Predigt zur Konfirmation - 21.5.2000 Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden, ich möchte euch heute gern noch etwas mitgeben, euch ganz besonders. Es ist eine wunderschöne Geschichte. Eure Eltern, Paten und die anderen Angehörigen mögen mithören, was ich euch sagen will. Darum bleibe ich heute auch hier unten am Lesepult, daß ich nicht so weit von euch weg bin und ich euch sehen kann und ihr mich. Mir kam vor Wochen eine Geschichte wieder in den Sinn, die habe ich einmal gelesen, als ich selbst Konfirmand war. Seitdem ist diese Geschichte immer mit mir gegangen. Als ich euer Konfirmanden- kreuz ausgesucht habe, das unsere Gemeinde euch heute schenken will, dachte ich: Dazu willst du bei der Konfirmation die "Speisung der 5000" aus der Bibel vorlesen und diese Geschichte erzählen. Dann paßt alles zusammen. (Euer Konfirmandenkreuz zeigt nämlich einen Fisch und die Brote, die Jesus damals verteilt hat.) Bei der Speisung heißt es ja am Ende: "Und alle wurden satt." Die Ge- schichte jetzt handelt auch vom Hunger und vom Sattwerden. Die Geschichte spielt in Rußland Ein großer russischer Schriftsteller hat sie aufgeschrieben. Ob sie wirklich so passiert ist, wissen wir nicht. Wahrheit aber liegt auf jeden Fall darin: sehr viel Wahrheit! Überschrieben ist die Geschichte: "Wieviel Erde braucht der Mensch". Und so geht sie: Ein Mann soll Land zugeteilt bekommen. Er bekommt es geschenkt. Er darf es bebauen, und es soll ihn ernähren und ihm gehören. Die Größe des Landes soll er selbst bestimmen. Die Bedingung ist: Soviel er an einem Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang umschreiten kann, wird sein Besitz werden. So steht er eines Morgens um 6 Uhr inmitten des Landes, das verteilt werden soll. In der Tasche trägt er einen Vorrat an Wasser und Brot. Als man ihm das Zeichen zum Aufbruch gibt, be- ginnt er - wir können es uns denken - mit gewaltigen, weit ausgreifenden Schritten. 12 Stunden Marsch liegen vor ihm. Abends um 6 Uhr muß er zurück sein. Wie gesagt: Das ist die einzige Be- dingung. Ist er nicht wieder am Ausgangspunkt, wenn die Sonne versinkt, dann war für ihn alles vergeblich. Kein Geschenk, kein Land. Gar nichts. So läuft er drei Stunden schnurgerade in die eine Richtung. Riesenschritte macht er. Ob er das durchhalten kann? Dann biegt er zum ersten Mal nach links ab. Bald müßte er rasten, etwas Wasser trinken und Brot essen. Er kennt keinen Aufenthalt. Weiter, nur weiter. Mittags um 12 macht er die zweite Wendung. Ohne Pause schlägt er die dritte Richtung ein. Das Wasser und das Brot schleu- dert er von sich. Nur keine Zeit verlieren. Immer weiter, weiter. Und nur ein Gedanke geht ihm durch den Kopf: Das Land soll groß werden, so groß, daß er selbst noch davon verkaufen und verpachten kann, was ihm so großmütig geschenkt werden soll. "Wieviel Erde braucht der Mensch"? Möglichst viel! Reich werden will er! Die Leute sollen den Hut vom Kopf nehmen, wenn er kommt! Weiter, nur weiter! Die Sonne brennt vom Himmel. Der Durst brennt in der Kehle. Der Hunger wütet in den Eingewei- den. Der Mann gönnt sich keine Ruhe. Bis 6 Uhr abends Zeit. Keine Minute länger. So ist es abge- macht. Er muß es schaffen! Er wird es schaffen. Und das Land, das ihm gehört, wird unermeßlich sein! Und er wird reich sein! Die letzte Wendung um 15 Uhr. Die Zunge klebt ihm am Gaumen, Der Schritt wird schwer wie Blei. Weiter, weiter. Weiter...? Jetzt merkt er: viel zu groß hat er das Stück Land bemessen, das er um- schreiten wollte: Mit taumelnden Schritten schleppt er sich dahin. Bald wird jeder Meter eine Qual. Er ist am Ende. Die Strapaze geht über seine Kräfte. Kein Wasser, kein Brot. Der Durst foltert ihn, der Hunger rast ihm im Magen. Aber jetzt sieht er schon das Ziel. Da stehen Menschen in der unter- gehenden Sonne. Dort ist der Punkt, an dem er den Marsch am Morgen begann. Nur noch Meter. Nur noch Sekunden. Das Herz dröhnt ihm in den Schläfen. Die übergroße Anstrengung nimmt ihm die Sinne. Er strauchelt. Er stürzt. Er kriecht die letzten Meter, Zentimeter. 6 Uhr abends. Die Son- ne versinkt am Horizont. Der Kopf des Mannes ruht auf dem Punkt, an dem er morgens begonnen hat. Er ist tot. - "Wieviel Erde braucht der Mensch?" Als sie ihn begraben, genügt dem Mann ein Loch im Boden, zwei Meter tief, zwei Meter lang und einen Meter breit. Liebe Konfirmanden, ich spüre jetzt, diese Erzählung hat euch genauso beeindruckt, wie mich vor Jahren. Und das soll sie ja auch! Wißt ihr, ich würde euch so gern etwas von heute mitgeben, was ihr lange, ja vielleicht nie vergeßt! Darum diese Geschichte. Und sie will uns wahrhaftig etwas Wichtiges sagen. Und es ist ein guter Zeitpunkt, sich das heute bei der Konfirmation anzuhören! Ihr steht nämlich jetzt auch an jenem Punkt, von dem aus ihr umschrei- ten sollt, was einmal Euch gehört! Euer "Land" liegt sozusagen vor Euch. Es ist das von Gott ge- schenkte Leben. Und da gibt es, wie es scheint, zwei Möglichkeiten: Entweder ihr macht es wie der Mann in der Erzählung, kämpft also verbissen und bemüht, möglichst viel herauszuholen, oder ihr geht euren Weg fröhlich, ohne Hetze, ohne Taktik - eben in dem Bewußtsein: Es ist ohnehin alles Geschenk, was mir gehören soll, und ich werde mein Auskommen haben, Glück, Sinn und Freude unterwegs - und am Ende wird das Leben stehen und nicht der Tod. Mir kommt es heute allerdings oft so vor, als gingen immer mehr Menschen ihr Leben so an, wie der Mann in der Geschichte. Und gerade junge Leute!: Möglichst rasch wollen sie "zu etwas kommen". Nichts darf man entbehren müssen, auf nichts verzichten. Ja, man erträgt es kaum noch, sagen zu müssen: Das kann ich mir nunmal nicht leisten. Und hat man etwas erreicht, wird nicht gerastet. Das nächste Ziel wartet schon. Weiter, nur weiter! Keine Zeit für Aufenthalt. Keine Zeit für die Freude am Erreichten. Keine Zeit auch für die anderen Menschen, die Weggenossen. Nur an sich denken sie und nur an das, was man besitzen, haben kann. Was "das Land" in der Erzählung ist, mag heute all der Kram sein, mit dem man so ein Leben aus- staffiert, was man "unbedingt braucht", wie man denkt: In der ersten Zeit, die jetzt kommt, wird es für euch vielleicht das Mofa sein, das die l. Station dieses Weges markiert. Vielleicht auch eine Ste- reoanlage, ein eigener Fernseher oder die neue Ausstattung des Zimmers. Nichts Schlimmes, gewiß. Es gibt ja immer wieder die Chance, rechtzeitig die Richtung zu ändern. Nicht noch mehr und immer mehr haben zu wollen. Dann hält man das Gebiet klein, das man umwandert. Vielleicht erreicht man schon mittags um 12 den Ausgangspunkt. Was braucht man denn auch mehr?! Jetzt kann man sich aufhalten. Jetzt kann man das Leben in seiner Tiefe durchmessen. Kreuz und quer kann man durch das "Land" streifen, das einem geschenkt wurde. Zeit für Kontakte, gute Beziehungen zu anderen. Zeit für wirklichen Sinn im Tun und in der Hilfe für die Mitmenschen. Zeit auch für die Freude mit den anderen Menschen und an den Dingen. Zeit für Gott, dessen Geschenk ja alles ist... Viele, so viele!, können aber nicht mehr genug kriegen! Weiter, immer weiter! Um 9 Uhr das Mofa, um 10 das Auto, um 11 das Haus, um 12... Und sie schleudern alles von sich unterwegs, alles von dem wir wirklich leben. Keine Zeit für den Durst. Keine Zeit für den Hunger... Weiter, nur immer weiter. Mehr wollen sie noch herausholen! Alle sollen den Hut vor ihnen ziehen. Reich wollen sie sein, an- gesehen... Und oft droht ihnen die Luft auszugehen, das Leben wird zur Strapaze. Aber sie sind schon zu weit gegangen. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Nur noch ein Vorwärts. Weiter, immer noch weiter. Da liegt das Ziel. Da wird alles anders. Da wird man Zeit haben. Da wird man die Mitmenschen sehen. Da werde ich ein besserer Mensch. Da kümmere ich mich um Gott. Da mühe ich mich um Glauben. Da habe ich's erreicht. Da beginnt das Leben... Und dann ist einer am Ausgangspunkt. Die Sonne seines Lebens sinkt. Er strauchelt und fällt. Wie- viel Erde braucht der Mensch? Wieviel bleibt am Ende von so einem Leben? War es überhaupt ein "Leben"? Liebe Konfirmanden, ich will gar nicht mehr viel sagen. So eine Geschichte wäre auch nicht gut und überzeugend, wenn wir sie jetzt noch lang und breit erklären und übertragen müßten. Ich möchte euch nur noch etwas empfehlen: Seht auf den, der wirklich satt machen kann - wir haben ja vorhin in der Schriftlesung davon gehört. Geht hinter dem her, der eure Tage sinnvoll und erfüllt werden läßt. Bleibt neben dem, der selbst das Brot des Lebens ist. Er allein kann unser Sehnen zur Ruhe bringen. Er allein vertreibt die Angst, zu kurz zu kommen. Er ist Ende und Ziel, Hoffnung und Zukunft für uns. Und wer mit ihm einmal an den Ausgangspunkt seines Lebens kommt, für den beginnt das Le- ben. "Wieviel Erde braucht der Mensch?" Was bleibt am Ende? Ich befehle euch heute dem an, der allein weiß wieviel und was ihr braucht, damit in diesem Leben und am Ende das wahre Leben für Euch steht: Jesus Christus.