Predigt zum Sonntag „Exaudi“ - 2.6.2019 Liebe Gemeinde! „Sie grenzen ja bestimmte Menschen aus!“ - „Sie unterscheiden ja in „gute Christen“ und „weniger gute Christen.“ - „Sie sollen doch aber für alle Gemeindeglieder da sein!“ - Immer wieder können wir Pfarrerinnen und Pfarrer, Prädikantinnen und Prädikanten, Lektorinnen und Lektoren solche oder ähnlichen Vorwürfe hören. Immer wieder wird uns das vorgehalten: „Es gibt für Sie scheinbar gute und weniger gute Menschen!“ - „Sie unterscheiden ja in Kirchgänger und Kirchenferne!“ - „Sind denn aber vor Gott nicht alle Menschen gleich?“ - Ich bin auch ganz sicher, dass sie - als kirchliche Menschen - auch hin und wieder ein solcher Vorwurf trifft! Ob das dann stimmt und berechtigt ist, wollen wir später fragen. Ich will heute einmal ein paar Gedanken zu diesen Dingen sagen. Der Predigtvorschlag für diesen Sonntag soll mir dabei helfen: Textlesung: Jh. 14, 15 - 19 Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben. Diesem Jesus, der hier spricht, könnte man auch vorwerfen, dass er die Menschen ausgrenzt und in solche und solche einteilt. Schon der Anfang: „Jesus sprach zu seinen Jüngern...“ Und: „Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben...“ Und noch schlimmer: „...den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie kennt ihn nicht.“ Hat Jesus auch Unterschiede bei den Menschen gemacht? Könnten wir Kirchenleute uns also auf ihn berufen, wenn wir vielleicht wirklich die Menschen nicht einen behandeln wie den anderen? Sehen wir uns Jesu Umgang mit den Leuten genauer an: Der heidnische Hauptmann, der in Kapernaum die Heilung seines Knechtes erbittet. Er hat gewiss nicht die Bedingungen erfüllt, die Jesus an einen frommen Menschen gestellt hätte! Ja, er hatte nicht die leiseste Ahnung von der Religion des jüdischen Rabbi, den er hier bemüht. Trotzdem: Jesus weist ihn nicht ab! Warum nicht? Ich denke, weil der Hauptmann alle Vorbehalte überwinden kann und so viel Vertrauen aufbringt, Jesus um Hilfe zu bitten. Schätzen wir das nicht gering! Da lagen Welten zwischen dem Hauptmann und Jesus! Welten und Grenzen! Eine andere Kultur, ein anderer Glaube, gegenseitige Verachtung der Römer und der Juden. Wir wissen: Der Hauptmann bekommt, was er will. Sein Schritt über die Grenze hat es möglich gemacht, dass ihm Jesus hilft. Er ist aus seiner Welt in die Welt Jesu eingetreten. Die blutflüssige Frau fällt mir ein: Sie berührt nur das Gewand Jesu und wird rein und heil. „Nur“? Nach damaliger Sicht hat sie sich gleich zweimal schwer damit vergangen! Sie litt am Blutfluss! Ihre Berührung machte jeden Berührten unrein und bedeutete langwierige Säuberungsprozeduren. Und dann: Jesus war ein Mann; den hätte sie auch als Gesunde nicht anfassen dürfen! Auch sie überschreitet Grenzen! Sie überspringt in einem waghalsigen Satz das Hindernis der gültigen Moral, die Barriere der ihr zugewiesenen Rolle als Frau, die Schranken der religiösen Vorschriften und ganz gewiss auch: ihre Angst! Sie tritt aus der Welt, die sie gefangen hielt, hinein in die Welt Jesu, die Welt der Freiheit, des Vertrauens und der Liebe. Und an Petrus muss ich noch denken: An die nachösterliche Geschichte, in der ihn Jesus fragt: Hast du mich lieb? Sie wissen, dreimal fragt er ihn das. Dreimal muss Petrus antworten: Ja, Herr, ich habe dich lieb! Petrus hatte sich in Schuld verstrickt. Er hat seinen Herrn dreimal verleugnet. „Du warst doch auch bei diesem Jesus von Nazareth?“, hatten sie ihn gefragt. Und er: Ich kenne diesen Menschen nicht. Dreimal die Lüge - und jetzt: Dreimal die Scham: „Hast du mich lieb?“ Aber damit ist sie auch überwunden, die Grenze, die von Schuld und Verleugnung des Petrus aufgebaut wurde. Seine Reue und seine Scham haben sie überschritten. Jetzt ist er wieder auf Jesu Seite: „Weide meine Lämmer!“ Jesus hat den Jünger zurückgeholt in seine Welt: „Hast du mich lieb?“ Noch einmal: Grenzt Jesus aus? Macht er Unterschiede zwischen den Menschen. Baut er Barrieren auf, um die Menschen aus seiner Welt fernzuhalten? Was ich sehe, ist etwas anderes: Die Grenzen sind da. Es gibt diese unterschiedlichen Welten aus Religion, Herkommen, Glauben, sozialer Schicht, Geschlecht oder gesellschaftlicher Achtung. Es gibt sie; Jesus leugnet sie nicht. Aber er hilft dabei, die Grenzen zu überwinden: Er ermutigt den Hauptmann dadurch, dass er mit ihm spricht, ihn nicht abweist. Er hilft der blutflüssigen Frau dadurch, dass er leutselig ist und unter die Menschen geht. Er macht es ihr in der Menge leicht, ihn zu berühren. Er ist ein Rabbi „zum Anfassen“ für sie. So kann sie heil werden. Und bei Petrus? Ihn ruft er hinüber in seine Welt, in seine Aufgabe an den Menschen: „Weide meine Lämmer!“ Petrus erfährt neu: Jesus kann ihn brauchen, will ihn haben für seinen Auftrag. So kann er aus Schuld und Scham hinübertreten in die Vergebung und ein Leben mit Jesus und für ihn. Erinnern wir uns an andere Geschichten. Durchaus nicht immer gelingt es den Menschen, aus ihrer Welt in die Welt Jesu zu wechseln: Der reiche Jüngling, der sich erkundigt, was er für Gottes Sache tun muss. Er bekommt die Auskunft: Verkaufe, was du hast und gib's den Armen; dann folge mir nach. Es heißt: Er ging traurig davon. Er war zu schwach, die Grenze zu überschreiten. Oder Herodes, Judas und Pilatus: Alle drei - auf ihre Weise - bleiben gefangen in ihrer Welt, in ihrem Denken, ihrer Schuld und ihren Plänen. Sie können nicht hinüber über die Grenze. Sie wagen nicht den Schritt in die Welt Jesu, in den Glauben, in das Vertrauen, nicht einmal ins Gewähren lassen. Sie müssen zerstören, was sie nicht begreifen, müssen töten, was ihnen zum wahren Leben geholfen hätte... Was heißt das nun alles? Jesus spricht zu seinen Jüngern: Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich werde meinen Vater bitten, dass er euch den Geist der Wahrheit gebe, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Grenzt Jesus aus? Nein! Jesus grenzt ab: Dort ist die Welt, hier seid ihr, meine Jünger. Und: Ihr, meine Leute, haltet meine Gebote und jene, aus der Welt, halten sie nicht. Ihr habt Vertrauen, Liebe, Glauben, Hoffnung - andere haben alles das nicht. So ist es. Das ist alles. Aber: So muss es nicht bleiben! Er ruft uns, dass wir eintreten in seine Welt: „Kommt her zu mir alle!“ Er lädt uns ein, die Grenzen zu überspringen. Und wo er schweigt, da kann doch ein Entschluss der Menschen alles wenden: Ich will mich aufmachen und zu Jesus gehen und ihn bitten, oder: Ich will ihn berühren, ihn anfassen, dass er mich gesund macht. Die Grenzen sind da. Sie werden nicht erst aufgerichtet. Aber sie können überwunden werden. Von daher will ich jetzt auch auf alle Fragen antworten, die uns Pfarrerinnen und Pfarrern und ähnlich ja auch uns kirchlichen Leuten immer wieder gestellt werden: „Grenzen sie nicht bestimmte Menschen aus?“ - Viele grenzen sich selber aus. Sie wagen den Schritt nicht in die Gemeinde, zum Gottesdienst, in den Bibelkreis. Oft spotten sie noch über die Dinge, die uns und vielen wichtig sind. Und es könnte sie befreien und zum Leben führen, wenn sie ihre enge Welt verlassen würden...mit einem mutigen Sprung. - „Gibt es für sie nicht „gute Christen“ und „Weltmenschen“? - Ei freilich, gibt es die! Aber doch nicht wir machen sie dazu, sondern sie sich selbst! Schlimm wäre es, wenn wir wirklich auf die „Welt“ herabsehen würden, wenn wir sie nicht immer wieder und wieder einladen würden zur Kirche und in die Welt des Glaubens. Schlimm wäre es, wenn wir nur noch mit den „guten“ Christen arbeiten würden und die anderen kalt abschreiben. Aber die Unterschiede sind doch da! Und daher kommen ja doch gerade unser Wille und der Auftrag, auch die anderen über die Grenze zu bitten, zu laden und auch einmal zu ziehen! - „Sie unterscheiden ja Kirchenferne und Kirchgänger!“ - In der Tat, das tun wir! Und wir unterscheiden auch Menschen, die der religiösen Entwicklung ihrer Kinder im Wege sind und die sie fördern. Und wir sehen auch die Männer und Frauen, die ihre Ehe im Sinne Jesu Christi führen und jene, die das nicht tun. Aber es ist doch nicht unser Fehler oder unsere Verantwortung, dass wir das alles tun! Unsere Schuld und Verantwortung wäre es aber, wenn wir aufhörten, die Menschen zu rufen, sie zu warnen und zu mahnen, sie zu bitten und zu laden... Denn wir wissen von einer Welt, die besser ist und von einem Glauben, der befreit und dem Leben Sinn gibt. In dieser Welt herrscht Jesus Christus. Der Weg dahin mag auch einmal ein Sprung sein oder eine Anstrengung. Vielleicht führt er auch über eine kleine oder größere Mühe - aber sie lohnt sich doch! Noch einmal: Es gibt die Unterschiede zwischen den Lauen und den Christen. Es gibt Menschen, die Jesus zum Herrn haben und solche, die ihn ablehnen. Wir wären ja dumm, wenn wir das nicht wahrnehmen wollten. Es gibt aber auch die Möglichkeit, den Schritt über die Grenze zu tun, von der Enge eines gottfernen Lebens in die Weite der Glaubenswelt zu treten. Dazu hat Jesus eingeladen und gerufen. Dazu hat er den Menschen auch geholfen. Das - nicht mehr und nicht weniger - dürfen wir auch tun. Aber wir sollen uns nichts vormachen! Wir wollen die Welt sehen, wie sie ist. Mit ihrer Schuld, ihrer Unzulänglichkeit, mit dem Bösen und Hässlichen, das es in ihr gibt. Wir wollen nicht ausgrenzen, aber klar sagen, wo die Grenze verläuft. Dann wollen wir hinüberrufen und mit Gottes Kraft hinüberhelfen. Wir wollen uns dazu erbitten, was Jesus uns allen verheißt: Ich will den Vater bitten, dass er euch den Geist der Wahrheit gebe, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich lebe, und ihr sollt auch leben! AMEN