Ansprache zur Goldenen Hochzeit: Eheleute F., 5.6.1999 Gal. 6,2 (Als Schriftlesung wurde zuvor folgende Geschichte gelesen: Ein armer Bauer hatte sehr mageres Land zu beackern und nur einen Sohn, der ihm half, und nur ein Pferd zum Pflügen. Eines Tages lief ihm das Pferd davon. Alle Nachbarn kamen und bedauerten den Bauern wegen des Unglücks. "Woher wißt ihr, daß es ein Unglück ist?" fragte der Bauer ruhig. In der nächsten Woche kam das Pferd zurück und brachte zehn Wildpferde mit. Die Nachbarn kamen alle und gratulierten dem Bauern zu seinem Glück. "Woher wißt ihr, daß es ein Glück ist?" fragte der Bauer. Eine Woche später ritt sein Sohn auf einem der wilden Pferde, fiel herunter und brach sich ein Bein. Nun war der Vater ohne Hilfe. Die Nachbarn kamen wieder und bedauerten das Unglück, aber der Bauer fragte ruhig: "Woher wißt ihr, daß es Unglück ist?" In der folgenden Woche brach ein Krieg aus. Soldaten kamen ins Tal, um junge Männer mitzunehmen. Den Bauernsohn ließen sie da, weil er das gebrochene Bein hatte.) Liebes Goldenes Brautpaar, liebe Gäste! Heute ist es soweit: Genau vor 50 Jahren, am 5. Juni 1949, das war damals der 1. Pfingsttag, sind sie von Pfr. W. hier vor diesem Altar getraut worden. So steht es in unserem Traubuch: K. Faust (der Mann wurde damals noch zuerst genannt) und O., geb. F. Was ist das doch heute für ein Anlaß: 50 Jahre verheiratet! 50 Jahre gemeinsame Zeit. 50 Jahre Glück und Freude, aber auch manchen Kummer, Leid und schwere Zeiten. Sie haben vor Tagen bei unserem Vorgespräch gesagt: "Das ist für uns beide ein Anlaß zu Dank und Zufriedenheit." Wie wahr! Es ist schon eine Gnade, wenn man diesen Tag gemeinsam erleben darf; da mußt man schon danken! Sie wollten hier nicht so viel über sich gesprochen haben. "Die Leute, die mit uns feiern, kennen uns eh und wissen, wer wir sind und was wir erlebt haben." So etwa haben sie gesagt. Und so wollen wir es jetzt auch halten. Aber über ihre Erfahrungen wollen wir hören und sprechen, denn die sind wesentlich und wichtig gewesen - und ich glaube, nicht nur für sie, sondern für uns alle hier. Und ihren Trauspruch wollen wir bedenken. Ich finde nämlich, der ist auf wunderbare Weise wahr geworden in ihrem Leben. Und so heißt er: Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Gal. 6,2) So hieß es vor 50 Jahren bei Ihrer grünen Trauung. Und dieses Wort und dieser Gedanke haben sie begleitet. Ein arbeitsreiches Leben ist das gewesen. Die Landwirtschaft, mit der sie beide ja seit ihrer Kindheit verbunden waren, hat zunächst ihren Tag und ihren Jahreslauf bestimmt. Urlaub, Feier- abend um 5, am Wochenende ausschlafen...das alles hat es für sie nicht gegeben. Aber sie hatten doch Freude an diesem Leben. Und es hat sich darin für sie erfüllt: Einer trage des andern Last... Denn gemeinsam haben sie immer gewirtschaftet. Gemeinsam die Lasten der Arbeit getragen. Und - ich weiß, daß sie das auch so empfinden: Sie hatten immer einen Helfer, der uns jeden Morgen neu das gibt, was wir füreinander und für unser Leben brauchen. Wir sind ja darauf angewiesen, daß uns die nötige Kraft immer wieder zuwächst, jeden Tag neu. Sie haben immer genug davon geschenkt bekommen. Und sie haben, diese Geschenke zu empfangen, auch - so gut es ihre Arbeit zuließ - mit dem Beziehung gehalten und sich im Beten und Hören an den gewandt, bei dem wir auffrischen können, was uns das Leben abverlangt. Nun könnte man meinen, ihre gemeinsame Zeit wäre - zwar arbeitsreich - aber ansonsten doch im- mer nur rosig und leicht gewesen. Aber so war es nicht, ganz und gar nicht. Das fing ja schon bald nach ihrer Trauung an. Da gab es im Leben - besonders von Frau F. - ja bald sehr schwere Weg- strecken, Monate der Krankheit und des Bangens, Zeiten schwerster Sorge und verbunden damit, daß sie nicht mehr mitarbeiten konnten, große Zukunftsängste. - Und dann kam für den Mann, ganz unvermittelt und unerwartet - diese gewaltige Umstellung im Beruf und das Aufgeben all dessen, was bis zu diesem Tag als Mittelpunkt und Lebensinhalt wichtig war: Nicht mehr körperlich, son- dern geistig arbeiten, nicht mehr überwiegend draußen, sondern drinnen in Amt und Büro. Sicher nicht zum ersten Mal, aber da ganz besonders intensiv haben sie beide die Erfahrung ge- macht, die uns im Gespräch vor Tagen so sehr bewegt und beschäftigt hat und die ich vorhin in die- ser kleinen Geschichte vom Bauern und dem Wildpferd ansprechen und sozusagen auf den Punkt bringen wollte. Diese Erfarung heißt: Wir dürfen nicht gleich urteilen, ob etwas gut ist oder schlecht. Manches erweist sich erst hinterher als hilfreich, glückhaft und als ein Segen. Ja, ihre Er- fahrung ist noch mehr zum Staunen und noch überwältigender und des Dankes wert: Denn gerade die allerschlimmsten Schicksalsschläge haben sich in ihrem Leben als besonders gute Fügungen und Führungen erwiesen! Denken wir doch einmal, wie das wohl gewesen ist, wie schlimm, wie hart das war, die Landwirtschaft, an der sie doch gehängt haben, von einem Tag auf den anderen aufgeben- und das wegen der schweren Krankheit der Frau, und nicht wissen, wie es jetzt weitergehen soll, ganz in der Luft hängen und viel Angst im Herzen vor einer ganz ungewissen und dunklen Zukunft. - Und hinterher? Wie glücklich, wie gut hat sich alles gewendet! Wieviel Erfüllung haben sie auch im neuen Beruf erlebt und - das darf man ja heute auch einmal sagen - wie vielen jungen Leuten konn- ten sie später helfen, daß sie zu einem guten, für sie passenden Beruf gefunden haben. Wie dankbar durften sie sein - und wie vieles, was des Dankes wert ist, ging von ihnen aus!? Aber auch die Trauer mußte in ihrem Leben schon manchesmal bestanden werden, wenn der Tod an die Tür geklopft hat und es Abschied zu nehmen hieß von lieben und liebsten Menschen. - Durch alles sind sie hindurchgekommen. Und sie haben trotz aller schweren Erfahrungen die Hand Gottes nie verloren. Und es gilt auch das: ER hat nie ihre Hand losgelassen! So sind sie zusammen diesem Wort und seinem Geheimnis auf die Spur gekommen: Einer trage des andern Last... Wo wir nämlich gemeinsam tragen, was uns das Leben schwer macht, da haben wir immer den dritten im Bund, den guten Gott, der bei allem dabei ist, was uns schwer aufliegt und der gerade da mitträgt, wo wir füreinander und miteinander die Lasten des Lebens tragen. Und - das zeigt eben besonders ihre Erfahrung, die sie machen durften - manches, was erst wie eine Last aussah, entpuppt sich hin- terher als Segen, als Glück, ja, manchmal als die besten Fügungen eines gemeinsamen Lebens! Und heute nun feiern wir goldene Hochzeit und erkennen dankbar, wie groß das Geschenk ist, das Gott auch in ihr Leben hineingelegt hat: Bewahrt und behütet - fünf Jahrzehnte lang. Geführt durch manches Leid. Hindurchgeleitet durch zuerst ganz dunkle Zeiten, die so bald schon die hellsten ihres Lebens wurden. Immer wieder überrascht von Gottes Güte. Jeden Morgen neu, seine Kraft empfan- gen. In so vielen gefährlichen Augenblicken persönlich Gottes Hand erfahren, die er schützend über sie gehalten hat. Hätten sie immer geglaubt, daß sie diesen Tag heute erleben würden? - Doch: Es ist wirklich eine große Gabe, für die wir heute danken wollen. Und es kann schon "zufrie- den" machen, wie sie gesagt haben, erlebt zu haben, daß es stimmt, was ihr Trauvers sagt: Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Und sie haben dabei auch erfah- ren, daß dieses Gesetz Christi weiß Gott nichts ist, was uns auferlegt wird, wie eine Last. Im Ge- genteil: Dieses Gesetz macht uns frei. Es schenkt Freude und nimmt alle Sorglichkeit: Wenn wir miteinander tragen, wie er es uns heißt, dann können wir ganz getrost nach vorn schauen in der Ge- wißheit, es trägt einer mit uns, es kann uns nichts geschehen, und selbst, was erst böse aussehen mag, wird am Ende gut! Wir mögen erst zögern und vielleicht zagen, am Ende werden wir Gott lo- ben können und ihm danken! Liebe Eheleute F., nicht zuletzt ist es dieser Dank, der sie heute bewegt und veranlaßt hat, um diese Feier in der Kirche zu bitten. Sie haben viel Gutes mit der Hilfe Gottes erfahren, sie haben ei- nen Sohn, eine Schwiegertochter, und zwei Enkelkinder von Gott geschenkt bekommen - sie wollen das nicht nur hinnehmen, als sei das alles selbstverständlich, sondern das heute auch aussprechen, ih- ren Dank abstatten für alle Führung, alle wunderbare Fügung, Bewahrung, allen Beistand, alles Mit- tragen Gottes und alle guten Gaben ihres gemeinsamen Lebens in den vergangenen fünf Jahrzehnten. Ich könnte mir denken, daß wir anderen, ihre Familie aber auch all ihre Freunde, ihnen heute kein größeres Geschenk machen könnten als dies: Daß wir mit ihnen einstimmen in diesen Dank! Und das wollen wir mit dieser Andacht tun, aber auch mit unserem ganzen Leben - heute und in aller Zu- kunft. Und ganz besonders wollen wir heute diese ihre Erfahrung aufnehmen und mitnehmen in un- ser Leben: Noch aus den dunkelsten Tagen, aus den größten Ängsten und dem tiefsten Leid kann Gott Segen, Glück, Erfüllung und Freude werden lassen, so daß wir hinterher nur staunen und dan- ken können! Vergessen wir das nie! Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Dieser Vers ist auf schöne Weise wahr geworden bei ihnen. Und er möge täglich neu wahr werden an ihnen und uns allen. Wir wollen Gott dankbar sein. AMEN