein paar hundert Meter darüber hin. Sie ist klein dort un- ten, die Schuld, ja sie gilt nicht mehr. Und wer das vernimmt und glaubt, daß Gott gerade die Schwachen mag und daß er für alle seine Kinder sorgt, daß es also nicht auf unseren Besitz, unsere berufliche oder gesellschaftliche Stellung und die Karriere ankommt, die wir machen, ein solcher Mensch ist doch in seinem Herzen hoch über allem, was ihn hier unten beschäftigt und beschwert, seine Gedanken und seine Energien bindet. Und schließlich einer, der vom Ewigen Leben weiß, der die Herrlichkeit bei Gott - wo er sie sich schon nicht ausmalen kann - doch glauben und ersehnen kann... Ist ein Mensch mit dieser Aussicht vor Augen und vor der Seele nicht wirklich wie einer, der schwebt, der alles Schwere und Dunkle dieser Welt unter sich und hinter sich läßt und auffliegt wie ein Adler, hin zur Hoffnung und zum Licht? Liebe Gemeinde, wenn wir jetzt vielleicht auch noch dem Jungen gleichen, als er zum ersten Mal an die eiserne Tür schlägt...wenn wir jetzt vielleicht auch noch zögern, den uralten Geist ein zweites und dann gar noch ein weiteres Mal zu rufen... Wir sollten es tun! Wir brauchen uns nicht zu fürch- ten. Der alte zottige Kerl will uns freundlich dienen, und er kann so viel mehr, als wir meist von ihm haben wollen. Zuletzt, liebe Schwestern, liebe Brüder, freut euch, laßt euch zurechtbringen, laßt euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geis- tes sei mit euch allen! AMEN