Predigt am Sonntag "Rogate" - 12.5.1996 Liebe Gemeinde! Heute hat wirklich einiges dafür gesprochen, daß wir auch jetzt - in der Predigt - einmal etwas über die Taufe hören: So viele Gelegenheiten über die Taufe nachzudenken hatten wir in den letzten Jahren ja nicht! Es gibt ja bei uns kaum noch kleine Kinder! Dann soll - laut Kirchenordnung - mindestens einmal im Jahr ein Gottesdienst sein, in dem ausdrücklich "die Taufe" im Mittelpunkt steht. Und schließlich hatten wir, die Eltern und Paten, des Kindes, das wir heute getauft haben, vor 14 Tagen ein gutes Gespräch über einige Fragen der Taufe - dazu möchte ich schon gern auch noch ein paar Worte von der Kanzel aus sagen. Die Kinder unter uns müssen sich übrigens jetzt nicht auf ein paar langweilige Minuten einstellen. Nein! Ich möchte über die Taufe so reden, daß Ihr es auch versteht. Ich fange also jetzt noch mal an: Liebe Gemeinde! Liebe Kinder! Ihr kennt alle das Märchen von "Dornröschen"!? Ich denke jetzt besonders an den Anfang der Geschichte: Als Dornröschen geboren worden ist, kommen verschiedene Feen zu ihr, um ihr die besten Wünsche fürs Leben mitzugeben. Eine Fee ist böse. Sie ist nicht eingeladen worden, darum wünscht sie dem Kind den Tod: "Wenn du dich an einer Spindel stichst, sollst du sterben!" Eine letzte - gute - Fee kann den bösen Wunsch nur noch abmildern: "Du sollst - wenn du dich an einer Spindel stichst - nicht sterben, sondern nur in einen tiefen Schlaf fallen - bis dich die Liebe eines Menschen erlöst." Der Vater des Kindes läßt alle Spinnräder und Spindeln in seinem Land verbrennen. Er möchte so sein Kind davor bewahren, daß sich der schlimme Fluch der bösen Fee erfüllt. Aber die mißgünstige Frau kommt doch zum Ziel: Sie selbst sitzt eines Tages mit ihrem Spinnrad im Turm des Schlosses, in dem Dornröschen zum jungen Mädchen herangewachsen ist. Da Dornröschen noch nie gesehen hat, wie man mit einem Spinnrad umgeht, ist sie neugierig. Die böse Fee hat leichtes Spiel, denn das Mädchen ahnt nichts von der Gefahr. Die Spindel sticht, das Blut des Fingers fließt, Dornröschen fällt in Schlaf... Erst hundert Jahre später naht die Rettung: Ein Prinz bahnt sich seinen Weg durch die Dornenhecke, die inzwischen um Dornröschens Schloß gewachsen ist. Der Prinz gewinnt das schlafende Mädchen lieb. Er küßt es - und erlöst es. Was hat dieses Märchen mit der Taufe zu tun? Wir hören ja nicht gern davon. Mir macht das jetzt auch keine Freude, darüber zu reden - aber jeder Mensch muß ja sterben! Von der Geburt geht sein Weg unaufhaltsam auf den Tod zu. Das ist - sozusagen - wie ein Fluch, der über jedem Menschen liegt: "Einmal mußt du sterben!" Das war ja gar nicht nur das Geschick von Dornröschen! Jedes Lebewesen muß dieses Schicksal erleiden! Die Tiere allerdings wissen nichts davon, was auf sie wartet. Das ist bei uns Menschen anders. Das kann das Leben sehr schwer machen und große Angst über uns bringen, daß wir immer vor Augen haben müssen: Einmal ist alles Schöne vorbei, einmal wird es dunkel für mich. Wirklich: Wie ein Fluch ist das! - Und genau dafür ist uns die Taufe geschenkt! Sie hat nämlich mit unserer Angst vor dem Sterben zu tun! Sie ist wie der Spruch der guten Fee im Märchen: "Du sollst nicht sterben, nur schlafen!" Aber in der Taufe spricht Gott mit uns! Seinem Wort können wir noch viel mehr vertrauen! Er sagt zu uns allen: "Dein Leben ist bei mir bewahrt! Du mußt zwar auch einmal sterben, dann aber fällt nur ein Schlaf über dich! Eines Tages werde ich dich aufwecken. Dann wirst du nur die Augen reiben und frisch und fröhlich in meiner neuen Welt ewig leben!" Und genau so hat Gott heute auch zu unserem kleinen Täufling gesprochen, auch wenn wir es nicht gehört haben. So spricht Gott nämlich immer, wenn wir unsere Kinder zur Taufe bringen. Seitdem gilt jedem von uns diese gute Verheißung: "Du sollst leben, auch wenn du sterben mußt! Dein Tod ist nur ein Schlaf!" Warum will Gott uns aus dem Tod auferwecken? Er hat es wohl gern mit uns Menschen zu tun?! Das erstaunliche ist, er hat uns lieb, selbst wenn wir nicht so sind, wie er uns haben möchte! Dornröschen war sicher auch nicht immer gut und folgsam! Denken wir nur: Ihre Neugier war es ja, die sie in Lebensgefahr gebracht hat. Sie wußte es doch, daß sie sich vor Spindeln in acht nehmen mußte! So war sie selbst mit schuld daran, daß sich der böse Fluch erfüllt! Das ist wirklich genau wie bei uns: Wir sind auch ganz und gar nicht so, wie Gott uns gedacht hat! Wie oft vergessen wir ihn! Wie oft denken wir nicht an unsere Mitmenschen, die Gott uns zu Geschwistern gemacht hat! Wie oft wollen wir alles nur für uns haben und gönnen den anderen nichts! - Eigentlich haben wir den Tod verdient! Sicher hat Gott an uns weniger Freude als Kummer! Wir müßten es verstehen, wenn er sagte: "70 oder 80 Jahre will ich euch geben - mehr aber nicht!" In der Taufe sagt er nun aber nein zum Tod, den wir eigentlich verdient hätten: "Nein, ihr sollt nicht sterben, ihr sollt leben!" - Wie werden wir also vom Fluch des Todes erlöst? Das ist auch ein wenig wie im "Dornröschen": Da dringt ein Prinz durch die gewaltige Dornenhecke, die hundert Jahre gewachsen ist... Seine Liebe gibt dem schlafenden Mädchen das Leben. Ein Kuß erlöst es. - Ich denke mir, das war gar nicht leicht, durch die Hecke zu kommen! Es heißt ja auch in der Geschichte: Keiner hätte es je zuvor geschafft, die Dornen zu überwinden! Der Prinz hat sicher auch so manche Wunde davongetragen! Die Dornen werden ihm Hände und Gesicht zerschunden haben... Aber ganz ähnlich erlöst uns Gott auch vom Fluch des Todes: Er hat uns Jesus gesandt, daß er die Dornenhecke überwindet... Er hat ihn mit Dornen krönen lassen und am Kreuz bluten lassen, damit wir daran begreifen, wie sehr er uns lieb hat! Denn dieser Jesus ist ja Gottes Sohn gewesen! Gott hat also sein eigenes Kind nicht vor Leid und Tod bewahrt - nur daß wir vom Tod erlöst werden. Ist das nicht wunderbar? Wirklich: wie im Märchen! Und wie schön, daß der Prinz nicht vor den Spitzen der Dornen zurückweicht! Daß er sich nicht scheut, sich Striemen und Kratzer zu holen! Und wie gut, daß Jesus das auf sich genommen hat: für uns zu leiden und zu sterben! Wie gut, daß er die Peitsche, die Dornenkrone, den Spott und Hohn der Männer, die ihn ans Kreuz nageln, ertragen hat! So hat er uns das Leben verdient! Seine Liebe hat uns erlöst! Liebe Gemeinde, liebe Kinder! Das hat dieses Märchen vom "Dornröschen" mit der Taufe zu tun: Dornröschen sollte sterben. So war es der Fluch der bösen Fee. Auch wir müßten sterben. Auch über uns liegt der Fluch des Todes. Die Taufe aber ist Gottes Versprechen, daß der Tod nur ein Schlaf sein soll! Danach weckt Gott uns auf zum ewigen Leben - durch die Liebe Jesu Christi! Die Predigt wurde gehalten von Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35325 Mücke/Groß-Eichen