Predigt zum Pfingstmontag - 10.6.2019 Textverlesung: Jh. 4, 19 - 26 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet. Liebe Gemeinde! Wo beten wir Gott recht an? An welchem Ort will er wohnen und ist uns besonders nah? Damals, im Gespräch mit der Frau aus Samaria, war das die Frage: Auf dem Berg Garizim oder im Tempel von Jerusalem. Heute fragen wir uns vielleicht, ob Gott in unserem Kämmerlein, an unserem Arbeitsplatz oder sonst einem alltäglichen Ort genauso bei uns ist, wie in unserer Kirche? Was ist Jesu Auskunft damals? - Sie ist, das wollen wir aussprechen, ziemlich unverständlich: „Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet...es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit...“ Wir wissen nicht, ob die samaritanische Frau das damals verstanden hat. Und wir wissen auch nicht auf Anhieb, was uns das sagen will. Denn das ist doch ein sehr fremdes, dunkles Wort: „...anbeten im Geist und in der Wahrheit...“ Wie macht man das? - Wie kommen wir hier weiter? Wenn hier vom „Geist“ die Rede ist, dann gehen unsere Gedanken am Pfingstfest ja wie von selbst in eine bestimmte Richtung: Da ist doch gewiss Gottes Geist gemeint, der uns Menschen trotz aller Unterschiede verbindet und uns die eine Sprache der Liebe lehrt. Aus dieser Liebe heraus hat Jesus damals überhaupt mit der Samaritanerin gesprochen! Das war nicht selbstverständlich. Andere fromme Juden hätten das nicht getan, denn die Samaritaner, das wissen wir ja auch aus der berühmten Geschichte vom barmherzigen Samariter, waren bei rechtgläubigen Juden sehr verachtet. In diesem Geist der Liebe und Achtung gegenüber jedermann sollen wir Gott anbeten. Ohne Vorbehalte, ohne andere herabzusetzen, in mitmenschlicher Güte und Toleranz sollen wir ihnen begegnen, dann will Gott uns auch nahe kommen, unsere Stimme und unsere Gebete hören. Aber wie beten wir „in der Wahrheit“ an? - Die Frau damals weiß sofort mit wem und mit was die „Wahrheit“ zu tun hat: „Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.“ Wir Christen glauben, dass es stimmt, was Jesus damals antwortet: „Ich bin's, der mit dir redet.“ Heißt die „Wahrheit“ also, an ihn zu glauben? Beten wir Gott „in der Wahrheit“ an, wenn wir als Menschen vor ihn treten, die Jesus Christus zum Herrn haben? Jetzt mag der eine oder die andere von uns schon länger gedacht haben: Die Geschichte heute gibt mir eine Antwort auf eine Frage, die ich eigentlich noch nie gestellt habe! Ich fühle mich Gott überall genauso nah. Ob ich abends in meinem Bett liege, über Tag bei der Arbeit oder ob ich am Sonntag im Gottesdienst meine Hände falte, ich weiß, dass Gott mich hört und ich weiß auch, dass Jesus Christus der Mittelpunkt ist, auf den sich mein Glaube bezieht. Liebe Gemeinde, ich glaube auch, dass es andere Fragen gibt, die uns näher sind, als die nach dem Ort des Gebets und nach dem Messias. Wie wäre es damit: Wie gehen wir mit Menschen um, die nicht dasselbe „Gesangbuch“ haben wie wir, die zu religiös frömmeren Kreisen gehören oder überhaupt keinen Glauben haben? Ich denke schon, dass die Frage nach dem Tempel und dem Ort für das Gebet heute die Frage nach dem „richtigen“ Bekenntnis sein könnte, oder nach der christlichen Toleranz gegenüber Menschen, die Gott ablehnen und von Jesus Christus nichts wissen wollen. Was könnte hier ein Umgang im „Geist und in der Wahrheit“ sein? Ob wir wollen oder nicht: Hier wird's persönlich! Darum will ich persönlich reden: Es fällt mir schwer zu akzeptieren, wenn immer wieder Menschen aus frommen Kreisen, die sich als bibeltreu bezeichnen, mich zu einer Sache befragen, die ich als ziemlich unwichtig betrachte, jedenfalls gemessen an dem, was die wesentlichsten Inhalte unseres Glaubens angeht: Wie unbedeutend ist doch die Frage, ob Jesus von einer Jungfrau geboren wurde, gemessen daran, ob er vom Tod auferstanden ist und für uns das Heil in Zeit und Ewigkeit erworben hat. - Aber es gibt die Leute, die einem darin fangen wollen, wenn man es klar ausspricht: „Die Jungfrauengeburt ist mir eigentlich nicht so entscheidend!“ Dann, so wird dir gesagt, glaubst du nicht richtig, dann ziehst du die Bibel in Zweifel, dann bist du nicht in der Wahrheit, dann ist dein Geist noch nicht bekehrt. Ich könnte mir denken, dass für einige von uns die Schöpfungsgeschichte so eine Sache ist... Wir haben es ja heute zunehmend schwer, das biblische Zeugnis mit dem zu reimen, was wir als wissenschaftlich erwiesen ansehen müssen. Wie soll das denn zusammenpassen: Die Schöpfung in sieben Tagen auf der einen, die Entwicklung der Menschheit - über unsere affenähnlichen Vorfahren und dem Neandertaler in Jahrmillionen - bis heute? Vielleicht haben wir hier auch schon Diskussionen geführt, uns auch schon in der Lage befunden, erklären zu müssen, dass wir hier der Wissenschaft gemäß denken und die Bibel wohl doch etwas ganz anderes sagen will, als „wie es wirklich gewesen ist“. Aber ich denke, wir mussten auch schon Menschen erleben, die uns dann als nicht rechtgläubig bezeichnet haben und nicht in der Wahrheit und nicht treu im Geist der Bibel. Und in solchen Gesprächen, bei solchen Menschen, da ist uns die Toleranz und die Liebe gewiss auch schon ausgegangen. Es gibt eine Art, wie manche Menschen andere prüfen, sie be- oder gar verurteilen, die kann man nicht mehr akzeptieren. Wenn alle Argumente ins Leere laufen, dann nehmen wir unsere Zuflucht auch schon einmal zu solchen Bezeichnungen: Der ist halt ein Evangelikaler! Die gehört halt zu den Fundamentalisten. Aber wie geht es uns denen gegenüber, die gar keinen Glauben haben? - Lassen sie uns auch hier offen sein und ehrlich: Das ist gar nicht leicht für uns zu verstehen, dass manche Menschen ihr ganzes Leben ohne eine Beziehung zu Gott, ohne Glauben und ohne Gebet verbracht haben. Wir geben uns ja Mühe, wir wollen ja verstehen, aber wir geraten immer wieder an die Grenze: Da geht es einem Menschen doch so gut, da hat einer so viel Geld und Güter - aber er schreibt alles sich selbst zu, kann Gottes Gaben nicht sehen, kann ihm nicht danken. Ein anderer hat in unseren Augen ein Wunder erlebt, ist von schwerer Krankheit genesen oder hat eine deutliche Fügung Gottes erfahren. Aber den Glauben hat er darüber nicht gefunden. Gott spielt trotz allem keine Rolle in seinem Leben. Da sind wir dann schnell soweit, Menschen abzuschreiben, aufzugeben: Die sind halt so, da geht nichts ein, die werden es nie begreifen! Und schließlich könnten wir es aus eigenem Munde hören: Denen ist Gottes Geist noch nie aufgegangen! Die haben keine Ahnung, wo die Wahrheit ist, für die es sich zu leben lohnt. Ja, am Ende verhalten wir uns den „Ungläubigen“ gerade so gegenüber, wie sich vorher die Bibeltreuen gegen uns verhalten haben! Liebe Gemeinde, jetzt wollen wir uns das noch einmal sagen lassen: Auch und vielleicht gerade die Menschen, denen wir kein Verständnis gegenüber aufbringen und die uns nicht verstehen können, haben einen Anspruch darauf, dass wir sie so behandeln, wie es dem Geist und der Wahrheit entspricht! Wenn wir sie verdammen, dann helfen wir ihnen gerade nicht mit dazu, dass sie erkennen, was ihnen bis heute verschlossen ist. Wenn wir sie abtun als unbekehrbar, unbelehrbar, dann machen wir Gottes weite Liebe zu allen Menschen in unserem eigenen Herzen eng und klein. Denn - trotz aller Sicherheit, die wir vielleicht in unserer eigenen Position haben - es kann auch an unserem Glauben manches nicht so sein, wie Gott es will. Und umgekehrt: Auch die anderen, selbst die Menschen, die ausdrücklich nicht an Gott glauben, können Einsichten in das Leben und die Liebe haben, die weiter und tiefer sind, als unsere. Und vor allem gilt doch dies: „Es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit...“ Wir entscheiden nicht, wer die „wahren“ Anbeter sind, das weiß der Vater allein. Wir können und sollen uns bemühen, dem Geist und der Wahrheit auf die Spur zu kommen: Jesus Christus wird uns den rechten Weg zeigen. Toleranz und Offenheit gegenüber allen Menschen wird uns begleiten. Der ehrliche Wille, die anderen Menschen zu verstehen, so fremd uns ihr Glaube oder ihr Wesen auch sein mag, wird uns mit ihnen im Gespräch und in gegenseitiger Achtung halten. So wird - nicht nur heute, sondern allezeit - ein Stück Pfingsten unter uns Wirklichkeit. AMEN