Ansprache zur Goldenen Hochzeit: Eheleute K., 2.10.99 Mt. 6,33 Liebes Goldenes Brautpaar, liebe Gäste! Über ihre Trauung lesen wir im Traubuch unserer Kirchengemeinde auf Seite 293: W. K., Kraftfahrer, steht da und H. S., ohne Beruf. Getraut von Pfr. W. - vor diesem Al- tar - am 2. Oktober 1949. Sogar die Uhrzeit lesen wir dort: 3 ¼ Uhr. Wir hätten also genau genom- men - noch ein gutes Stündchen Zeit bis zum Goldenen Jubiläum! Aber kommen wir zu Ihrem Trauvers, der sie 50 Jahre in guten und schweren Zeiten begleitet hat. Er steht im Evangelium des Matthäus, im 6. Kapitel, der Vers 33, ein wunderschöner Vers, über den ich bei einem solchen Anlaß noch nie habe reden dürfen: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen. Ihnen hat ihr Trauvers immer gefallen und sie haben mit ihm gelebt. Mir gefällt er auch, und ich habe gleich gewußt, dazu willst du gern ein paar Gedanken sagen! Erst einmal denken wir doch - wenn wir ganz ehrlich sind - dieses Wort paßt überhaupt nicht mehr in unsere Zeit! Und sicher ist das auch so. Wer tut das denn: "Zuerst nach Gottes Reich trachten"? Irgendwie scheint uns das weltfremd, unzeitgemäß, ja, unmodern. Aber dieses Wort teilt dieses Schicksal mit vielen anderen Worten, Werten und Gedanken. Ist das mit der "Nächstenliebe" etwa nicht auch so? Da könnten wir doch auch sagen: Die ist nicht mehr modern. Meist geht es doch dar- um, die Mitmenschen auszustechen, zu übertrumpfen. Wer kann es sich denn leisten, sie zuerst zu lieben, ihr Wohl obenan zu stellen, ihnen den Vortritt zu lassen? Und an diesem Tag denkt man ja auch wieder an die grüne Trauung zurück und an das Trauversprechen, das damals doch immer so hieß: "...einander lieben und ehren...bis der Tod Euch scheidet!?" Auch sie, liebe Eheleute K., haben dazu einmal ihr Ja gesagt. Aber wenn wir auch hier ehrlich und ganz "zeitgemäß" sein wollen, müssen wir zugeben: Heute paßt dieses Versprechen eigentlich nicht mehr zu unseren Erfahrungen, die wir leider immer wieder und immer mehr machen müssen. - Sollten wir also nicht einmal all un- sere Werte, die wir bis heute - vielleicht verzweifelt - hochgehalten haben, unsere Gedanken um Gottes Sache und den Glauben und unseren religiösen Sprachgebrauch durchforsten und prüfen, was wir davon behalten und was wir eigentlich endlich aufgeben müßten? Ich denke, wir könnten auch etwas anderes tun! Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes... Da mö- gen solche Worte auch unmodern sein und scheinbar nicht in die Zeit passen...sie haben aber eine Verheißung und einen Segen! Aber ich will hier einmal nicht in der kirchlichen Kanzelsprache reden, darum sage ich's anders: Diese Worte beschenken uns, wenn wir ihnen folgen! Es geht uns besser durch sie. Unser Leben gelingt. Wir gewinnen durch sie, Freude vielleicht oder glückliche Zeiten o- der auch Zufriedenheit! Bei der Liebe etwa, die wir gegen den Geist der Zeit für unsere Mitmen- schen übrig haben, ist das ganz deutlich! Da wird einem doch das Herz warm, wenn einer, der ganz unten war und sich von aller Welt verlassen gefühlt hat, durch uns wieder hochkommt, wieder wei- terweiß, sein Leben wieder in den Griff bekommt... Das tut uns doch gut, wenn wir den Glanz in seinen Augen sehen und wenn wir es hören: "Ich danke dir, das werde ich dir nie vergessen!" Oder eben wenn wir dieses Trauversprechen bedenken, das doch auch so schlecht in unsere Zeit zu passen scheint: "...bis der Tod Euch scheidet!" Gewiß ist das ein ungeheurer Anspruch! Und das fällt uns im Laufe so vieler guter oder eben auch schwerer Jahre zusammen nicht immer leicht, daß wir's erfüllen. Aber wenn wir es tun, wenn wir uns mühen, dieses Versprechen vor Augen und vor dem Herzen zu haben und ihm nachzukommen, dann schenkt das auch ein tiefes Glück, das keiner, der es erlebt hat, gegen den Reiz oder die Anregung immer wieder neuer Partnerschaften und Bezie- hungen eintauschen würde! Und so ist es eben auch mit diesem Wort, ihrem Trauvers: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit... Wer es erlebt hat, daß es wirklich stimmt: Daß Gott uns alles an- dere hinzufügt, wenn wir nur nach ihm fragen und uns redlich bemühen, ihm und seiner Sache zu dienen... Wer das erfahren hat, der weiß um die vielen Geschenke, die Gott uns gibt, wenn wir die- sem unmodernen, unzeitgemäßen Gedanken folgen. Und ich glaube fest, ja, ich weiß es, daß ihnen ihr Trauvers, liebe Eheleute K., eben darum so wichtig war und ist, weil sie um sein Geheimnis wissen: Wer ihn zu erfüllen versucht, der erfährt seine Wahrheit. Wer nach Gottes Reich trachtet, erhält alles andere dazu, was er nur zum Leben braucht. Und zweie, die es mit diesem Wort ehrlich probieren, werden Fülle und Segen haben. Mir geht jetzt auf, daß ja auch dieses Wort "Gerechtigkeit Gottes", von dem ihr Trauvers spricht, so ein Begriff ist, der in unseren Tagen keine Konjunktur hat. Wir haben dieses Wort sehr menschlich umgedeutet! Gerecht ist, was mir dient. Gerecht ist, daß alle dasselbe haben und ich nicht weniger als andere. Gerecht ist, wenn jeder die Folgen seines Tuns tragen muß. - Wie anders ist doch die Ge- rechtigkeit Gottes! Und wie wunderbar, wenn man das begriffen hat und im eigenen Leben praktisch werden läßt! Gerechtigkeit Gottes - das meint eben gerade nicht, daß alle dasselbe haben und keiner mehr oder weniger. Das heißt vielmehr: Alle mögen ganz unterschiedlich sein, aber sie sind bei Gott alle gleich geliebt! Alle sind ihm gleich nah. Alle will er bei sich und um sich haben - und das auch noch in Ewigkeit! Und Gerechtigkeit Gottes - heißt eben nicht, tun, was mir förderlich ist, sondern immer zuerst den Mitmenschen im Blick haben und in einer Ehe den Partner, den mir Gott zur Seite gestellt hat. Und schließlich bedeutet Gerechtigkeit Gottes schon gar nicht, daß auf alles böse Tun Strafe folgte, sondern im Gegenteil: Gott ist gütig, er vergibt, er läßt uns immer wieder anfangen und täglich dürfen wir neu werden und uns bessern. Und auch mit der Gerechtigkeit Gottes ist es so, wie mit der Liebe, dem Trachten nach Gottes Reich und dem Trauversprechen, das bis zum Tod reicht: Es liegt Verheißung darin, es mit dieser Gerechtigkeit zu versuchen. Wir erhalten Segen und die reichen Geschenke eines guten Lebens, das Gott gefällt. Wir erfahren Freude daran und es geht uns immer wieder das Herz auf und wir erleben, was unsere Zeit in dieser Welt voll macht, glücklich und rund. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen. Liebe Eheleute K., Gott hat ihrem gemeinsamen Trachten und Mühen in seiner guten Sache viele Geschenke des Lebens hinzugefügt: Sie konnten trotz der Behinderung seit Kriegszeiten zusammen einen Betrieb aufbauen, in dem sie gern gearbeitet haben und der sie und ihre Lieben immer ernährt hat. Gott hat ihnen drei Töchter geschenkt und sechs Enkel und Enkelinnen. Sie haben neben aller Arbeit auch immer wieder Zeiten der Erholung geschenkt bekommen. Gott hat in ihnen - und ich glaube, das ist heute besonders wichtig - auch den Glauben geweckt und ihn in den Höhen und Tie- fen ihrer Jahre lebendig erhalten. Um für all das zu danken, wollten sie heute diesen Gottesdienst feiern. Ich denken mir, es wäre ih- nen noch ein besonderes Anliegen, daß auch wir anderen, die wir mit ihnen als Familie, als Freunde oder Nachbarn verbunden sind, diesen wunderbaren Trauvers mit in unser Leben nehmen. Ich möchte uns allen wünschen, daß wir ihn gegen den Gedanken, er wäre nicht modern und auf der Höhe der Zeit, gern zu erfüllen versuchen. Und ich wünsche uns, daß wir seinem Geheimnis auf die Spur kommen, dem Geheimnis, wieviel Segen, wieviel Freude und gelungenes Leben aus ihm flie- ßen. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.