Predigt zum 7. Sonntag n. Trinitatis - 14.7.2002 Textlesung: 2. Mos. 16, 2-3.11-18 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben laßt. Und der HERR sprach zu Mo- se: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, daß ich, der HERR, euer Gott bin. Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wuß- ten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen ge- geben hat. Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte. Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte. Liebe Gemeinde! Ja, die Geschichte ist schon wunderbar. Trotzdem gibt sie nicht allzuviel für uns her. Besonders, wenn wir sie einmal an den Versen messen, die unmittelbar folgen! Die sind viel spannender und vor allem viel beherzigenswerter! - Wollen wir darum heute einmal auf das hören, was die Bibel uns nach dem Predigttext erzählt? - So geht es weiter: Gott hatte für das Sammeln des Mannas zwei sehr interessante Vorschriften erlassen: Jeder aus dem Volk Israel darf nur so viel Manna in der Wüste aufklauben, wie er zum Leben für einen Tag braucht! Wo Kinder oder Alte und Kranke zu versorgen sind, da darf natürlich auch für sie ge- sammelt werden - aber auch da immer nur für einen Tag. Vorräte dürfen sie keine anlegen. Was übrig bleibt am Abend wird stinkend. Und alle, die doch mehr in ihre Krüge gefüllt haben, müssen es bereuen: Ein furchtbarer Gestank macht die Gefäße für lange unbrauchbar. Und die zweite Vorschrift gilt für den siebten Tag der Woche: Am Sabbat, also dem Sonntag der Juden, gab es nichts aufzuklauben. Dafür aber kam am Tag davor immer ganz besonders viel Manna vom Himmel. Und dann - aber eben nur dann - war es erlaubt, die doppelte Menge zu sammeln. Und - o Wunder! - dieser Vorrat verfaulte nicht. Soweit die Fortsetzung der Geschichte. Wie gesagt: Ich fand sie schon immer interessanter als die Geschichte selbst. Und irgendwie geheimnisvoll ist sie auch: Warum verdirbt denn das zuviel ge- sammelte Manna? Warum soll nichts davon aufgehoben werden? Und schließlich: Warum gibt es vor dem Sabbat mehr von diesem Himmelsbrot? Die letzte Frage ist sicher am leichtesten zu beantworten. Es ist ja derselbe Gott, der seinem Volk - und uns bis heute - auch das Gebot gegeben hat, daß wir den Sonntag heiligen! Wir sollen also am Feiertag nicht arbeiten, nicht für unseren Lebensunterhalt sorgen, jedenfalls nicht für unseren äuße- ren Menschen, und wir sollen nichts sammeln, allenfalls unsere Gedanken und Sinne - nämlich auf Gott hin und auf seinen Auftrag an uns. Und wir brauchen es eben auch nicht, sagt die Geschichte. Es ist ja genug da - sonst in der Woche - daß wir auch am Sonntag unser Essen und unser Auskom- men haben. Aber die anderen Fragen? Wie ist es damit? Warum verfault der Vorrat? Warum soll jeden Tag neu gesammelt werden? Mir ist aufgegangen, daß es genau so ja überhaupt Gottes Art ist: Er schenkt immer nur soviel, wie wir im Augenblick brauchen. Auch von seinen geistlichen Gaben kriegen wir keinen Vorrat, der bis da und da hin oder gar bis ans Ende unserer Tage halten würde. Und da gibt es viele Beispiele: Der Glaube ist so eine Gabe. Nein, ich kann nicht sagen, daß ich mein Leben lang im Glauben stehen und immer fest und ohne Zweifel sein werde. Ich will das wohl, aber ob ich es kann? Das wird an dem liegen, was Gott mir an Schwierigkeiten, an Leid und Kummer an meinen Lebensweg legt und dar- an, wie er mir je und je seine Kraft gibt. Und sein Wort ist so eine Gabe. Zwar kann ich viele Sprüche, Psalmen und Lieder auswendig lernen und in meinem Kopf haben. Aber wenn es darauf ankommt, dann muß mir Gott dieses Wort sagen: Fürchte dich nicht, ich bin bei dir. Oder: Sei getrost, ich helfe dir. Oder auch: Ich lebe und du sollst auch leben. Wenn wir dann diese Worte auch schon tausendmal gehört und gesprochen haben - jetzt muß mich Gott damit ansprechen und er muß mich meinen, sonst liegt kein Trost und keine Hilfe darin. (Wer einmal im Krankenhaus nach tröstenden Gedanken und hilfreichen Versen in seinem Ge- dächtnis gesucht hat, der weiß, was es dann bedeutet, wenn einer uns jetzt dieses gute Wort sagt o- der wir es uns selbst im Augenblick der Not sagen können!) Und schließlich ist sein Segen so eine Sache, die immer wieder neu ausgesprochen werden und über uns kommen muß! - Werden wir denn nicht als Kinder bei unserer Taufe von Gott gesegnet? Oder bei unserer Konfirmation? Und trotzdem stellen wir uns an jedem Sonntag neu unter Gottes Segen. Warum nur? Und an jedem Abend in unserem Gemeindehaus, wenn wir als Christen zusammen sind, bitten wir mindestens mit dem Vaterunser um den Segen Gottes. Und es verlangt uns ja auch selbst nach diesem Segen - und eben immer wieder neu! Da gibt es viele Dinge, die mir einfallen: An den Mann in den mittleren Jahren denke ich, der seinen Pfarrer gebeten hat, doch die Arme bei der Se- gensbitte auszubreiten: "Da fühle ich mich erst richtig gesegnet, und das brauche ich einfach", hat er gesagt. An einen alten Menschen muß ich denken, der seine Kinder, seine Neffen und Nichten nie hat aus dem Haus gehen lassen, ohne daß er ihnen mit dem Daumen ein kleines Kreuz auf die Stirn gezeichnet hätte. Und die Kinder kommen mir in den Sinn, die bei den Abendmahlsfeiern so gern mit ihren Eltern nach vorn kommen und denen das kleine Zeichen, wenn der Pfarrer/die Pfarrerin ihnen die Hand auflegt und ein Segenswort sagt, so wichtig ist, daß sie immer wieder gern wiederkommen. Nein, es genügt nicht, einmal den Segen Gottes zu empfangen. Und es ist einfach zu wenig, irgend- wann einmal ein paar gute Worte von Gott zu hören und in uns aufzunehmen. Und auch der Glaube, der immer nur aus sich selbst leben und uns tragen soll, müßte verderben, wenn keine neue Kraft zum Glauben nachkäme. Immer wieder, unser Leben lang müssen wir sammeln und suchen und bit- ten, daß Gott uns auch schenkt, was wir brauchen. Es gibt von allen Gaben Gottes keinen Vorrat! Aber noch etwas zeigt uns die Sache mit dem Manna, wenn wir sie einmal auf alle Gottesgaben deu- ten - und wir wollen es noch einmal deutlich aussprechen: Gott gibt nie im Voraus! Es mag ja sein, daß wir sonst im Leben auf Sicherheit aus sind, daß wir gewiß sein wollen, daß die Zinsen auch noch in 10 Jahren gelten oder daß uns im Alter die Rente noch reicht. Das ist menschlich. Und es ist ver- ständlich, daß wir das wollen. Aber göttlich ist es nicht! Gott will immer wieder neu geben und schenken und immer wieder neu gebeten und angerufen sein, immer wieder neu sollen wir das "Manna des Lebens" aufklauben. - Warum? Ich glaube, die Antwort leuchtet uns ein: Weil Gott ein lebendiger Gott ist! Weil wir ja auch nicht nur von ihm herkommen und einmal zu ihm heimgehen, sondern weil wir auch all unser Leben eine Beziehung zu ihm haben sollen und dürfen. Stellen wir uns doch einmal einen Augenblick vor - wenn wir das können! - unser Ehepartner oder der liebste Mensch sonst, den wir haben, sagte zu uns: "Heute sage ich dir, daß ich dich liebe und von nun an werde ich es all unser Leben nicht mehr sagen." Oder unser Freund, unsere Freundin schenkte uns für ein paar Tage oder Wochen Aufmerksamkeit, um dann für immer zu verstummen und uns keines Blickes mehr zu würdigen. - Nein, Liebe will immer wieder aufgefrischt werden. Freundschaft braucht stets neue Zeichen und Äußerungen, daß sie noch besteht. Immer wieder wollen Beziehun- gen gepflegt sein. Es gibt keine Vorausleistungen an solch kostbaren Dingen! Und schließlich hat das alles - gerade in unserem Verhältnis zu Gott - auch seinen guten Grund. Und der ist noch einmal sehr menschlich: Wenn es nun einen Vorrat gäbe? Wenn Gott im Voraus schenk- te? Würden wir nicht träge und schläfrig ihm gegenüber? Würden wir uns nicht ausruhen und zu uns sprechen wie etwa der reiche Kornbauer in der Erzählung Jesu: "Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut!" Und würde das nicht eben un- sere Beziehung zerstören, unseren Glauben töten und den Segen unseres Lebens verderben lassen? Gott schenkt seine Gaben reichlich. Und wir dürfen uns darauf verlassen, daß er sie uns auch Mor- gen geben wird. Aber er gibt sie nicht auf Vorrat. Er reicht uns seine Gaben nie im Voraus. Täglich neu sollen wir sammeln. Täglich neu will er uns schenken, was wir zum Leben brauchen. Was wir gestern hatten, können wir heute schon nicht mehr genießen. Was wir heute an Gottesge- schenken aufklauben, wird nur bis zum Abend reichen. Was wir für Morgen behalten wollen, wird uns im Herzen verfaulen. Aber auch morgen wird es wieder etwas zum Sammeln geben und Gott wird uns ernähren. Gestern, heute, morgen und in Ewigkeit leben wir nur von dem, was Gott uns schenkt.