Predigt zum Sonntag "Sexagesimä" - 3.2.2002 Liebe Gemeinde! Seit Jahrzehnten ist diesem Sonntag ein bestimmtes Thema zugeordnet: Gottes Wort - Samen, der Frucht bringt. Alle Predigttexte für diesen Sonntag "Sexagesimä" haben damit zu tun. Und schon der Wochenspruch bringt es auf den Punkt: Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so ver- stockt eure Herzen nicht. (Hebr. 3,15) Es geht also darum, wie wir zu Gott finden, wie das geht, wenn er uns beruft und wie wir uns bekehren. Aber dieses Thema wirft viele Fragen auf, zum Beispiel solche: Bringt Gottes Wort bei jedem Men- schen Frucht hervor? Kann ich mich dagegen gar nicht wehren? Geht es also nur darum, daß die Menschen Gottes Wort hören - dann werden sie schon Frucht bringen? Und was ist damit: ...verstockt eure Herzen nicht? Dachten wir nicht - und können es an so vielen Stellen der Bibel lesen - daß Gott die Menschen verstockt, also ihre Ohren und ihr Herz selbst für sein Wort verschließt? Eine Frage, die noch tiefer geht, ist dabei: Wo bleibt unsere menschliche Freiheit? Sind wir noch frei zu glauben oder nicht - wenn es doch Gott ist, der uns für sein Wort empfänglich macht oder verstockt. Und dann: Warum sollte Gott das tun? Will er denn nicht, daß al- len Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen? Wir wollen einmal auf eine Geschichte hören, die uns vielleicht bei diesen Fragen helfen kann. Es ist der uns für heute verordnete Predigttext: Textlesung: Apg. 16, 9 - 15 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiß, daß uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen. Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Nea- polis und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluß, wo wir dachten, daß man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen. Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, so daß sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, daß ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns. Eine wunderbare Geschichte. "Wunder"-bar meine ich dabei im Wortsinn. Und man könnte in der Predigt sicher über einige Gedanken daraus sprechen: Die Sache mit dem Traum des Paulus, der Er- folg seiner Mission damals und unsere bescheidenen Zugewinne heute, die Zeitgeschichte dieser Rei- se des Apostels und die Bekehrung der Purpurhändlerin Lydia. Jedes Thema hätte sein Recht. Aber gerade zu diesem Sonntag mit seinen Fragen um die Frucht des Wortes Gottes, um Erwählung, Be- rufung, Freiheit und Verstockung paßt die Geschichte der Bekehrung der Lydia gewiß am besten. Und das läßt sich gut mit der anderen Frage verbinden, die uns als Christen und Kirchgänger gewiß auch beschäftigt: Warum erleben wir das heute so selten, daß Menschen sich bekehren - oder sagen wir es weniger hochtrabend: Warum kommen heute so wenige neu zur Gemeinde der Christen, daß sie zum Gottesdienst gehen oder sich in einem Kreis der Gemeinde sehen lassen? Wie war das bei Lydia? Warum wollte sie Christin werden? Ist sie von Paulus angesprochen und überzeugt worden? War das also sein Werk? Lag es an der großen Ausstrahlung dieses Mannes, daß er sie für Gottes Sache gewonnen hat? Oder war es Lydias Wille allein, die vielleicht schon lange gern zu den Christen gehört hätte? Kam hier beides zusam- men? Wo war Gott dabei? Ist es nicht seine Sache zu erwählen oder zu verstocken? Schauen wir uns an, wie sich das damals abgespielt hat: Mit anderen Frauen war diese Lydia an einer jüdischen Gebetsstätte versammelt. Wahrscheinlich war sie neugierig, was die Männer, die von weit- her über's Meer gekommen waren, zu sagen hatten. Außerdem heißt es von ihr: Sie war gottesfürch- tig. Nun gut, Jüdin war die Frau schon, sie glaubte an ihren Gott - aber von Jesus Christus hatte sie noch nicht gehört und getauft war sie auch nicht. Ihre Bekehrung, ihren Ruf und ihre Erwählung in den Dienst Gottes als eine Christin, konnte sie also noch nicht erfahren haben. Was geschieht jetzt?: Lydia hört zu und dann lesen wir: "...und der Herr tat ihr das Herz auf, daß sie achthatte auf das, was Paulus redete." Ich nenne das jetzt einmal ihre Bekehrung: Das Herz wird ihr aufgetan... Ich glaube, das ist ein schönes, ein treffendes Bild dafür. Wir verlassen jetzt die übrige Geschichte dieser Bekehrung und denken nur noch diesem Bild nach: "Der Herr tat ihr das Herz auf!" Das hat also nicht Paulus getan! Und auch Lydia selber nicht! Das hat sie und auch Paulus nicht herbeizwingen können und auch nicht hindern und wehren können: Der Herr tat ihr Herz auf! Und verdient, also durch irgendwelche Vorleistungen erworben, hat sie das auch nicht: Lydia war eine Frau wie viele, nicht besser, nicht gläubiger, nicht gottesfürchtiger als andere jüdische Frauen auch. Aber an ihr geschieht es. Ihr Herz wird zum guten Boden für die Bot- schaft, die Paulus bringt. Noch einmal: Nicht ihre Leistung ist das, es ist Gottes Geschenk! Die Erwählung ist also allein Gottes Gnade. Lydias Bekehrung ist Gottes freie Barmherzigkeit. Aber wo genau liegt diese Freiheit? War Lydia frei, konnte sie wollen und entscheiden, ob und daß Gott sie erwählt? - Sie konnte es nicht. Sie war nicht frei. Sie war wie Ton in der Hand des Töpfers, sie war ein Bildnis, das der Bildner so oder so formen konnte. Aber: Der Herr tat ihr das Herz auf! Wie geht das weiter?: Lydia kann nun achthaben auf das, was Paulus redet. Sie muß das jetzt nicht mehr wie ein verstockter Mensch einfach abtun. Die ja wirklich "unglaubliche Nachricht", daß Gott seinen Sohn für die Menschen geopfert hat und schändlich am Kreuz sterben ließ, geht ihrem Herzen ein - und ihrem Verstand auch. Weil Gott ihr Herz aufgetan hat, kann sie das jetzt überhaupt fassen, was doch eigentlich ganz unfaßbar ist. Oder wer kann die Liebe unseres Gottes begreifen, der so armselige, sündige Leute wie uns liebhat - es sei denn, daß Gott ihm das Herz dafür aufgeschlossen hätte? Ja, ich glaube, hier wird es ganz deutlich: So ist Gottes Erwählung, so geschieht Bekehrung - bei Lydia und bei uns allen: Daß Gott die Herzen auftut, damit wir die Botschaft seiner Liebe, seiner Vergebung, seiner Gnade, des Kreuzes und unserer Erlösung überhaupt denken und fassen können. Aber zurück zu Lydia: Ihr Herz war also aufgetan worden. Sie hatte acht auf die Worte des Paulus. Sie hörte sich das an, was er sagte. Sie verglich es wohl mit allem, was sie bisher von Gott wußte. Sie maß das an ihrem bisherigen Glauben. Und dann traf sie eine Entscheidung: Die Entscheidung für Christus. Sie ließ sich taufen. - Diese Wahl ist nun ihre Sache gewesen. Diese Entscheidung durf- te sie sich selbst zuschreiben. Aber: Ihre Bekehrung, die Erwählung durch Gott, der "ihr Herz aufge- tan" hatte, mußte vorausgehen. Daß Gott ihr Herz aufgeschlossen hat, hatte sie allein Gott zu dan- ken. Und was ist mit der Freiheit? Bevor Gott ihr Herz aufgeschlossen hatte, war sie gefangen. Jetzt aber war Lydia frei: Ihr Herz war geöffnet, die Botschaft zu ihr gedrungen, das Wort von Jesus Christus lag vor ihr. Sie mußte, sie durfte sich für oder gegen ihn entscheiden. Hier war sie nun wirklich ganz frei. Und hier liegt wohl überhaupt die Freiheit der Christen - nach der Erwählung durch Gott. Und diese Freiheit ist jeden Tag wieder neu zu bewähren. Und wir müssen uns täglich wieder für ein Le- ben mit Gott entscheiden oder für eines ohne ihn. Wem Gott das Herz aufgetan hat, der ist frei. - Viele Fragen werden jetzt bleiben. Eine steht ja auch vielen von ihnen im Gesicht geschrieben: Wa- rum will Gott manche erwählen und andere nicht? Warum schafft er bei dem einen reiche Frucht sei- nes Wortes, ein anderer aber bringt nur leeres Stroh hervor? Ich weiß es nicht, Gott allein weiß es. Aber: Warum sollen wir nicht darum bitten dürfen, daß Gott uns das Herz auftut und wir frei wer- den und wir uns bekehren können? Wie wir - wenn Gott uns erwählen wollte - nur danken können, so können wir um Erwählung wohl nur bitten: Bitte, mein Gott, tue auch mir das Herz auf! Und ein letzter, gewiß nicht unbedeutender Gedanke ist noch dies: Was ist mit den Menschen in un- serer Nähe, die wir doch lieb haben, um deren Erwählung wir uns aber sorgen müssen? Sagen wir es ganz deutlich: Wie können wir anderen dazu helfen, daß Gott sie auch ruft, erwählt und sein Wort bei ihnen Frucht hervorbringt und sie nicht verloren gehen? Auch für sie können wir Gott bitten, daß er ihnen das Herz öffnet. Aber wir können noch mehr tun. Denken wir an Lydia. Sie war dort, wo von Jesus Christus erzählt und berichtet wurde. Sie war an dem Ort, wo das Wort von ihm und über ihn zu hören war. Ich glaube, hier leuchtet uns ein, wie auch wir den Menschen helfen können, daß Gott ihr Herz auftut: Bringen wir sein gutes Wort immer wieder einmal vor sie. Lassen wir nicht ab, sie einzuladen dorthin, wo in Predigt und Verkündigung sein Wort zu hören ist. Es bleibt Gottes Erbarmen, wenn er ihr Herz öffnet. Aber gewiß ist das Herz eines Menschen, dem wir von Jesus Christus erzählen und für den unsere Worte und Taten zeugen, leichter aufzuschließen.