Predigt am Sonntag "Karfreitag" - 29.3.2002 Textlesung: Jes. 53, 1 - 12 Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des HERRN offenbart? Er schoß auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Er war der Allerver- achtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, daß man das An- gesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krank- heit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott ge- schlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sün- de willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wun- den sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das ver- stummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf. Er ist aus Angst und Gericht hinwegge- nommen. Wer aber kann sein Geschick ermessen? Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weg- gerissen, da er für die Missetat meines Volks geplagt war. Und man gab ihm sein Grab bei Gottlo- sen und bei Übeltätern, als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat und kein Be- trug in seinem Munde gewesen ist. So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit. Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerech- te, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden. Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben, und er soll die Starken zum Raube haben, dafür daß er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten. Liebe Gemeinde! Wann, wenn nicht heute, sind wir denn einmal bereit, über das zu sprechen und nachzudenken, was bei uns nicht so ist, wie es sein soll. Über unsere ganze verkehrte Art, über unsere Sünde und Schuld? - Wir haben vorhin die Geschichte der Kreuzigung gehört. (Schriftlesung: Joh. 19,16-30) Wir haben Jesu Leidensweg mitverfolgt. Wir haben unter seinem Kreuz gestanden, als er die ganze Grausamkeit der Menschen erfahren hat. Wir haben seine letzten Worte gehört und seinen Todes- kampf mitangesehen. Wir sind also heute neu Zeugin und Zeuge seines Leidens und Sterbens ge- worden...und jetzt hören wir: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmer- zen... Und vorhin haben wir gesungen: "Ach, unsre Sünde bringt dich an das Kreuz hinan..." (EG 87,2) Wann also, wenn nicht heute, wollen wir denn einmal diese "Sünde" benennen und die Schuld unseres Lebens ansprechen? Bliebe die Geschichte des Karfreitags sonst nicht irgendeine - wenn auch traurige - Geschichte irgendeines Sterbens? Ja, wäre dem Tod unseres Herrn nicht der Grund und der Sinn genommen, wenn wir von Sünde und Schuld nicht mehr wüßten oder sie nicht mehr wahrnehmen wollten? Ja, hätte nicht unser ganzer Glaube als Christen die Mitte und den Kern verlo- ren, wenn wir alles Böse und Dunkle in unserem Leben gar nicht mehr sehen wollten, für das doch Jesus in die Welt gekommen ist, um uns davon zu erlösen?! Sprechen wir heute also von unserer Sünde. Tun wir's unbeschönigt, ohne Ausflüchte, nüchtern und einmal ohne falsche Scheu. Unsere Schulden und Missetaten können nicht so harmlos sein, wie wir sonst gerne tun, wenn sie Christus ans Kreuz gebracht, dem Unschuldigen Schmerzen und Leid ver- ursacht, den Sohn Gottes dem grausamsten Tod überantwortet haben. - Es ist unsere Sünde, wie träge, gleichgültig und interesselos wir sind! Ich denke dabei daran, was Menschen aus unseren Gemeinden noch vor drei oder vier Jahrzehnten auf sich genommen haben, um etwa einen Gottesdienst, eine Abendmahlsfeier oder einen Gemeindeabend zu erleben. Ein Fuß- marsch von vier oder fünf Kilometern war dafür nicht zu viel! Bei jedem Wetter, versteht sich. Heu- te wird es schon als eine Zumutung empfunden, auch nur das Angebot des Bus' anzunehmen, der uns einmal zu einem gemeinsamen Gottesdienst in eine andere Gemeinde bringt oder - wie in diesen Tagen, wenn wieder auf Sommerzeit umgestellt wird - eine Stunde eher für den Gottesdienst aufzu- stehen. - Oder wenn wir an Besuche denken, die wir früher bei Freunden oder Nachbarn gemacht haben, wenn sie krank waren oder sonst unsere Hilfe brauchten. Es wäre gewiß nicht vorgekommen, daß einer ein längeres Krankenlager hinter sich bringen mußte, ohne daß ihm jemand einmal eingekauft oder sonstwie aufgewartet hätte. Heute bleibt so manches unbemerkt oder unbeachtet, selbst wenn es sich im Haus nebenan oder gegenüber abspielt. - Und nehmen wir noch die Botschaft des Glaubens an Jesus Christus und alles, was sie uns an Trost und Halt, an Kraft und Hoffnung schenken will und kann. Und sehen wir und hören wir und nehmen wir wahr, wie gänzlich unbedeutend sie in den Medien unserer Tage, der politischen Landschaft, in unserer dörflichen Gemeinschaft, in den Gesprächen, die wir führen, in unserem persönlichen Leben und wohl auch in unseren Herzen geworden ist. Ist es nicht bedrückend, daß wir uns in einem ehe- mals christlichen Land wirklich Gedanken darüber machen, ob wir die Botschaft von Jesus Christus noch im Religionsunterricht der Schulen sagen dürfen und ob wir das Kreuz im Klassenraum Men- schen ohne Glauben und Menschen anderer Religion zumuten können. Und ist es nicht bedrückend, was heute alles auch für uns persönlich wichtiger geworden ist als der Glaube an diesen Jesus Chris- tus, zu dem wir uns doch alle angeblich halten und alle einmal öffentlich bekannt haben. Aber so wird doch immer wieder geredet: "Der Sonntag ist der einzige Tag, an dem ich einmal ausschlafen kann!" - "In den Jahren, in denen ich jetzt bin, will ich mir etwas aufbauen - für Gott, Jesus und den Glauben und so ist doch später noch Zeit." - "Was kann ein Gott, der am Kreuz gestorben ist, schon helfen; da habe ich wirklich andere Probleme!" - Wenn wir nur einen Augenblick einmal ernst neh- men würden, was in solchem Handeln und Reden eigentlich geschieht, wie gering die Ehre Gottes geachtet wird und wie über das Opfer Jesu am Kreuz hinweggegangen wird, ohne es im mindesten zu beachten, wir würden, ja, wir müßten erkennen, wie groß, wie gewaltig und blutrot unsere Sünde ist und wie nötig wir den haben, von dem es heißt: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen... Es ist unsere Sünde, wie undankbar und hoffnungslos wir sind! Ich denke daran, wie viel uns doch von unserem himmlischen Vater geschenkt ist. All unsere persönlichen Gaben des Herzens, des Verstandes und die Fertigkeiten unserer Hände. Der Besitz, den wir haben. Unser "Auskommen", wie wir die glänzenden Lebensumstände und den Luxus, die uns umgeben, oft bescheiden nennen. Und selbst wo unsere Gesundheit angeschlagen sein mag, wenn wir heute hierher haben kommen können, dann geht es uns gut, besser jedenfalls als vielen anderen Menschen. Und ein Blick auf das Schicksal manches Nachbarn könnte uns belehren, wie glücklich und zufrieden wir sein müßten! A- ber wir sehen es ja nicht. Immer wieder verfinstert sich unser Blick, wenn wir nach anderen schauen, denen das Glück vermeintlich mehr hold gewesen ist. Immer wieder klagen wir, vergleichen unser Leben mit dem anderer, bedauern uns dann selbst und verlieren so jedes Maß. Wir schielen auf das im Grunde jämmerliche Geschick irgendeines Reichen, der, wie wir glauben, ein sorgenfreies Leben genießen kann oder wir starren auf einen 90jährigen, der ohne Beschwerden des Alters noch so viel mehr machen kann als wir, und wir sehen doch gar nicht wie einsam dieser alte Mensch vielleicht ist und wie geborgen wir dagegen im Kreise unsere Familie, die uns liebt und pflegt. Und Hoffnung, Zuversicht..., die bringen wir schon gar nicht mehr auf. Dabei wären wir als Christ und Christin ge- radezu verpflichtet zur Hoffnung! Wir wissen es doch und wir sprechen davon auch in unserem Glaubensbekenntnis, daß wir nicht nur dieses Leben haben, sondern ein ewiges Leben erwarten! A- ber wie wenig kann ein christliches Leben doch wert sein, wenn es unsere Mitmenschen nach dem beurteilen, was sie an unserer sauertöpfischen Miene ablesen. Und wie wenig herrlich müßte die e- wige Zukunft Gottes doch sein, wenn unsere Nächsten das an dem ablesen wollten, was unser Ge- sicht darüber an Freude und Gewissheit ausstrahlt. - Dafür ist Jesus nicht gestorben, daß wir solche armen Abbilder seiner Güte wären. Da hat er sich gewiß andere Nachfolger gewünscht, glaubhaftere Bekenner...er, von dem es heißt: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmer- zen... Warum ist das so. Warum sind wir so? - Bei solchen Fragen kommt immer der Hinweis auf den Wohlstand unserer Tage - so sicher wie das Amen in der Kirche: Daß es uns heute halt gut geht, zu gut vielleicht! Aber das ist doch allenfalls eine Erklärung dafür, gewiß aber keine Entschuldigung! Manche sagen auch, die Kirche wäre nicht mehr zeitgemäß mit ihrer Botschaft, sie könnte das in diesen Tagen einfach nicht mehr "rüberbringen" zu den Menschen. Aber sollen wir das Evangelium wirklich anbieten wie Waschpulver? Ist unserer Seele, unserer Lebensangst, unserem Fragen nach Halt und Sinn wirklich gedient, wenn wir Gottes Himmel verkaufen wie Radio FFH die neuesten Hits? Nein, der Glaube war schon immer eine Sache, die mir wenigstens das Fragen, das Suchen, das Anklopfen abverlangt. Der Weg zu Gott hat noch immer über das Erkennen geführt, wie elend und verloren ich ohne ihn bin. Dann - erst dann! - haben sich die Menschen aufgemacht und sind den Weg zu Gott gegangen, wenigstens bis dahin, wo sie der Vater schon mit ausgebreiteten Armen er- wartet. - Wenn die Menschen unserer Zeit das nicht mehr aufbringen, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen. Noch einmal: Unser gleichgültiges, träges, undankbares und hoffnungsloses Wesen, nennt die Bibel Sünde. Namentlich vor dem Kreuz und vor dem Herrn, der den Tod für uns leidet, wird das zur Schuld und zur strafwürdigen "Missetat". Aber in diesem Geschehen auf Golgatha, das uns verklagt und unsere Sünde in grellstes Licht taucht, liegt auch schon der Anfang unserer Heilung. Wir können anders werden. Wir können zu unserer Schuld stehen und uns um Besserung mühen. Dafür ist Jesus schließlich ans Holz gegangen. Mit ihm und der Vergebung, die er schenkt, beginnt der Weg zurück zu Gott: Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen... Er ist um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt. Heute, liebe Schwestern und Brüder, ist unserem Leben von Gott ein neu- er Anfang gesetzt.