Predigt zur Silbernen Konfirmation - 1.6.1998 Liebe Silberne Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Gemeinde! Ich bin heute doch wieder etwas befangen an diesem Tag, bei diesem Anlaß, bei dieser Predigt. Ich will ganz offen sein: Ich möchte sie, liebe Jubilarinnen und Jubilare heute so gern gewinnen, für die Kirche, die Gemeinde, den Gottesdienst... Auch möchte ich gern dazu beitragen, daß es für sie ein schöner, ein unvergeßlicher Tag wird. Andererseits habe ich auch einen Auftrag: Ich soll Gottes Wort verkündigen, lauter und rein und ohne Rücksichten darauf, ob Menschen vielleicht Anstoß nehmen - wenn es die Wahrheit ist, die ich predige. Ob das wohl zusammengeht? Und dann: Ich bin eigentlich schon seit Jahren - genau seit der ersten Silbernen Jubiläumsfeier die wir hier gehalten haben - ein bißchen gehemmt. Das hat mit einem Gedanken zu tun, den ich damals vor Jahren geäußert habe. Ich sagte: Die Silbernen Konfirmanden wären in den „Mittleren Jahren"! Das hat damals einige Bewegung in den Reihen der Jubilarinnen und Jubilare ausgelöst. Einer hat seiner Aufregung über diese Äußerung sogar hörbar Ausdruck gegeben. Den ganzen restlichen Tag konnten sich manche nicht mehr beruhigen: Nein, in den mittleren Jahren wollte man noch nicht sein! Dabei war das ja eigentlich nur eine Feststellung von mir: Menschen, so an oder um die 40 Jahre alt, befinden sich nach der gegenwärtigen Lebenserwartung etwa in der Mitte ihrer Zeit - Männer sogar schon deutlich darüber. (Aber das traue ich mich ja gar nicht auszusprechen!) Unter den ,,Mittleren Jahren" versteht man in unserer Gesellschaft seltsamerweise aber erst die Jahre so um die 50. Merkwürdig. Aber sei's drum. Einige Jubilare damals müssen das etwa so gehört haben, als hätte ich gesagt: Ihr geht jetzt doch schon stark auf die 70 zu, das Ende des Lebens ist nicht mehr weit... Aber so habe ich es gar nicht gemeint! Im Gegenteil! Noch befangener hat mich übrigens der Predigttext für heute gemacht. Die Geschichte mit Lazarus. Die habe ich mich schon gar nicht vorzulesen gewagt! Sie wissen doch: Die Sache mit dem armen Mann, der nach seinem Tod in Abrahams Schoß kommt und mit dem Reichen, der sein Lebtag herrlich und in Freuden seine Tage verbracht hat und dann in die Flammen der Hölle muß... Hätte ich noch davon angefangen, alle hätten mich verdächtigt, ich wollte hier Angst vor dem Tod erzeugen und aus dieser Angst irgendwelches Kapital für die Sache Gottes schlagen, vielleicht religiöses Wohlverhalten, ein ganz neues Leben, eine Umkehr... Nein, ich will nicht drohen! Ich wollte das auch nicht, damals, vor Jahren, mit der „Lebensmitte", von der ich gesprochen habe. Drohung wird keinen Menschen zu Gott führen. Wie sich ja auch kein - sie entschuldigen den Vergleich! - kein Verkehrsrowdy oder gar ein Dieb von seinem schlechten Tun abbringen läßt, nur weil eine Strafe darauf steht. Wer denkt denn, wenn er seine Taten begeht, daran, daß er einmal zur Rechenschaft gezogen wird? Niemand! Das weiß jeder Polizist und jeder Richter. Und ein Pfarrer weiß das erst recht. Also: Nicht drohen wollte ich, sondern zum Nachdenken bringen, ja, sogar zur Freude... Zum Freuen daran, daß wir - in der Mitte! - doch noch so viele Jahre vor uns haben, soviel Möglichkeiten, Chancen, Gelegenheiten zum Anfang, zum Neubeginn, zum Wachstum in unserem Innern... Wir wollen uns doch einmal gar nichts vormachen: In den Jahren seit unserer Konfirmation hat uns einiges sehr beschäftigt und mehr beschäftigt als Gottes Wort und seine Kirche. Und ich gehe so weit, daß ich sage: Selbst der Glaube und seine gelebte Praxis, das Gebet und die christliche Tat, sind von manchen anderen Dingen und Interessen an den Rand gedrängt worden. Vielleicht haben wir ihnen einen Winkel unseres Lebens zugewiesen? Vielleicht war für Gott noch ein Stündchen hie und da drin? Wenn ich jetzt ,,wir" sage und von ,,uns" spreche, dann will ich damit klarstellen: So ist das meist in den Jahren zwischen 15 und 40, also zwischen der grünen und der Silbernen Konfirmation. Wir müssen ja nur einmal in diese oder in irgendeine andere Kirche gehen - an einem ganz normalen Sonntag - dann werden wir die Gottesdienstbesucher aus dieser Altersgruppe an einer Hand oder zwei Händen abzählen können. Und das ist nicht nur bei uns so. In diesen Jahren werden ja so viele Entscheidungen getroffen. Da sind wir so beansprucht, angestrengt, manchmal überfordert. Zuerst noch der Abschluß in der Schule. Dann die Berufswahl, das Finden einer Lehrstelle, die Ausbildung mit ihren großen neuen Anforderungen. Dann kommt die Zeit der Partnersuche und -wahl. Dann baut man sich gemeinsam eine Existenz auf, dann kommen die Kinder - oft schon dann, wenn man sich nicht einmal richtig an das Leben zu zweit gewöhnt hat, was ja gar nicht so leicht ist! Dann die hektischen Jahre des Hausbaus und der Erziehung der Kinder. Immer fehlt Zeit und immer haben wir doch das Gefühl, daß bei all dem Streß und all der Arbeit die Kleinen zu kurz kommen. Und wir selbst? Wir hungern und darben ja auch...nach Zuwendung, nach Freude, nach Anerkennung und manchmal einfach nach einer ruhigen Minute, in der wir einmal nur uns selbst gehören. Dieser Hunger und diese Not in den Jahren bis 40 ist es ja auch - wenn sie mir einmal ein persönliches Wort gestatten - die uns Pfarrer so traurig macht, wenn wir sehen, wie wenig die Menschen sich hier in der Kirche und durch das Wort Gottes und durch den Glauben helfen lassen! Ich bin nunmal überzeugt davon und weiß es aus eigener Erfahrung, wie sehr uns ein lebendiges Verhältnis zu Gott und die ständige Beziehung zu ihm im Beten und Hören die Richtung weisen kann. Das ist wirklich wie das Wasser und das Brot des Lebens unterwegs! Warum nur, so sagt man sich oft genug, wollen die Menschen ohne Wegzehrung für ihre Seele durch ihre Zeit gehen. Warum suchen und genießen sie nicht den Zusammenhalt mit den anderen Christen, die Stärkung, die wir uns nur gegenseitig geben können, die Gemeinschaft in der Gemeinde? Warum nur allein marschieren, allein leben und seine Zeit gestalten. Warum - auch oft genug - einsam sein, wenn es nur ein paar Schritte zu den Menschen ist, die als Leute Jesu Christi, als Getaufte und Konfirmierte doch zu uns gehören!? Aber so ist es halt. Ob es immer so bleibt - ich hoffe es nicht. Ob es gar so sein muß - ich glaube es nicht! - Heute sind wir jedenfalls hier. Die Silbernen Konfirmanden. Menschen so um die 40, in der Zeit, die ich nicht auszusprechen wage... Ich habe behauptet, das wäre auch etwas zum Freuen, in dieser Zeit zu sein. Und wirklich! Unsere Lebensreise geht nicht mehr auf so ganz holperigen, unsicheren Wegen! Es geht jetzt mehr ruhig und gemächlich dahin. Das mag ja den einen oder die andere stören: Zu wenig Bewegung, zu sehr schon Trott und Immer-so-weiter... Aber die meisten sind wohl zufrieden damit. Im Beruf hat man seinen Platz erobert. Das Haus steht. Die Kinder sind aus dem Gröbsten raus und oft schon selbständig. Gar nicht mehr lange, dann wird ein Kind Großvater oder Omi zu uns sagen! Gut, in manchen Ehen arbeiten - nach einer längeren Erziehungspause - jetzt wieder beide Partner. Trotzdem: Es ist ein bißchen mehr Zeit da, wenn wir ehrlich sind. Man kann auch für sich selbst wieder einmal etwas herausschlagen an Ruhe, an Entspannung, an Denken an und über sich selbst. Was entdeckt man dabei? Vielleicht dies: So manche Pläne, die wir hatten, sind unerfüllt geblieben. Mancher Wunsch hat sich zerschlagen. Und wir haben viele Wünsche und Pläne inzwischen auch abgetan: Das wird nicht mehr in diesem Leben. Aber etwas anderes werden wir auch erkennen: So manchesmal in diesen Jahren ging etwas gut aus, was ganz böse aussah! Wir wollten dies und jenes und es kam ganz anders...und es war besser so, wie es kam! An manchen Stellen unseres Weges sind wir bewahrt geblieben - es hätte schlimm kommen können. An manchem Unglück kamen wir haarscharf vorbei - es war, als hätte einer die Hand über uns gehalten. - Es hat einer die Hand über uns gehalten, da bin ich sicher. Und sie - liebe Jubilare - wissen es auch. Und da eben liegt, wie ich meine, die Freude dieser Jahre, in denen wir jetzt sind und die Freude gerade dieses Tages heute: Der Gott, den wir doch in den vergangenen Jahren immer wieder einmal erfahren haben, der uns behütet hat und hie und da vielleicht auf die Schulter getippt hat...dieser Gott bietet uns heute neu seine Hand und seine Begleitung an. Wissen sie, es ist eben nur von unseren Plänen und Wünschen manches für immer vorbei und nicht mehr zu erfüllen. Unsere Beziehung mit Gott aber kann noch heute aufleben und so frisch und eng werden, wie sie vielleicht in der Konfirmandenzeit einmal war. Und selbst, wo uns die Dinge des Glaubens schon damals ein Rätsel waren und immer ein Rätsel geblieben sind, kann jetzt alles anfangen! Das ist das Wunderbare an unserem Glauben und an unserem Gott, daß er uns nicht festlegt auf das, was bis heute war. Das ist nicht alles fort und verschwunden, was wir immer waren, aber Gott nimmt uns an und auf bei sich mit allem, was wir mitbringen. Und wenn wir das wollen, dann verwandelt er uns in Menschen, die in Gebet und Vertrauen eine lebendige Beziehung mit ihm haben. Wir müssen keine Angst haben, daß er uns wegschickt, wenn wir vor ihn treten und neu um seine Hand bitten und daß er uns leitet und in seine Hut nimmt... Er wartet ja schon längst auf uns, schon längst... Nein, ich will jetzt doch nicht mehr befangen sein und das noch einmal ganz klar aussprechen: Es ist doch wunderbar - wie wir - in den mittleren Jahren zu sein: So gut und ruhig, so froh und im Wohlstand leben zu dürfen wie wir! Und eben noch nicht am Ende, sondern am Anfang einer lebendigen Beziehung zu unserem himmlischen Vater - wenn wir nur wollen! Ist das nicht Grund zur Freude? Die Predigt wurde gehalten von Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35325 Mücke/Groß-Eichen