Predigt am 11.6.1995 - Silberne Konfirmation Liebe Silberne Konfirmanden, liebe Gemeinde! Natürlich möchte ich heute einmal die Jubilare dieses Tages ganz besonders ansprechen, die Frauen und Männer, die hier - vor diesem Altar - vor 25 Jahren konfirmiert wurden. Mag sein, daß dabei auch der eine oder andere Gedanke für Menschen abfällt, die kürzer oder länger auf ihre Einsegnung zurückblicken. Ich möchte heute jedenfalls einmal besonders für Menschen in der Mitte des Lebens sprechen. Und vielleicht war das ja jetzt schon der erste Schock für Sie, liebe Silberne Konfirmanden: "Mitte des Lebens" Vor ein paar Jahren jedenfalls hat das bei einem solchen Jubiläum geradezu ein Raunen unter den Silbernen Konfirmanden ausgelöst! Während der Predigt auch noch! Aber so ein Jubiläum macht es einem ja deutlich und vielleicht schmerzlich bewußt, wie rasch die Zeit vergeht: 25 Jahre ist das her, seitdem sie als ganz junge Leute hier den Segen für ein Leben als Christ empfangen haben. Die Jugendzeit neigt sich - unwiderruflich - ihrem Ende zu. Sie sind jetzt um die 40; das sind die "mittleren Jahre", das ist die "Lebensmitte", auch wenn wir uns schwer an den Gedanken gewöhnen. Aber wer wird denn - bei allem medizinischen Fortschritt - 80 Jahre alt? Nicht so viele. Überhaupt sind ja solche Jubiläen, wie sie es heute feiern, gute Gelegenheiten zur Besinnung. Ja, wie von selbst kommen wir ins Nachdenken, auch wenn wir es vielleicht gar nicht wollen: 25 Jahre sind vergangen, seit sie an diesem Altar niedergekniet sind, um die Hände aufgelegt zu bekommen. Ein Leben mit Gott sollte es werden. Seine Führung, sein Geleit, sein Segen wurde Ihnen damals ver- sprochen. Und auch sie haben ein Versprechen abgelegt: "Ja, ich will zu Gottes Gemeinde gehören, die aus Wort und Sakrament lebt!" Man war noch sehr jung damals. Wer hat das ganz begriffen, was er da sagte? Dann kamen die Jahre der Lehre und Ausbildung. Wir waren sehr mit uns selbst beschäftigt. Wir ha- ben uns etwas aufgebaut, eine Existenz gegründet, eine Familie. Gott und seine Sache geriet ein we- nig in Vergessenheit. Von Zeit zu Zeit hat er sich bei uns wieder ins Gedächtnis gerufen: bei einer Taufe vielleicht, bei einem Gottesdienstbesuch, bei einem Todesfall. Für die meisten aber waren es Jahre, in denen das Verhältnis zu Gott und seiner Gemeinde nicht so eng, nicht so tief gewesen ist. Warum wollen wir es leugnen? Irgendwie fühlt man sich in jüngeren Jahren immer selbst so stark. Man meint, es allein machen zu können. Die Kräfte sind noch so groß! Man erkennt noch nicht so deutlich, wo die Grenzen sind. Und man sieht noch nicht, daß alle Kräfte, alle Gaben, letztlich Ge- schenke Gottes sind. Aber wir hatten auch unsere bösen Stunden! Es ging nicht immer alles glatt. Sehr deutlich wurde uns gezeigt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Und vielleicht war es ja gut so. Vielleicht werden wir ja übermütig, wenn uns immer alles gelingt. Leicht wird man dann auch undankbar und verliert die Wirklichkeit - und die Mitmenschen! - aus den Augen. Über alledem sind nun 25 Jahre verstrichen. Kaum können wir's glauben. Es ist, als sei es erst ge- stern gewesen... Ein wenig Wehmut beschleicht uns: Wir sind in den "mittleren" Jahren, tatsächlich. 25 Jahre konfirmiert. Vieles erreicht und geschafft, aber auch manche verpaßte Chance, vertane Möglichkeiten... Wir sind in der "Mitte des Lebens". Die Hälfte ist unwiderruflich vorbei... Aber das ist nur die eine Seite! Gott sei Dank, hat man in der "Mitte" ja auch noch die zweite Hälfte vor sich! Und - auch Gott sei Dank! - ist für diese Zukunft noch alles offen! Gewiß, die Vergangen- heit hat uns geprägt; wir haben unsere unverwechselbaren Eigenschaften. Die Zeit hat uns geformt. Das Schicksal hat uns Wunden geschlagen. Und trotzdem: Niemand, kein Mensch darf uns festlegen auf das, was wir jetzt sind! Das ist die wunderbare, unerhörte Chance, die Gott uns heute - ja, immer wieder - gibt: Wir sind frei, uns zu entwickeln, so zu werden, wie er uns gemeint hat. Auch in der "Mitte" können wir noch den Anfang setzen. Es ist für uns "noch alles drin"! - Was ist "drin"? Wo und wie könnte sich etwas ändern bei uns? Wir können beginnen wesentlicher zu leben. Vielleicht mehr an andere denken, nachdem das eigene Haus bestellt ist. Wir können an uns arbeiten, die eine oder andere Fähigkeit ausbilden, jetzt, wo die Jagd nach der Position in Beruf und Gesellschaft uns nicht mehr so in Atem hält. Wir können auch Gott für uns neu entdecken, seine Hand in unserem bisherigen Leben wahrnehmen und die Da antwortete ihm Simon Petrus: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und er- kannt: Du bist der Heilige Gottes. Joh. 6, 68,f Beziehung zu ihm vertiefen. Wir kön- nen...noch so viel! Wir haben noch Zeit, Gott sei Dank! Aber wir sollten sie auch nutzen! Wir sehen ja - und empfinden es gerade heute so deut- lich! - wie rasch die Jahre verfliegen. Gerade noch konfirmiert...hier vor dem Altar...und jetzt: Jubiläum, Sil- berne Konfirmation, "Lebensmitte"... Ich habe mir lange überlegt, was für ein Schriftwort ich uns von diesem Tag mitgeben möchte. Ich habe mich dann für den Bibeltext entschieden, der Grundlage der Ansprache war, die sie, die an Pfingsten vor 25 Jahren konfirmiert wurden, hier gehört haben: (Text) Ob sich noch einer von ihnen erinnert...an die Worte Ihres Pfarrers, Herrn Paetow, vor 25 Jahren? Was kann ein 14jähriger damit anfangen: "Du hast Worte des ewigen Lebens..." Wollten Sie nicht viel eher dieses Leben hier kennen lernen, damals? Das schöne, bunte Leben in dieser Welt, das ja nach der Konfirmation auch damals schon ein wenig freier wurde. Und dann das: "Wohin sollen wir gehen?" Wußten sie das nicht? Wollten sie nicht endlich ein wenig unabhängiger und selbständiger sein; wer hatte denn noch einen nötig, an dessen Hand er hätte gehen müssen oder wollen, damals? Ich weiß ja nun auch nicht, was Pfr. Paetow dazu gesagt hat, aber ich denke, für uns heute paßt dieses Wort fast besser! Nachdem wir jetzt so viele Jahre unsere Stärke erprobt und unsere Kräfte mit dieser Welt gemessen haben - tut es da nicht vielleicht gut, wieder einmal nach der Hand eines Größeren zu greifen, und auf das zu hören, was er uns sagt und dorthin zu gehen, wohin er uns führen will? Und einen "Herrn" zu haben, einen Stärkeren über uns zu dulden, wird uns heute auch nicht mehr so schwer fallen. Wem ist das denn noch nie zu viel geworden in den vergangenen 25 Jahren: Immer den Überlegenen spielen, immer am Ball bleiben, sich keine Schwäche erlauben können, jede Chance nutzen müssen... Wie befreiend dagegen das: einmal wieder folgen dürfen, wohin ein anderer mich führt, wissen dürfen, für mich ist gesorgt, einer weiß den Weg für mich, einer kennt mich, wie ich wirklich bin...und er hat mich doch lieb, er will mich in seiner Nähe, ich fehle ihm, wenn ich das Eigene treibe...er wartet - vielleicht schon lange - der "Herr, der Heilige Gottes". Doch, das ist schon ein gutes Wort für uns - in der Mitte des Lebens! Was mir noch so gefällt: Hier wird gar nicht viel verlangt. Es wird uns vielmehr sehr viel zugesagt: Jesus Christus, der Heilige Gottes, der von Gott gesandte Mensch steht auch im Hinergrund meines Lebens. Er weiß, wohin ich gehen soll und kann. Er ist bei mir. Wir dürfen ihm glauben, ihm vertrauen. Es bedarf keiner Verrenkungen und Anstrengungen. Es braucht kein religiöses Wissen...wer hat denn auch noch alles parat, was er in der Konfirmandenzeit gelernt hat? Wir dürfen kommen, wie wir sind, ja, noch deutlicher: Wie wir jetzt hier sitzen, sagt uns Gott: Du, du und du, ihr dürft heute neu mit mir und meiner Sache anfangen, wenn ihr auch lange Zeit wenig nach mir gefragt habt, wenn ihr auch meine Hand selten erkannt habt all die Jahre, wenn ihr auch meintet, das eigene Können sei groß genug... ihr seid meine Kinder, mir liegt an euch - für immer... hier, meine Hand! Greift zu! Wie das geht, dieses Zugreifen? Wie wir in dieses Verhältnis zu diesem Gott kommen, den wir "Vater" nennen? - Längst sind die meisten von uns selbst "Mütter" und "Väter". Wir haben erfahren, wie das ist, Kinder zu haben. Wir haben die Freude erlebt, wenn die Kleinen "Mama" und Papa" zu uns sagen. Wir durften das Glück kennenlernen, das es bedeutet, wenn die Kinder Vertrauen und Liebe zu uns empfinden. Aber auch den Schmerz mußten wir erfahren: wenn die Söhne und Töchter nicht auf uns hören, wenn sie Mahnungen in den Wind schlagen, wenn sie eigene Wege gehen. Soll- ten wir diese Erfahrungen also nicht auf unsere Beziehung zum "Vater im Himmel" übertragen kön- nen? Genauso fühlt Gott uns gegenüber! Wie groß die Freude, wenn wir unsere Hand nach ihm ausstrek- ken. Wie tief der Schmerz, wenn wir uns abwenden, fortgehen von ihm. Welcher Glanz liegt auf sei- nen Zügen, wenn wir zurückkehren! Wie kommen wir in das Verhältnis zum Vater? Wie ist das bei uns Eltern und Kindern in dieser Welt?: Vertrauen dürfen wir haben! Ehren sollen wir einander. Mit- einander sprechen können und sollen wir. Den Willen des anderen achten, die Grenzen, die uns ge- setzt sind, respektieren, auch einmal Danke sagen! - Es ist alles ganz ähnlich bei unserem himmli- schen Vater, wie wir's selbst als Väter und Mütter erlebt haben und erleben. - So - in Glauben, Ver- trauen, Ehrerbietung und Dankbarkeit - wird heute dieses Wort wahr bei und für uns: Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und er- kannt: Du bist der Heilige Gottes. Auch in der Mitte kann es einen neuen Anfang geben, liebe Sil- berne Konfirmanden! Ich wünsche das Ihnen und uns allen von Herzen! 103,1-3; 102,1-4; 108,1-4; 442,1; 105,1- ; 108,7 Die Predigt wurde gehalten von Pfr. Manfred Günther, Lohgasse 11, 35325 Mücke/Groß-Eichen