Predigt zum Sonntag „Okuli“ - 24.3.2019 Textlesung: Jer. 20, 7 - 13 (Auszug) HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark geworden und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; „Frevel und Gewalt!“ muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Da dachte ich: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. Liebe Gemeinde! Ja, wenn ich jetzt vor Predigerinnen und Propheten stünde! Da wüsste ich, was ich sagen müsste und sagen könnte! Aber so. Wer von Ihnen kann denn von sich behaupten, dass er von Gott zum Predigen überredet worden wäre? Wer hätte denn erlebt, dass Gott ihm einfach zu stark geworden ist, so dass er oder sie den Frevel und die Gewalt in der Welt und unseren Beziehungen hätte anprangern müssen, oder wer hätte je in seinem Herzen das lodernde Feuer verspürt, das da heißt: Ich muss Gottes Größe rühmen, ich muss von ihm erzählen, ich muss seiner Sache in der Welt Gehör verschaffen...weil ich sonst vergehe, weil ich schier sterbe an dem, was ich da in mir verschließen will. Wer von uns hätte solche Erfahrungen? Und wenn wir sie hätten, diese Erfahrungen!? Müsste ich dann nicht warnen, sich allzu sehr darauf einzulassen? Müsste ich nicht warnen, dass man sich besser hütet, die „lodernden Flammen“ überhaupt erst aufkommen zu lassen? Ist das denn eine Aussicht, die irgendjemand verlocken könnte, sich auf Gottes Botschaft einzulassen, wenn es heißt: Ich bin über Gottes Auftrag zum Hohn und zum Spott geworden, jedermann verlacht mich? Wie gesagt: Wenn ich nun vor Menschen stünde, deren Beruf es ist zu predigen und zu verkündigen, dann könnte ich mit meiner Predigt vielleicht anknüpfen an solchen Erlebnissen mit Gottes Sache - aber so? Wieder einmal könnte ich jetzt - wie es aussieht - von der Kanzel gehen und mich setzen. Nicht Ihr Thema, so scheint es. Vielleicht der richtige Text aber nicht die richtigen Hörer. Oder auch der falsche Text und die richtigen Hörer. Es bleibt sich gleich. Wieder einmal aber bleibe ich hier oben und will doch versuchen, Ihnen diese Worte des Jeremia nahe zu bringen - auch wenn Sie keine Prediger und Propheten sind. Warum? Weil ich glaube, dass Sie solche inneren Kämpfe auch kennen, wie sie Jeremia führt und hier so eindrücklich beschreibt. Ich behaupte: Auch in Ihnen spielt sich oft ein Ringen zwischen unterschiedlichen Kräften und Interessen, Wünschen, Sehnsüchten und Bedürfnissen ab. Und dieser Kampf ist manchmal schon lebenslang. Und er reicht oft bis zu unserer letzten Stunde. Und wir erfahren dabei Dinge, die nicht weniger schlimm für uns sind, als würde ein Feuer in unserem Herzen brennen oder als müssten wir gewaltige Mächte in uns niederhalten, die aus unserer Seele ausbrechen wollen. Und ich behaupte noch etwas: Auch Gott, seine Aufgabe für und sein Auftrag an uns ist an diesem inneren Ringen beteiligt. Ja, mehr noch: Ich glaube fest, manchmal tobt dieser jahrelange Kampf in uns nur deshalb, weil wir nicht gehorchen wollen, weil wir uns nicht endlich geschlagen geben, weil wir nicht irgendwann so sprechen wie Jeremia: „HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark geworden und hast gewonnen.“ Es ist ja doch derselbe Gott, der Jeremia offenbar so angeht, ja angreift, dass er sich nicht länger wehren kann. Es ist ja doch derselbe Gott, der auch mit uns seinen Plan hat, der auch uns von einem falschen Weg abbringen und endlich auf den richtigen Weg führen will. Und es ist spürbar derselbe Gott, der sich beim Angriff auf seine Menschen auch harter Mittel, auch der Überredung und schmerzhafter Waffen bedient: Der Gewalt des Gewissens, des Drucks unserer innersten Überzeugung, des Feuers unserer Scham und der Angst vor dem Versagen angesichts seines Auftrags. Aber reden wir nicht nur über solche Erfahrungen. Lassen wir die Erfahrungen selbst reden und Menschen, die sie gemacht haben. Und ich will ausdrücklich einmal nicht solche Menschen zu Wort kommen lassen, die sich vielleicht von einem sündigen Leben im Rotlichtviertel einer Großstadt zu einem aufopferungsvollen Klosterleben bekehrt haben. Oder die auf andere Weise von einem Saulus zu einem Paulus geworden sind. Auch das gibt es, daran wollen wir nicht zweifeln. - Ich will zwei Menschen sprechen lassen, die so sind wie wir, ja, die vielleicht wir sein könnten. - Der erste ist ein Mann, den die furchtbaren Erlebnisse nach dem letzten großen Krieg jahre- und jahrzehntelang verfolgt und beschäftigt haben. Er spräche mit uns so: Ich bin Jahrgang 1935, in Breslau geboren. Mein Vater ist aus russischer Gefangenschaft nicht zurückgekehrt. 1945 sind meine Mutter und ich in den Westen geflohen. Ich habe auf der Flucht schreckliche Dinge gesehen, von denen ich gar nicht erzählen kann. Die Zeit im Auffanglager an der bayrischen Grenze war geprägt vom Überlebenskampf der Menschen, die alles verloren hatten und für meine Mutter – ohne einen Mann an ihrer Seite – besonders hart. Von da an war ich von der einen Überzeugung wie ausgefüllt: Es ist kein Gott im Himmel! Es kann keiner sein! Wer das gesehen hat, was ich gesehen habe, wer den Hunger und die Entbehrung am eigenen Leib erfahren hat, dem musste Gott absolut fremd, unbegreiflich und dunkel werden. Und so ging es mir. Damals. Und Gott war für mich tot, über zwanzig Jahre lang, jedenfalls dachte ich das. Aber dann - ich könnte genau noch den Tag und die Stunde sagen - dann kam ein Erlebnis, das für mich so hell war, so überwältigend, so wunderbar auch... Ich will es deutlich sagen: Ich bin damals an einer bösen Geschwulst operiert worden. Ich war schon fertig mit dem Leben, denn man hatte mir gesagt, wie schlimm es um mich steht. Aber der Eingriff war erfolgreich - wider alles Erwarten. Es kam der Tag, von dem ich eben sprach: Der Arzt trat an mein Bett und hat die Worte gesprochen: „Sie sind über den Berg. Ihre Chancen sind gut!“ - Mir ist über diesen Worten nicht nur mein Glaube wiedergeschenkt worden, ich habe auf einmal auch gefühlt und mich erinnert, dass Gott schon all die Jahre in mir gearbeitet, gerungen und um mich gekämpft hat. Er hat mich nie losgelassen, wenn ich ihn auch totgesagt hatte. Er hat in mir gedrängt und mir immer wieder kräftig auf die Schulter getippt - dass ich ihn nie ganz vergessen konnte, dass ich immer wieder suchen und nach ihm fragen musste. An diesem Tag, an dem mir das Leben wiedergeschenkt wurde, ist er mir zu stark geworden. Seitdem weiß ich, dass nicht nur wir nach Gott suchen müssen - er sucht auch nach uns und er treibt uns und lässt uns nicht in Ruhe, bis er uns überwindet. Ich bin dankbar dafür! Der zweite Mensch, den ich sprechen lasse, ist eine Frau von heute 45. Sie erzählt uns diese Geschichte: Stellen sie sich vor, ich war schon zehn Jahre im Beruf. Ich war das geworden, was ich mir als junger Mensch immer gewünscht hatte: An einem Schreibtisch, in einem Büro... Ich habe gutes Geld verdient damit und mein Arbeitsplatz war krisenfest und unkündbar. Dann habe ich alles hingeschmissen. Von einem Tag auf den anderen. Alle haben sie mir gesagt: Du bist verrückt! Das kannst du nicht machen. In deinem Alter nochmal umschulen. Und ohne Not. Denk' doch an deine Familie. Das ist doch verantwortungslos, was du machen willst. Aber sie haben ja nichts gewusst von dem, was da schon seit langem in mir los war. Diese Stimme, die mir immer wieder zurief: „Ist das jetzt dein Leben? War das dein Ziel, deine Bestimmung, die Aufgabe, für die sich dein Leben lohnt?“ Und sie haben nichts gewusst von diesen schrecklichen Stunden, in denen immer nur dieser eine Gedanke in mir war und groß und größer und immer bestimmender und mächtiger wurde: Du musst mit Menschen arbeiten. Menschen brauchen dich, gerade dich mit deinen Gaben, deine Zuwendung, deine Hilfe. Ich habe dann noch einmal angefangen. Umschulung zur Altenpflegerin, zwei Jahre lang. Ein völlig unterbezahlter Beruf. Ich habe mich finanziell sehr verschlechtert. Aber die Arbeit selbst, die ich jetzt auch schon über zehn Jahre tue! Ein reicher Lohn, jeden Tag! Der Dank in den Augen der alten Leute, die mir heute anvertraut sind! Diese unausgesprochenen Worte, die ich in den Gesichtern lese: „Was würden wir tun, wenn es dich nicht gäbe!“ Es hat keine Stunde gegeben seitdem, in der ich meinen Entschluss bereut hätte! Und ich weiß heute, dass davor schon jahrelang einer in mir gewirkt hat, mich beharrlich angestoßen hat, ja, dass er das gewesen ist, der mich hat so unzufrieden sein lassen, bis ich endlich gefolgt habe. Das war Gott in meinem Innern! Er ist stark gewesen und hat nicht locker gelassen. Und er hat gewonnen. Und ich bin ihm dankbar! Liebe Gemeinde, auch in uns toben solche Kämpfe. Gott ringt auch um uns. Auch mit harten, manchmal schmerzhaften Mitteln. Er setzt unser Gewissen ein. Die Angst sogar. Die Scham vielleicht. Oder dass wir einfach nie zufrieden sein können, so gut es uns auch geht. Aber es ist allemal besser für uns, was Gott erreichen will. Lassen wir uns darum von diesen beiden kleinen Lebensgeschichten dazu bringen, dass wir einmal genauer als sonst hinhören, hineinhören in uns. Nehmen wir wahr wie Gott - vielleicht schon lange - in uns arbeitet, uns zurückführen will zum Glauben an ihn, uns einen Gedanken wieder und wieder vorhält, das Feuer einer bestimmten Sehnsucht in uns anzündet und nicht mehr verlöschen lässt. - Es ist unser Gott, der da wirkt! Es kann das Glück unseres Lebens sein, endlich zu gehorchen! Welch ein Segen, wenn wir uns endlich geschlagen geben und bekennen: „HERR, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark geworden und hast gewonnen.“ AMEN