Predigt zur Kirchweih Text: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!" Liebe Gemeinde! Es gäbe heute zwar keine Getränke aber ein "gutes Wort", so stand es auf den Plakaten, die ich vor Tagen aufgehängt habe, weil ich vergessen hatte, diesen Gottesdienst in die Zeitung zu setzen. Und so soll es heute ein "gutes Wort" geben! Zuvor aber will ich erzählen, was ich schon in den Tagen vor diesem Gottesdienst Gutes erlebt habe. Das war wohl ganz wichtig, daß ich den heutigen Gottesdienst nicht in die Zeitung gebracht habe: Da rufen mich in den letzten Tagen einige Menschen an, ob denn dieses Jahr kein Kirchweihgottesdienst wäre. Da höre ich am Sonntag aus dem Lautsprecher des Festzeltes eine Ankündigung des Veranstalters, es wäre vergessen worden, den Kirmes-Gottesdienst bekanntzumachen, der wäre natürlich wie immer am Dienstag um 10.00 Uhr. Da sehe ich eine kleine Gruppe Menschen vor dem Plakat beim Bäcker stehen, das zu diesem Gottesdienst eingeladen hat, und ich höre sie sagen: Na, wie gut! Er findet ja doch statt! Und da höre ich schließlich immer wieder vor und nach dieser Feier in der Kirche: Das ist mir doch das wichtigste an der Kirmes - der Gottesdienst! - Alles das freut mich sehr! Und es macht mir jetzt Lust und Mut, ihnen wirklich ein gutes Wort zu sagen. Und das fällt mir auch leicht, wenn ich den Wochenspruch lese, der uns in dieser Woche begleitet: Ich möchte dazu einfach einmal etwas behaupten: Menschen, die wie wir, in der Kirche Trost und Kraft am Sonntag und eben heute suchen, die wissen davon, daß sie mühselig und beladen sind! Und ich will dazu noch die zweite Behauptung aufstellen: Die anderen Menschen unserer Tage sind ebenso belastet und haben Halt und Hilfe des Evangeliums genau so nötig - nur wissen sie es nicht oder geben es nicht zu. Das ist also heute mein "gutes Wort" für sie: Es ist wichtig und unverzichtbar, daß wir unseren Mangel empfinden, daß wir in uns spüren, daß uns Trost und Orientierung fehlt, daß wir unser Leben allein nicht machen und bestehen können. Das ist unendlich wichtig! Es ist der erste Schritt, den wir tun müssen. Im Bild dieses Wortes für heute gesprochen: Wenn Jesus sagt: Kommet her..., und wenn wir uns dann nicht aufmachen, dann kann er uns nicht erquicken! Und wenn ich das jetzt so herausstreiche, dann darum: Ich weiß - aus eigener Erfahrung - wieviel Mut und Überwindung dazu gehören, sich zu Jesus aufzumachen. Es ist ja immerhin ein schmerzliches Eingeständnis der eigenen Schwäche, wenn wir uns offen dazu bekennen, daß wir nicht stark genug sind, unser Leben zu meistern. Ich will dazu einmal ganz persönlich reden. Ich habe in meiner Jugend immer sehr stark empfunden, wie unzulänglich gerade die Leute in der Kirchengemeinde waren! Ich hoffe, es schockiert sie jetzt nicht zu sehr, wenn ich ganz offen spreche. Die Mädchen im Jugendkreis meiner Gemeinde waren immer mehr die Mauerblümchen. Die Begehrten, die Schönen, die, denen alle Jungen den Hof machten, die wären niemals in irgend eine Gruppe der Kirche gegangen! Umgekehrt waren die Jungen auch nicht die Draufgänger, nicht die ganzen Kerle, denen kein Mädchen hätte widerstehen können. Oder der Kirchenchor: Da tummelten sich Menschen mit seelischen Nöten, mit zahlreichen Problemen, mit Kontaktschwierigkeiten... Oft konnten sie überhaupt nicht singen und ich hatte stark den Eindruck, mein Pfarrer hatte sie nur irgendwo unterbringen wollen, daß sie einmal mit freundlichen Menschen zusammentreffen, die ihnen vielleicht aus ihrer Misere helfen können. Ich kann mich auch sehr peinlich daran erinnern, wie mich einmal eine Sekretärin der Werbeagentur, in der ich damals gearbeitet habe, gefragt hat: "Sie singen tatsächlich in diesem Kanzelschwalbenchor?" Da lag die ganze Verachtung für diese schwachen, anlehnungsbedürftigen Leute aus dem Kirchenchor drin! Schließlich denke ich an meine Zeit in der Leitungsarbeit der Kreise meiner Frankfurter Kirchengemeinde: Da sind mir überwiegend Persönlichkeiten begegnet, die nur im Schonraum der Kirche leben konnten. Im Alltag ihres Berufs, in der Gesellschaft ansonsten zählten sie zu den Schwächeren, den Zu-kurz-Gekommenen. Sonst hörte wohl niemand auf sie, sie hatten nichts zu sagen, sie waren immer die Leute am Rande. Und ich will - auch ganz offen - das hinzufügen: Es hat mich Jahre gekostet, bis ich mich ganz bewußt und ohne Scham zu diesen schwachen, hilfsbedürftigen Menschen habe bekennen können. Das war sozusagen mein erster Schritt auf den Standpunkt, den ich heute einnehme zu und auf das Wort, das uns heute gesagt ist: "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid..." Der zweite Schritt war dann: Daß mir klar geworden ist, du selbst bist ja genau so schwach und kannst allein - ohne Gott - nicht zum Ziel des Lebens finden. Sie kennen das sicher auch; es ist nicht leicht, zuzugeben, daß man nicht der harte, erfolgreiche Mann ist, der zu sein, man so gerne vorgibt. Es ist nicht leicht, einzugestehen, nicht die Frau zu sein, die ihren Haushalt, ihren Beruf, ihre Familie völlig im Griff hat. Es ist nicht leicht dazu zu stehen, ein Mensch mit Fehlern, mit Schwächen, mit Problemen und ohne Antwort auf so viele Fragen zu sein. Es ist nicht leicht zu zeigen, daß man manchmal weinen muß, ratlos ist, von Befürchtungen und kalter Angst geschüttelt... Der dritte Schritt bei mir ist gewesen, daß ich gesehen habe, die Menschen in der Gemeinde (und auch hier bei uns!) sind meist Leute, die das auch begriffen haben: Ich bin schwach! Ich habe Angst! Ich kenne Stunden des Zweifels und der Fragen! Ich kann allein - aus eigenen Kräften - nicht leben! Heute nun, liebe Gemeinde, möchte ich mit ihnen zusammen und im Hören auf dieses gute Wort den vierten und fünften Schritt gehen. Das nämlich muß uns immer noch deutlicher und klarer werden: Wir können aus uns selbst heraus nicht leben! Und dabei helfen wird uns, daß wir ja auch nicht allein leben müssen! Die ganze Bibel ist voll von Geschichten über Menschen, die schwach waren, unzulänglich, keine Erfolgs- und Karrieretypen. Aber die Bibel erzählt stets von gerade ihrer Nähe zu Gott, von ihrem guten Verhältnis zu Jesus, der ja ausdrücklich zu den Schwachen und den Kranken, den Sündern und Außenseitern gekommen ist. Denken wir dabei an König David, der mit Bathseba die Ehe bricht. Denken wir an den Propheten Jeremia, der sich für viel zu unwürdig und gering für sein Amt hält. Denken wir an den kleinen Fischer Petrus, der so jämmerlich versagt hat und dann doch der Leiter der ersten Christengemeinde geworden ist. Denken wir an Zachäus, den Zöllner, an die Sünderin, die Jesus die Füße wäscht. Denken wir an den Verlorenen Sohn, den verachteten Samariter und an die Kinder, die Jesus besonders gern gehabt hat: "Lasset die Kindlein zu mir kommen..." Und denken wir schließlich an den Apostel Paulus, der zuerst ein Verfolger der Christen war und dann ihr wichtigster Missionar geworden ist. - Die Schwäche, die Sünde, die Krankheit, das gebeugte, belastete Leben - alles das hat eine ganz besondere Nähe zu Gott und seiner Sache! "Kommet her zu mir alle..." Wenn ich schwach bin, bin ich stark, sagt Paulus. Und Jesus hat ihm versprochen: Laß dir an meiner Gnade genügen, meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. So ist es. Und wir haben das erkennen dürfen. Das ist wichtig. Unendlich wichtig! Liebe Gemeinde, jetzt wollen wir zusammen noch den fünften Schritt machen, der hat mit den Menschen in unserer Umgebung zu tun, mit unseren Familien, unseren Verwandten und Freunden. Lassen wir doch auch sie wissen und sagen wir's ihnen und leben wir's ihnen immer wieder aufs Neue vor: Wir müssen unsere Schwäche eingestehen lernen! Wir müssen es lernen, von uns als Sünder zu reden. Wir müssen aufhören, immer den Starken zu mimen, den Kerl, der nie Angst hat, die Frau, die alles packt und nie versagt. Wir müssen standhalten, wenn man uns der Schwäche bezichtigt und bejahen, wenn wir uns selbst klein und ohnmächtig fühlen. So will Gott uns haben. Dann kann er mächtig werden in unserem Leben. Dann nämlich geben wir auf, ihm mit unserem Willen und Wesen ins Handwerk zu pfuschen. Dann nämlich haben wir endlich verstanden, daß Gott uns gerade in unserer Schwäche und Unzulänglichkeit liebt. Dann kann auch wahr werden, was dieser Vers am Ende sagt: "...ich will euch erquicken!" Liebe Gemeinde, wir wollen den Menschen, die wir erreichen können, davon zeugen und erzählen: Du mußt bei Gott nicht stark sein. Du darfst deine Maske mit dem lässigen Grinsen ablegen. Du darfst weinen und zugeben, daß dir der Rat und die Antwort fehlt. Du darfst endlich aufhören mit deinen tausend starken Rollen und deinem Schauspielern und darfst sein, wie du bist: Hilflos, ohne Trost und Antwort, ängstlich und voller Zweifel. Gott wenigstens hat ja all diese Maskerade längst durchschaut. Und er liebt dich trotzdem! Und er will dich gerade deshalb in seiner Nähe haben! Sagen wir's den Menschen! Leben wir's ihnen vor! So, daß es glaubhaft ist! Ich finde es schön und sehr befreiend, daß wir in diesem Dorf eine Gemeinde und eine Kirche haben, in der wir uns offen und ehrlich so begegnen können, wie wir sind: Schwach, klein, der Liebe und Gnade Gottes bedürftig...oft voller Fragen und Ängste. Gerade uns gilt Jesu Verheißung! "Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!"