Predigt am Sonntag "Misericordias Domini" - 14.4.2002 Textlesung: Hebr. 13, 20 - 21 Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. Liebe Gemeinde! Heute ist es einfach dran, das Bild vom "guten Hirten" mit seiner "Herde", seinen "Schafen". Schon beim Eingangspsalm waren wir ja mittendrin in diesem Bild: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln..." (Ps. 23) Und dann bei der Schriftlesung. "Ich lasse mein Leben für die Schafe..." (Joh 10, 11-16.27-30) Und jetzt hier: Gott hat den großen Hirten der Schafe von den Toten herauf- geführt... Es ist ja auch ein besonders schönes Bild! Ich persönlich kann mich da wiederfinden: Je- sus, mein Hirte, ich in der Gemeinschaft mit den anderen, die zu ihm gehören, in seiner Nähe, unter seinem Schutz, "sein Stecken und Stab trösten mich..." Und wenn ich jetzt noch all das ernst nehme, was mir über diesen Hirten gesagt ist: Gestorben für mich, gelitten für mich, meine Strafe liegt auf ihm, ich habe Frieden, auferstanden für mich, von den Toten heraufgeführt als der erste - und ich soll ihm einmal folgen..., und schließlich aufgefahren gen Himmel, an die Rechte Gottes - und dorthin will er mich auch einmal bringen... Wenn ich all das sehe, in dieses Bild hineinmale und hineindenke: Was für eine herrliche Aussicht! - Doch, ich kann mich hier wiederfinden in der Nähe des guten Hir- ten, bewahrt und geborgen bei ihm, unter seiner Hut. Ich weiß allerdings, nicht alle Christen fühlen sich in diesen Gedanken so wohl. Manche lehnen die- ses Bild vom "Hirten und der Herde" ganz ab. "Ich bin doch kein Schaf!", sagen sie. Oder sie mei- nen, sie könnten in der Gemeinschaft mit den anderen und an der Hand des Hirten ihre persönliche Freiheit verlieren. Wieder anderen erscheint diese Vorstellung einfach nicht mehr zeitgemäß: "Ein Hirt und seine Schafe..., ja, wo sieht man denn heutzutage noch so etwas?" Wie sie, liebe Schwestern und Brüder - oder sage ich heute einmal: liebe Mitschafe - zu diesem Bild stehen, ist wahrscheinlich noch einmal bei jeder und jedem anders. Zu allen Gedanken und Gefühlen, die uns dazu bewegen, kann ich nichts sagen, es sind zu viele. Ich will aber dem einen nachgehen: Ob wir denn als Schaf in der Herde Jesu unsere Freiheit aufgeben müssen? Ich glaube, das ist eine Furcht, die viele Menschen heute haben - vielleicht auch einige hier? Heißt das also, wenn wir dieses Bild vom Hirten und den Schafen malen, daß es hier um ein Verhältnis der Unfreiheit und Abhän- gigkeit geht? Haben die "Tiere" in der Herde immer nur brav und uneigennützig, lieb und unmündig zu sein? Sollen wir ganz aufgehen in der Gemeinschaft, gar nichts Eigenes mehr haben, keine per- sönlichen Bedürfnisse, keine Eigenheiten, keine Wünsche und keine Interessen? - Vorneweg: Wenn es so wäre, dann möchte ich auch kein Schaf sein! - Aber es ist nicht so! Auch in der Bibel gibt es ja durchaus nicht nur dieses einseitige - enge - Bild von der Christenherde! Denken wir doch auch an solche Geschichten wie die vom "Verlorenen Schaf". Da hat es ja doch ein Tier der Herde fertigge- bracht, vom Hirten und den anderen Schafen wegzulaufen! Offenbar ist das also möglich: Die Herde verlassen, der Gemeinschaft mit den anderen den Rücken kehren, eigene Wege suchen, eigene Wei- de... Oder denken wir daran, wie oft die Juden in der Schrift mit Schafen verglichen werden, "die keinen Hirten haben". Man kann demnach auch einer Herde angehören, die ohne Hirten und ganz al- lein auf sich gestellt ist. Anders gesagt: Es kann zwar sein, daß wir einer Gemeinschaft angehören, auch einer religiösen Verbindung - sie hat aber nicht Jesus Christus zum Herrn! Sehr zahlreich sind auch die Beispiele in der Bibel, in denen es von den Schafen heißt: "Sie gingen in die Irre, sie waren zerstreut oder sind gar verloren gegangen...." Was mir alles das sagt, ist dies: Das schöne Bild von der Schafherde meint nicht unbedingt, daß wir unfrei wären, unmündig oder ohne eigene Persönlichkeit. Im Gegenteil: Die Schafe, von der die Bi- bel erzählt, haben ihren eigenen Kopf, suchen sich auch einmal einen anderen Weg als die Masse der anderen, haben sogar die Freiheit, sich gänzlich abzusondern, falsche Pfade zu gehen, eine Weide nur für sich selbst zu finden... In solchen Schafen kann ich mich jetzt eigentlich ganz gut erkennen - und sie? Doch: Wir sollten dieses Bild endlich ein wenig anders betrachten. Wir sollten die Sache mit der Herde und ihrem Hirten als das sehen, was sie ist: Nämlich als ein Angebot! Betrachten wir daraufhin noch einmal einige Züge dieses biblischen Bildes; ein Angebot soll es sein: Nicht, wir müssen einem Hirten und einer Herde zugehören, wir dürfen! Ich muß mich nicht führen und schützen, leiten und bewahren lassen, ich darf. Ich kann auch meinen Pfad abseits der Herde su- chen. Der Hirte wird mich nicht hindern, wenn ich mich von ihm und den anderen trenne. Es freut ihn sicher nicht, wenn ich das tue, aber er wird mich nicht zurückhalten, schon gar nicht mit Gewalt! Es wird ihm wehtun, ihn schmerzen, wenn ich von ihm weggehe. Ihm blutet buchstäblich das Herz und die Hände, das Haupt und die Seite, wenn er sich aufmacht, mich heimzuholen. Ja, er ist bereit, sein Leben für mich zu geben, nur daß ich wieder bei ihm bin. Aber auch da zwingt er sich nicht auf. Er sucht mich, er findet mich und er wird immer wieder anbieten, locken, daß ich endlich in seiner Nähe bleibe! Nur: Zwang übt er keinen aus, unfrei macht er mich nicht! Niemals! Manchmal muß ich denken: Ach, wenn er das doch nur täte! Wenn er den unsinnigen Widerstand mancher "Schafe" doch bräche! Wie gut wäre das - für sie! Denn ich sehe so viele Menschen unserer Tage, wie sie vor die Hunde gehen, zugrunde gehen in ihrer falsch verstandenen Freiheit! Sie glauben, sie wären frei, nur weil sie viel Geld verdienen, ein paar Angestellte haben und einigen Einfluß. Dabei fehlt ihnen al- les, was das wirkliche Leben ausmacht! Wenn man ihnen ihr Hab und Gut nähme, wenn ihnen ein Unfall oder eine Krankheit zustieße, sie würden klein und hilflos, verzweifelt und wollten am liebsten sterben! Denn aus sich selbst heraus sind sie nichts. Durch die Liebe des guten Hirten sind sie auch nichts, denn sie verachten diese Liebe! Wenn nur auch diese Menschen noch zurechtkämen, zurecht- gebracht würden - durch ihn, den sie nicht kennen und nicht kennen wollen! - Aber er wird sie nicht zwingen! Das ist und bleibt sein Angebot: Mein Hirte will er sein, mich weiden will er, mich ernähren und kleiden, mir ein Haus zum Wohnen geben und eine Aufgabe, die mich erfüllt. Und er gibt nicht nur meinem äußeren Menschen, "er erquickt meine Seele", er weiß, daß ich mehr brauche als Brot zum Essen und Wasser zum Trinken! Er schenkt mir auch Sinn und Freude, Fülle und daß ich ande- ren wichtig bin. Wenn ich mir's gefallen lasse, dann leitet er mich auf "rechter Straße". Wenn ich ihm vertraue, dann muß ich auch im "finsteren Tal" kein Unglück fürchten. Wenn ich nach ihm frage, dann gibt er mir den Trost, den ich brauche, daß ich auch böse Zeiten überstehe, Zeiten der Trauer und des Leids. Und ich darf - mit ihm in der Nähe - ganz gewiß sein: Alles, was mir begegnet, was mich ängstet und schreckt, wird am Ende zu meinem besten sein! Und das ist vielleicht die größte Zusage, das wunderbarste Angebot dieses Herrn! Und schließlich - ganz gewiß! - werde ich auch nach dem Tod bei diesem Herrn bleiben: "immerdar"! Und er will mir nachgehen, wenn ich mich verlaufe! Wer ist schon gefeit dagegen, daß ihn eine Lau- ne, ein Schicksalsschlag oder die eigenen Wünsche vom rechten Weg abbringen? Wir wären nicht die ersten, denen das passiert! Und sicher nicht die letzten! Aber er sucht uns dann! Der gute Hirte läßt uns nicht einfach laufen und gibt uns nicht verloren. Er macht sich auf, geht uns nach, denn wir machen ihm Gedanken, Mühe und Sorgen. Er ruht nicht eher, als bis er uns findet, bis uns sein Ruf erreicht und wir endlich hören... Ob wir dann folgen ist wieder unsere Sache. Aber er ruft! Ich bin ihm dafür sehr dankbar, daß er mich nicht aufgibt, nicht abschreibt, wie wir Menschen einander doch so leicht und gern aufgeben und abschreiben. Wirklich: Wir müssen dieses Bild vom Hirten und seiner Herde nicht mit Argwohn betrachten. Wir müssen keine Angst haben, wir würden bei Jesus unfrei und könnten unseren eigenen Willen verlie- ren. Es ist ein gutes Bild, das schönste, das ich kenne: Er mein guter Hirte, ich ein Schaf aus seiner Herde... Und dann dieses wunderbare Angebot: Mit ihm leben und wirken, in seinem Schutz die schweren Wege gehen, mich in seiner Nähe freuen - in diesem und einmal im ewigen Leben. Was für ein Geschenk! Was für ein Herr! Was sind dagegen die "Bilder" dieser Welt, die uns betören? Wie eng und kurz sind doch die Wege fern von diesem Hirten, die wir für Freiheit halten! Was hindert uns noch, sein großes, freundliches Angebot anzunehmen: Zu ihm und seinen Schafen zu gehören?