Predigt zur Kirchweihe - 16.6.1998 Wir wollen uns einstimmen lassen auf diese Predigt durch den Tagesspruch zur Kirchweihe: Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt. Ps 26,8 Liebe Gemeinde! Unsere Kirche hat Geburtstag. - Wie ist das, wenn wir selbst Geburtstag haben? Da kommen uns immer bestimmte Gedanken in den Sinn, wir können uns kaum dagegen wehren. Helle, freundliche Gedanken und auch dunkle. Vielleicht denken wir: Wieder ein Jahr herum. Unaufhaltsam geht es dem Ende zu. Wieviel Zeit habe ich noch? Oder: War es ein gutes Lebensjahr, hat es gebracht, was ich mir vorher erhofft habe? Was wird im jetzt begonnenen Jahr kommen? Vielleicht denken wir auch an einzelne Tage, herrliche Wochen oder schwere Stunden der letzten 12 Monate: Unser Fest neulich, es war so gelungen und alle hatten so viel Freude. Der Urlaub im März...so erholsam und schon so gutes Wetter. Der Abschied von einem Angehörigen...die Trauer, die Tränen, der Schmerz...vielleicht aber auch tröstliche Worte aus der Heilige Schrift oder aus dem Mund eines liebe Menschen... Genau so ist das beim Geburtstag unserer Kirche: Mir kommen da immer wieder die Bilder und Geschehnisse vor Augen und vor die Seele, die ich im vergangenen Jahr gesehen und erlebt habe. Und das sind auch gute und schlechte Bilder und Ereignisse. Ich will einmal ein wenig davon reden, was ich an so einem Tag immer denken und ja auch irgendwie verarbeiten muß. Ich fange mit den schweren, nicht so schönen Dingen an. Das steht mir heute vor Augen und liegt mir auf dem Herzen: Einige - mehr als sonst - sind in den letzten 12 Monaten wegen der Kirchensteuer aus unserer Gemeinde ausgetreten. Was wird aus ihnen werden, wenn sich ihr Schicksal erst zum Bösen wendet. Wenn sie erfahren müssen, daß Geld und Güter, Erfolg und äußerliches Glück nicht alles ist? Was wird aus ihnen, wenn sie spüren müssen, daß alles Geld der Welt ihnen die Gesundheit, die Jugend und die leichte Lebensfreude nicht erhalten kann. Wie sollen sie einmal zurückfinden, wenn ihnen eigene Scham und sicher auch die abweisenden Blicke der Mitmenschen den Weg zurück in die Gemeinde und Gemeinschaft der Christen hier im Ort versperren oder doch zumindest erschweren? Kann ein Mensch überhaupt nach Jahren oder Jahrzehnten wieder anknüpfen an den Glauben seiner Kindheit, seiner Jugend, den er doch so lange nicht geübt hat? Und ich denke an die jungen Leute unserer Gemeinde. Die Kinder, die nicht mehr zum Kindergottesdienst geschickt werden, weil „das Kind keine Lust dazu hat”, was das Kind selbst ja gar nicht wissen kann, denn es hat noch nie Kontakt mit unserem „Gottesdienst der jungen Gemeinde” oder den Mitarbeiterinnen, die ihn halten, gehabt. Und auch jene, die eigentlich dazu gehören, kommen so unregelmäßig...mal sind es vier, mal 16...je nachdem, was geboten wird... Und die Konfirmanden: Immer weniger können wir echtes Interesse an der Sache spüren, immer weniger werden sie von ihren Eltern auch einmal in den Gottesdienst begleitet, immer mehr haben wir Leute von der Kirchengemeinde den Eindruck, wir redeten im Gottesdienst und im Unterricht von Dingen aus einer anderen Welt, einer fremden Welt, die nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun hat, was in den Familien zu Hause eine Rolle spielt. Und ich denke an andere Menschen unserer Gemeinde, die im vergangenen Jahr, vielleicht schon in den Jahren davor, so ganz sang- und klanglos, aus unseren Kreisen, Gruppen oder unserem Gottesdienst verschwunden sind oder sich doch sehr rar gemacht haben. Da waren regelmäßige Bibelkreisbesucher dabei, langjährige MitfahrerInnen unserer Familienfreizeiten. Da gab es gute Kirchgänger darunter, denen der Gottesdienst scheinbar immer viel Freude bereitet hat. Sogar gewesene KirchenvorsteherInnen oder solche, die für den Kirchenvorstand kandidiert hatten, sind einfach untergetaucht, um nie, allenfalls an Heiligabend einmal wieder aufzutauchen. Und das schlimmste daran ist vielleicht dies: Keiner weiß, warum sie sich abgewandt haben. Wir Menschen von der Gemeinde zerbrechen uns den Kopf hin und her und wir kommen doch nicht darauf: Wie kam das? Wie kann das geschehen, daß einer oder eine sich so von seiner/ihrer Gemeinde abwendet? Wir müssen es stehenlassen. Wir können nichts daran ändern. Wir müssen hinnehmen, was wir nicht begreifen. Wir fühlen daran, wie klein wir doch sind, wie schwach, wie angewiesen darauf, daß Gott die Herzen der Menschen bewegt - gegen die eigenen Wünsche, gegen Strömungen der Zeit, gegen so viel, was der Gemeinde und Kirche und ihrer Arbeit in unserer Zeit die Herzen und Seelen abspenstig macht. Wir müssen aber auch die andere Seite sehen. Die gibt es ja - Gott sei Dank! - auch. Und jetzt kommen die guten Gedanken am Geburtstag unserer Kirche: Wir hatten wirklich im vergangenen Jahr eine Steigerung des Kirchenbesuchs um über 20%! Ich glaube, da müssen wir lange suchen, bis wir so etwas in unserer Landeskirche noch einmal finden! Und hinter dieser statistischen Zahl stehen ja wirkliche Menschen: Da sind einige Frauen und Männer regelmäßige Gottesdienstbesucher geworden, die es davor nicht waren! Vielleicht war das nach einem Trauerfall, daß sich Menschen aus unserem Dorf gesagt haben: Hier in der Kirche hört man gute, tröstliche Worte. Hier wird verkündigt, was mir hilft. Oder es kam durch die Konfirmandenzeit des Enkels oder des Kindes: Eltern, Großeltern haben sich bemüht, ihr Kind in dieser Zeit zu begleiten, und sie haben dabei erfahren: Das schenkt ja Freude, hier in der Kirche zu singen, zu beten, der Predigt zu folgen... Das hat ja mit dem Leben in dieser Welt und dieser Zeit zu tun! Vielleicht hat der eine oder die andere auch einfach gedacht: Ich will doch einmal sehen, was dran ist, wenn andere immer sagen, daß ihnen diese Stunde am Sonntag so viel bedeutet. So haben sie’s probiert und haben gesehen: Eine Stunde Gottesdienst bringt wirklich mehr als das Ausschlafen oder was sonst sie früher in dieser Zeit gemacht haben. Ein anderer guter Gedanke ist der an unseren Frauenabend: Wir waren vor Jahren schon einmal so weit, daß wir darüber nachgedacht haben, ob wir nicht irgendwann diesen Kreis werden einstellen müssen. Einfach mangels Teilnehmerinnen. Und in vielen Gemeinden unseres Dekanats ist das in den letzten Jahren so gekommen. Was war bei uns im letzten Winter? Viele neue Gesichter im Frauenkreis! Und nicht nur für ein- oder zweimal. Sie sind alle geblieben, und sie wollen im nächsten Winter wiederkommen! Und ich denke an unseren Kirchenvorstand: Als wir im vergangenen Sommer gewählt haben, war es wider Erwarten und gegen die Erfahrung der meisten Kollegen bei uns gar nicht schwer, KandidatInnen zu finden. Und was für ein rühriges Gremium ist doch aus der Wahl hervorgegangen: Frauen und Männer, die ihr Amt wirklich ernst- und wahrnehmen. Schon bei unserem Kirchenfest im letzten Herbst haben alle so eifrig mitgeholfen! Wir müssen, weiß Gott, keine Dienstliste aufstellen, wie das in Nachbargemeinden nötig ist, damit auch wirklich gewährleistet ist, daß jemand da ist, die Kollekte zu zählen. Und noch einiges fällt mir ein, das gibt mir gute, helle Gedanken und Zuversicht für die Zukunft unserer Gemeinde: Die vielen Mitarbeiterinnen im Kindergottesdienst und den Jungscharen...gerade konnten wir wieder drei neue hinzugewinnen! Die Familienfreizeiten, die Kinderfreizeiten jedes Jahr, es ist nie schwierig, ihre jeweils 50 Plätze zu besetzen! Und nicht vergessen will ich auch die persönliche Freundschaft und das Wohlwollen, das ich in der Gemeinde von vielen Menschen erfahre. Eines aber habe ich mir bis zuletzt aufgehoben. Ein Erlebnis aus den letzten Tagen. Es faßt wunderbar zusammen, was ich heute denke und empfinde am Geburtstag unserer Kirche. Und es drückt sehr schön aus, was unterm Strich bei diesen Gedanken zum Geburtstag herauskommt. Schließlich ist es auch der rechte Schluß für diese Predigt zur Kirchweih: Gerade am Sonntag waren drei Gäste von recht weit in unserem Gottesdienst zu Gast. Am Ende haben sie zu unserem Kirchendiener und zu mir gesagt: „Was ist das so schön bei euch, in eurer Kirche, in eurem Gottesdienst!” Muß ich sagen, wie sehr uns das gefreut hat? Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt. Daß einer dazu gelangt, können nicht wir Menschen machen. Das muß Gott selber tun! Aber er tut es auch! Vielleicht (noch) nicht in dem Maß, wie wir uns das wünschen, aber er tut es! Auf seine Weise. Wir wollen die dunklen Gedanken an diesem Tag nicht vergessen oder verdrängen, wir wollen daran arbeiten, daß Gottes Sache vorankommt, aber wir wollen auch sehen und staunen, wie viele schöne, verheißungsvolle Dinge von Gott her geschehen! Die Predigt wurde gehalten von Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35325 Mücke/Groß-Eichen