Predigt zum Sonntag „Estomihi“ - 3.3.2019 Textlesung: Lk. 18, 31 - 43 Es begab sich aber, als er in die Nähe von Jericho kam, dass ein Blinder am Wege saß und bettelte. Als er aber die Menge hörte, die vorbeiging, forschte er, was das wäre. Da berichteten sie ihm, Jesus von Nazareth gehe vorbei. Und er rief: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Die aber vornean gingen, fuhren ihn an, er solle schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Jesus aber blieb stehen und ließ ihn zu sich führen. Als er aber näher kam, fragte er ihn: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Er sprach: Herr, dass ich sehen kann. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das es sah, lobte Gott. Liebe Gemeinde! Es scheint so einfach mit dem Glauben dieses Menschen: Der Bettler schreit. Jesus bleibt stehen und lässt sich zu ihm führen. Jesus fragt: Was willst du? Der Bettler antwortet: Dass ich sehen kann. Und Jesus: Sei sehend! Und der Bettler sieht. - Es scheint so einfach mit dem Glauben dieses Menschen - und es ist doch so schwer! Nicht allein, dass sie ihn anfahren: Halte den Mund! Nicht nur, dass er blind war und erst erfragen musste, wer da vorbeigeht. Aber dieses Vertrauen! „Ja, ich glaube, dass du mich sehend machen kannst! Ich will, dass du mir die Augen öffnest, denn du hast die Macht dazu! Ich weiß, du kannst Blinde heilen, du bist die Chance meines Lebens, du bist mir von Gott gesandt, mach' mich gesund!“ Und Jesus tut es, kann es tun - weil der Blinde ihm diese Kraft zutraut: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Es scheint so leicht mit dem Glauben, mit dem Vertrauen, dass Jesus und seine Macht in ein Leben kommt...aber es ist so schwer! Da ist ein anderer Mensch, in unserer Zeit. Ein Mann in den mittleren Jahren. Er hat eine gute Stellung. Jeden Morgen um acht fängt er an. Um halb fünf fährt er wieder nach Hause. 13. Monatsgehalt und zweimal im Jahr Urlaub - selbstverständlich! Aber Sinn empfindet er nicht dabei. So wie es jetzt geht in seinem Leben, ging es schon vor 20 Jahren. Und so wird es weitergehen bis zum Rentenalter. War das dann das Leben? Er müsste etwas finden, bei dem er spürt: Ich bin unentbehrlich! Das müsste mit Menschen zu tun haben. Jemand, der ihn braucht, einer, dem er leben hilft, einer, der ihm sagt: Wenn ich dich nicht hätte! Ganz in seinem Innern fühlt der Mann: Das ist genau, was Jesus von seinen Leuten verlangt. „Für andere Menschen da sein!“ Aber dieser Auftrag ist so unbestimmt. Und außerdem hat er so gar keine rechte Verbindung mehr zu diesem Jesus und dem Glauben. Damals, in der Konfirmandenzeit, da hat ihn die Sache der Christen sehr begeistert. Wie lang ist das her! Wie soll man daran anknüpfen? Andererseits: So kann es auch nicht weitergehen! Dieses öde Leben! Die Tage, die so lang und leer sind. - Gestern hat er von dem alten Mann in seiner Straße gehört: Da wäre einer nötig, der hie und da einen Besuch macht oder eine Besorgung oder ihn einmal zum Arzt fährt. Der Alte ist viel allein, einsam und hilflos. Da wäre die Aufgabe. Wie macht man den Anfang? Soll man überhaupt? - Liebe Gemeinde, ich glaube, hier geht Jesus in unserer Zeit bei diesem Mann vorbei. Er hat die Kraft, gesund und heil zu machen. Der Mann müsste nur rufen und Jesus würde antworten: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Und dann könnte der Mann sagen: „Herr, ich bitte dich um Mut, die Aufgabe zu erfüllen, die du für mich hast. So - wie es ist - kann es nicht weitergehen. Ich bitte um Sinn, dass ich weiß, wofür ich da bin!“ - Es scheint so einfach... Da ist eine alte Frau. Sie wird bald am Ende ihrer Lebensreise sein. Es gab viel in ihren Jahren, das sie jetzt bedrückt. Ungeklärte Beziehungen, offene Schulden, Menschen, die sie verletzt hat und bei denen sie um Vergebung bitten müsste. Noch könnte sie manches tun: Einen Anruf am Telefon, ein Besuch, eine Einladung, einen Brief schreiben... Wo fängt sie an? Und dann: Manche leben gar nicht mehr, denen sie einmal Unrecht getan hat, andere sind ihr unerreichbar; sie hat sie aus den Augen verloren. Doch: Sie glaubt an Vergebung der Schuld! Sie weiß, sie kann davon frei werden, wenn sie nur das ihre dazu tut: Hingehen, sprechen, bitten... Ich glaube, auch bei ihr geht Jesus vorbei. Er könnte ihr helfen: „Was willst du, dass ich dir tue?“ - So könnte sie antworten: „Herr, dass ich die Kraft kriege, meine Verhältnisse zu klären, alte Schulden zu begleichen, soweit das möglich ist, und, Herr, steh' du mir dann für den Rest ein, der bleibt!“ - Es scheint so einfach... Und da ist auch noch ein Jugendlicher, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt: Diese Zeit will ihn abspeisen mit Sachen. Der Computer und das Smartphone, die teuren Klamotten, die angesagten Turnschuhe sind die Dinge, von denen er glaubt, dass man sie haben muss. Die Jugendlichen und die Erwachsenen in seiner Umgebung leben ihm vor, worauf es - scheinbar - ankommt: Es zu etwas bringen, etwas aufbauen, etwas vorzeigen können an Geld und Gut. Selbst die Eltern kennen keine anderen Werte. Die Arbeit und der Verdienst waren immer wichtiger als das Spiel und das Gespräch mit den Kindern. Nur zu oft wurde er alleingelassen. Nur zu oft musste er hören: „Dazu habe ich jetzt keine Zeit!“ Aus der Konfirmandenstunde hat er noch im Ohr: Jesus Christus ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und eine Ahnung hat er auch, dass sein Weg nicht das Leben ist, jedenfalls keines, das zufrieden oder satt macht... Er will raus aus der Bahn, die ihm vorgezeichnet scheint. Seine Wahrheit aber ist, dass er keine Kameraden hat, die ihn hier verstehen, keine Eltern, die ihn dabei unterstützen, keinen Menschen in seiner Nähe, der begreifen wird, was er meint, wenn er sagt: „Das Mofa, die Lehrstelle, das Auto später und der Arbeitsplatz, das Geldverdienen und das Weiterkommen kann doch nicht alles sein, das kann doch nicht das wirkliche, das volle Leben und das wahre und ganze Glück bedeuten! Ich glaube, auch bei diesem Jugendlichen geht Jesus vorbei. Er würde hören, wenn der Junge schreit: „Hilf mir! Mach' mich stark, dass ich nicht in die falsche Richtung gehe! Zeig' mir den Weg, schenk' mir die Wahrheit, gib mir ein Leben, das satt macht und zufrieden, und vor allem, geh' mit mir, dass ich standhaft bleibe und den Versuchungen unterwegs widerstehen kann!“ - Er müsste nur schreien! Es scheint so einfach... Liebe Gemeinde, ...und es ist doch so schwer! Dem Bettler damals wollten sie den Mund stopfen: „Sei still! Schrei' nicht so!“ Dem Mann, von dem ich sprach, steht im Weg, dass er den Abstand zum Glauben und zu Jesus hat so groß werden lassen. Die alte Frau zögert, ihre Vergangenheit zu bereinigen, weil sie ja doch „nicht mehr alle erreichen kann“, die sie um Vergebung bitten müsste. Der Junge hält sich für zu schwach, den rechten Weg zu gehen, und er sieht keine Hilfe. - Es ist so schwer! Aber dennoch: Sie müssen nur schreien! Der blinde Bettler damals, als der Herr vorbeikam: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Der Mann, die alte Frau und der Junge im Gebet: „Hilf mir bei dem, was ich tun muss. Gib mir die Kraft, die ich brauche, Jesus!“ Der Herr geht vorbei. Aber er muss hören und sehen, wo wir sind. Wir müssen schreien, wenigstes rufen, wenn er zu uns kommen soll. Dann wird er fragen: „Was willst du, was ich für dich tun soll?“ Und dann können wir ihm unsere Not schildern. Ich bin sicher, dann hilft er: „Sei sehend! Hier, nimm die Kraft, die du für den Anfang brauchst. Da, empfange die Vergebung der Menschen und von mir. Ich will mit dir gehen, sei stark genug, in meiner Spur zu bleiben!“ - „Dein Glaube hat dir geholfen!“ Ja, ich denke, es ist der Glaube, der Jesus anruft und von ihm Hilfe erbittet. Es ist nicht erst ein Glaube, der zählt, wenn ich hinterher sagen kann, Jesus hat mir geholfen. Als ich über diese Dinge länger nachgedacht habe, ist mir aufgegangen: Dieser Herr hat noch so viele Möglichkeiten, an uns und unserem Leben „vorüberzugehen“. Und das geschieht auch immer wieder: Der Wandspruch im Krankenzimmer, auf den neulich mein Auge gefallen ist. Das gute Wort bei der Beerdigung vor Wochen, das ich nicht mehr vergessen konnte. Der Unglücksfall in meiner Familie, der mich so erschüttert hat. Die plötzliche Erkenntnis gestern, dass in meinem Leben viel nicht in Ordnung ist. Die unerwartete Freude vor ein paar Tagen, die mir gezeigt hat, dass es noch mehr in meinem Leben geben kann, als ich dachte. Mein Versagen in dem, was ich mir zum Jahreswechsel vorgenommen hatte, das mich jetzt so quält. Die Erfahrung von Einsamkeit und Angst, die mich nach neuen Beziehungen und Gemeinschaft suchen lässt. Die offene Äußerung meines Nachbarn kürzlich, die mich so verletzt hat, die aber doch ehrlich und zutreffend war. Jeder von uns mag hier noch hinzufügen, wo Jesus zuletzt an ihm und seinem Leben vorbeigekommen ist. - Haben wir dann auch gerufen: „Jesus, erbarme dich meiner?“ Haben wir die Gelegenheit genutzt oder fürchteten wir die Folgen, wenn er dann wirklich hört und vor uns hintritt und sagt: „Was willst du, das ich dir tun soll?“ Wir dürfen das nicht verharmlosen! Es ist schwer nach ihm zu rufen! Vielleicht sagen sie uns auch: „Sei doch still!“ Vielleicht sind wir von uns aus zu ängstlich oder machen uns schwere Gedanken, was ein Leben mit diesem Herrn kosten könnte. Vielleicht denken wir ja auch, wir wären doch gar nicht würdig genug, dass er zu uns kommt und nach uns fragt. Zu dem blinden Bettler ist Jesus damals hingegangen. Er musste nur schreien - schon hat Jesus gehört. Er war nicht zu wenig, dass der Herr ihn nicht gefragt hätte: „Was willst du, dass ich dir tun soll.“ Ich wünsche uns den Mut, Jesus zu rufen, wenn er das nächste Mal bei uns vorbeigeht. Das kann morgen sein. Das kann in einer Woche sein. Das kann jetzt sein - in diesem Gottesdienst. Zu dem Bettler hat Jesus gesagt: „Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen.“ Unser Glaube ist der Mut, Jesus in unser Leben zu rufen. Er wird stehenbleiben und uns hören, zu uns kommen und uns helfen. AMEN