Predigt zum 250. Kirchenjubiläum - 7.09.1997 Liebe Kinder, liebe Erwachsene, liebe Gemeinde! Ich habe lange nach einer schönen Geschichte für heute gesucht. Sie sollte für Große sein und für Kleine. Sie sollte mit unserem Kirchenfest heute nachmittag zu tun haben und mit der Einführung unserer neuen KirchenvorsteherInnen. Und dann natürlich mit dem Sommer, der langsam in den Herbst übergeht und mit der Schule, die morgen wieder beginnt und auch mit Gott und dem Glauben an ihn...und fröhlich sollte sie auch sein... Das ist ganz schön viel, nicht wahr!? So eine Geschichte gibt’s doch gar nicht, meint ihr. Ich habe aber doch eine gefunden! Sie paßt wenigstens für die meisten Dinge, die ich eben genannt habe. Und wo sie nicht paßt, da habe ich sie ein bißchen verändert. Auch die Namen und den Ort habe ich hier zu uns in den Vogelsberg verlegt. Das spricht uns doch mehr an. Ich finde die Geschichte wunderschön. Paßt mal auf, ob ihr das nicht auch findet! Die Sommerferien waren gerade zu Ende. Alle Kinder waren wieder in der Schule. Nur Benni, acht Jahre alt, stand mutterseelenallein auf einem Hügel, dem "Hebig", nahe bei seinem Dorf, Groß- Eichen, und starrte angestrengt zum Himmel hinauf. Dort oben war ein winziger, roter Punkt. Seinetwegen hatte Benni die Schule geschwänzt. Es war ein roter Luftballon. Benni hatte 2 Mark geopfert, um ihn kaufen zu können. Das war eine Menge Geld für Benni! Trotzdem hatte er den Luftballon gekauft - nur so - zum Davonfliegen? Benni hatte niemandem erzählt, was er damit anfangen wollte. Heimlich hatte er einen Brief geschrieben und ihn an die Schnur des Luftballons angebunden. Und als alle Kinder in der Schule waren, hatte er sich fortgeschlichen, um auf dem Hügel seinen Luftballon steigen zu lassen. Hoffentlich würde der Wind die Botschaft nicht abreißen! "Lieber Gott", stand mit großen Buchstaben auf dem Zettel geschrieben, "in ein paar Wochen bekomme ich einen kleinen Bruder. Wir sind sechs Kinder, und meine Eltern haben wenig Geld. Der Kleine muß mit Marco und mir zusammen schlafen, weil wir nicht genug Bettzeug haben. Bitte, lieber Gott, mach doch, daß ich dem kleinen Bruder ein eigenes Bettchen mit Bettzeug zurechtmachen kann! Es darf ruhig etwas Gebrauchtes sein! Ich wohne in Groß-Eichen im Vogelsberg. Dein Benni Maier." So hatte Benni geschrieben, und er hoffte, daß der, für den der Zettel bestimmt war, ihn würde lesen können. Und als der Ballon als kleiner roter Punkt in der Höhe verschwunden war, trottete Benni voll Zuversicht nach Hause: Gott wird helfen! Die nächsten Tage waren für Benni nicht leicht zu ertragen. Er wartete voll Spannung. Aber nicht das geringste geschah. Es war, als ob es seinen roten Luftballon niemals gegeben hätte. Das einzige, was sich ereignete, war, daß er nachsitzen mußte, weil er die Schule geschwänzt hatte. Aber dann geschah doch etwas. Es war am vierten Tag, nachdem er den Luftballon losgelassen hatte. Schon von weitem erkannte Benni den Paketkarren des Postboten vor seinem Elternhaus. Aufgeregt stürmte er ins Haus. Drinnen fand er die ganze Familie in der Küche versammelt. Mitten auf dem Tisch lag ein Paket. Vater Maier zankte sich mit dem Postboten. Aus dem Stimmengewirr hörte Benni den Baß seines Vaters heraus. "Du willst Postbote sein, Karl, und begreifst nicht einmal, daß dieses Paket unmöglich für uns sein kann?" Der Briefträger rollte die Augen. "Du Dummkopf!" schrie er. "Kannst du nicht lesen? Maier, Familie Maier, mit a-i! Da steht es!" "Jawohl, so heißen wir. Aber wir kennen niemand in Schlitz. Und geschenkt nehme ich nichts, das weißt du! Nimm das Paket wieder mit!" Und damit versetzte der Vater dem Paket einen Hieb, daß die zwei kleinen Maierkinder, die munter auf dem Fußboden herumkrochen, erschreckt unter den Tisch flüchteten. Benni hielt es nicht länger aus. "So macht das Paket doch auf!" schrie er, außer sich vor Erregung, "dann werden wir sehen, ob es für uns ist oder nicht!" Der Lärm verstummte. Unter den buschigen Brauen hervor warf der Vater einen finsteren Blick auf den vorlauten Sohn und überlegte. "Also los!" fuhr er den Postboten an. "Du hörst es doch, öffne!" Hastig riß der Mann die Schnüre auf. Als er den Deckel zurückschlug, wurde es ganz still in der Küche. Und alle sahen, wie es weiß aus dem Karton herausleuchtete: Windeln; Bettzeug und winzige Kinderwäsche! Nicht gerade nagelneu, aber heil und sauber. Ein Schatz für die Familie Maier! Die Augen der Mutter leuchteten. War es nicht wie ein Wunder, daß Gott ausgerechnet in Schlitz, fast fünfzig Kilometer von Groß- Eichen entfernt, ein Paket für die Familie Maier zur Post gab? Ein Glück, daß wenigstens kein Absender angegeben war, dachte Benni. Nun konnte der Vater das Paket nicht zurückschicken! Und während der Inhalt des Paketes von Hand zu Hand ging, schlich Benni sich leise hinaus. Sein Herz war übervoll. Rasch, rasch eilte er zu dem Hügel, wo er vor vier Tagen den roten Luftballon zum Himmel geschickt hatte, und dankte dem gütigen Geber. Das war unsere Geschichte. Wie das zu unserem Kirchenfest heute paßt, habt ihr sicher gemerkt: Nachher könnt Ihr auch einen Ballon fliegen lassen und auch etwas gewinnen. Allerdings keine Babywäsche! Und mit dem Sommer und der Schule hatte es zu tun - die Geschichte spielt ja in den Tagen nach den großen Ferien...ihr schwänzt morgen hoffentlich nicht! Und mit Gott hatte es zu tun, das wußte der kleine Benni ja ganz genau, daß Gott selbst ihm den sehnlichen Wunsch erfüllt und die schönen Sachen eingepackt und geschickt hat. Die Großen unter uns hier haben jetzt sicher gedacht: Wir wollen dem kleinen Benni ja seinen Kinderglauben lassen. Aber eigentlich war das sicher einer, der den Ballon in Schlitz gefunden hat, der hat das schöne Paket für die Familie Maier gepackt. Deswegen bleibe ich aber trotzdem dabei: Gott hat das Paket auf den Weg zu den Maiers gebracht! Und wenn ein Mensch in Schlitz wirklich dieses Paket zusammengestellt und auf die Post gegeben hat, dann war es einer, der von Gott selbst bewegt war, das zu tun. Denn nur so, ganz von allein tut das keiner. Was kümmert denn einen Menschen in Schlitz der kleine Benni Maier in Groß-Eichen? Und da, an dieser Stelle, bekommt die Geschichte auch etwas mit der Kirchengemeinde, mit uns Christen und unseren Kirchenvorstehern, die wir heute ins Amt einführen, zu tun. Aber weil ich ja auch Kirchenvorsteher bin, muß das jetzt auch mir jemand anderes sagen! Ja, liebe Christen von Groß-Eichen, liebe Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher! Ohne uns, ohne Leute wie uns, hätte der kleine Benni kein Paket bekommen! Wer macht denn so etwas? Daß er in der Familie, vielleicht in der Verwandtschaft herumfragt, wer gut gebrauchte Babysachen hat? Wer macht sich die Mühe, die Windeln und Hemdchen dann einzupacken für jemand, den er doch gar nicht kennt? Und dann bezahlt er auch noch das teure Porto! Und er schreibt nicht einmal den Namen drauf, daß man ihm danken könnte! Ja, wir glauben, das ist und bleibt das besondere an uns Christen: Daß wir das können: Selbstlos etwas für andere tun, Menschen Freude schenken, ohne auf Dank aus zu sein, helfen, ohne zu fragen, ob auch etwas zurückkommt... So sollen und können wir alle sein, wir Christen. Aber die Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen, die heute ihr Amt antreten, die zeigen es besonders, daß es so sein muß und sie spüren es auch immer wieder, daß man es von ihnen erwartet! Man kann fragen, ob das gut und richtig so ist, von denen in einem Kirchenamt besonderes zu erwarten, deswegen bleibt es aber trotzdem so: Eine Kirchenvorsteherin, ein Kirchenvorsteher, und natürlich der Pfarrer sollen selbstlos sein, den anderen Freude machen, helfen... Dafür hat die Gemeinde euch das Vertrauen ausgesprochen. Aber daß es ja auch uns selbst große Freude macht, anderen Freude und Hilfe zu geben, das wird an der Geschichte auch deutlich, obwohl sie kein Wort davon erzählt! Aber der liebe Mensch, der in Schlitz das Paket aufgegeben hat, ist sicher auch fröhlich und beglückt nach Hause gegangen! Von der schönsten und wichtigsten Aufgabe von uns allen, Kirchenvorstehern, Pfarrern und allen anderen Christen ist in der kleinen Geschichte ganz am Ende zu hören: "Bennis Herz war übervoll. Rasch, rasch eilte er zu dem Hügel, wo er vor vier Tagen den roten Luftballon zum Himmel geschickt hatte, und dankte dem gütigen Geber." Hier hat ein Junge durch die Hilfe und Freundlichkeit eines Mitmenschen zum Glauben, zum Vertrauen in Gott gefunden. Kann es etwas schöneres geben als das? Die Predigt wurde gehalten von Versch. MitarbeiterInnen aus dem Kindergottesdienst