Predigt am Altjahrsabend - 31.12.2018 Die Ansprache kann von einem, zwei oder mehreren SprecherInnen gehalten werden! Lassen wir uns einstimmen in die Gedanken dieser Predigt durch Verse aus dem Johannesevangelium: Textlesung: Jh. 8, 31 - 36 Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig. Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei. Liebe Gemeinde, „frei werden“, das wollen wir auch. Frei wovon? Von allen Lasten, die uns auf der Schulter liegen und die wir heute an die Schwelle des kommenden Jahres tragen. Von der Sorge und Sorglichkeit, wenn wir an das morgen beginnende Jahr denken. Und von manchen Ängsten, die uns quälen: Vor dem, was geschehen kann, vor dem Leid, der Trauer oder der Krankheit, die auf uns warten. (Bei nur einem Sprecher: Ichform wählen.) Wir wollen heute etwas dazu helfen, dass wir vielleicht von alldem frei werden. Wir möchten helfen, dass wir fröhlich und mit festen Schritten hinübertreten können. Wir wollen etwas für unseren Glauben tun, das Vertrauen stärken und Ihnen und uns Hoffnung schenken. Wir möchten ihnen heute Abend ein Bild vor Augen malen, das Bild eines Hauses mit vielen Türen und vielen Zimmern, die hinter diesen Türen liegen. Es ist das Bild unseres Lebens, das wir Ihnen malen. Wir gehen durch dieses Haus mit den vielen Räumen, wir öffnen eine Tür nach der anderen, 60-, 70-, 80- oder gar 90mal tut sich eine neue Tür auf für uns...wenn Gott will. Wir durchschreiten die unbekannten Zimmer dahinter. Wir nehmen in uns auf, was jeder Raum an Schönem und Schwerem für uns bereithält. Wir halten uns ein ganzes Jahr in ihm auf und stehen dann, wenn wir alles im Zimmer kennengelernt und erfahren haben, an einer weiteren Tür. Heute Nacht soll sie sich öffnen, die Tür zum neuen Jahr. Aber wir zögern noch. Was werden wir sehen, wenn sich der Türspalt weitet? Wird der neue Raum Glück und Freude bereithalten? Wird Trauer und Schmerz auf uns warten? Wem werden wir begegnen? Von wem werden wir Abschied nehmen müssen? Und die bedrängendste Frage: Wird auf der anderen Seite des Zimmers für uns noch eine weitere Tür sein? Schauen wir uns, bevor wir die nächste Tür öffnen und über die Schwelle gehen, noch einmal in dem Zimmer um, das wir bald verlassen werden. Es ist gut, wenn man den Blick noch einmal schweifen lässt und noch dies und das der Erinnerung einprägt und vielleicht in Gedanken mitnimmt oder geordnet zurücklässt, bevor man das Neue betritt. Ganz hinten, auf der anderen Seite des Raums, den wir verlassen wollen, stehen all die guten Vorsätze, die wir vor 12 Monaten gefasst haben. Dies und das wollten wir lassen. Diesen oder jenen wollten wir besuchen. Ja - so war es unser wichtigster Vorsatz - unser ganzes Leben sollte mehr Tiefe bekommen. - Was ist wahr geworden davon? Wir hatten vor, mehr aus dem Wort Gottes heraus zu leben, zu denken, zu arbeiten, zu entscheiden... Wir wollten ihm, unserem Gott, endlich bei uns mehr Platz und mehr Bedeutung einräumen. So wie es ihm ja auch zusteht. Das wirklich Wesentliche sollte uns groß werden und nicht so sehr die eigenen Interessen, die äußerlichen Dinge, der Kram dieser Welt... Unseren Eigensinn wollten wir zurückdrängen, unsere ewige Ichsucht... Ein bisschen mehr für andere leben wollten wir, Frucht tragen für die Nächsten, die Menschen in unserer Nähe und in der Ferne auch. Was hat sich davon erfüllt? Was hat uns wirklich von diesen Vorsätzen durch die vergangenen 365 Tage bestimmt und begleitet? Dort drüben, mitten im Licht des Raumes, erkennen wir auch all die frohen Erlebnisse des vergangenen Jahres; die hat es ja auch gegeben. Die gelungenen Stunden, die Freude, das Glück: Die Erfahrungen der Liebe zu einem Menschen, die guten Worte, die wir gewechselt haben, die Hilfe, die uns zuteilwurde, der überraschend gute Ausgang einer Sache, die uns erst so viel Sorgen gemacht hat. Die Zusage, die unsere berufliche Zukunft öffnete, das gesunde Kind, der Enkel, der uns geschenkt wurde... Dorthin, wo all diese schönen Dinge stehen, schauen wir gern. Das hat uns froh gestimmt, unser Herz leicht und frei gemacht. Tage waren das, an denen wir gern lebten und glücklich waren. - Haben wir eigentlich immer für alles gedankt, was wir da empfangen durften? War uns das ein Lob des Gebers aller guten Gaben wert, oder ist uns vieles davon nicht als unser eigenes Verdienst erschienen?: Erfolge, die uns doch zustanden, unsere Arbeit, unsere Leistung! Und wenn es doch anders war bei uns, wo hat uns die Dankbarkeit so bewegt, dass wir dann weitergeschenkt haben, was wir erhalten hatten? Aber hat der Geber aller guten Gaben nicht vielleicht gerade das bei uns erreichen wollen: Dass wir weiterschenken, was er uns gibt? Ja, waren wir ihm das nicht eigentlich schuldig, dem Gott aller Güte, dem Herrn unseres Lebenshauses, dem Herrn jedes Raumes darin, den wir durchschreiten, dem Herrn unserer Jahre? Da drüben, an diese düstere Wand, haben wir all die schlimmen, belastenden Erlebnisse des vergehenden Jahres gestellt. Dorthin zu blicken fällt uns nicht leicht. Das war die schwere Zeit, in der es uns so schlecht ging, wo wir nicht wussten, wie es weitergehen soll, wo es uns fast die Luft abgedrückt hat und unser Glaube bald dem Zweifel gewichen wäre. Dort sind auch all die bösen Momente des vergangenen Jahres: Die Minuten der Angst, die Stunden der Schwermut, die Augenblicke des Ärgers, des Zorns, der Wut... In jedem Raum, den wir bis heute durchmessen haben, blieb auch Schlimmes und Dunkles zurück. Immer war das so. Aber: Wollten wir nicht auch das Schwere aus der Hand Gottes nehmen? Wollten wir nicht alles, was uns widerfährt, vor ihm bedenken, seine Stimme darin hören, die Winke seiner Hand erkennen? Und wollten wir nicht alles, was wir erleben, auch im Gebet vor ihm ausbreiten, vor seinem Wort prüfen und darin Hilfe und Weisung empfangen? - Wieviel von alledem, was wir vorhatten im vergangenen Jahr, ist wahr geworden? Oder - wie wenig? „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ - Wieder stehen wir an einer neuen Tür. Bald soll sie sich auftun. Was werden wir hinter ihr erblicken? Es wird auch von uns selbst abhängen, was uns der neue Raum bringt. Immer war es ja unsere Trägheit, unser rasches Vergessen, wenn Vorsätze, die wir doch hatten, nicht Wirklichkeit wurden. Immer ist es ja unser Undank, unser Stolz gewesen, wenn wir kein Lob des gütigen Gebers über die Lippen brachten. Und immer war es unser starres Beharren: „Ich lebe von dem, was ich selbst leiste!“, wenn wir nicht auf Gottes Stimme geachtet und die Hände nicht gefaltet haben. Ja, wir haben den Raum, den wir jetzt verlassen, mitgestaltet. Was jetzt zurückbleibt - viel, ja, das meiste daran, ist unser Werk und Wollen gewesen. Auch unsere Schuld, die uns jetzt so anhängt, dass wir sie kaum zurücklassen können - durch uns gemacht, von uns begangen! Gewiss, viel tritt uns entgegen in so einem „Lebens-raum“, viel ist Geschick, viel kommt aus Gottes Hand und aus seinem Plan. Aber es trifft auf unser Wollen, unsere Freiheit, die wir ja auch sehr wohl behaupten! Und dabei entsteht dann das Böse, das gottlose Tun, die Schuld... Und so wird es hinter der nächsten Tür wieder sein: Wir werden Dinge, Erfahrungen und Erlebnisse vorfinden - aber wir werden es sein, die mit ihnen umgehen, ihnen begegnen und mit ihnen fertigwerden müssen. Und wir können das im Glauben, im gehorsamen Vertrauen zu Gott - oder wir werden es selbst machen wollen, aus eigener Kraft, ohne nach Gott zu fragen. Alles ist noch unbestimmt und offen hinter der Schwelle zum Neuen. Nichts ist schon festgelegt. Wir werden mitspielen, mitarbeiten, mitwirken... Nur das eine ist fest: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Der Herr des Hauses, der uns in seiner Güte heute Nacht einen neuen Lebens-raum öffnet, will bei allem mit dabei sein! Er bietet uns heute seine Hand zur Begleitung an. Er schenkt uns heute die Möglichkeit, seine Jünger und Jüngerinnen zu werden, schenkt uns neue Chancen, seine Wahrheit zu begreifen, gibt unserem Leben einen neuen Anfang. Das kann nun das Jahr sein, in dem Vorsätze wahr und wirklich werden: Heute können wir den ersten Schritt in eine Zukunft tun, in der wir in Dank und Bitte des täglichen Gebets vor ihm leben. Das kann das Zimmer unseres Hauses werden, in dem wir die tiefsten Erfahrungen machen, die wesentlichen Entscheidungen treffen, die beglückendsten Erlebnisse haben. Alles ist noch offen hinter der Tür. Es kommt so viel darauf an, was wir mit dem, was wir vorfinden, tun, mit welcher Haltung wir ihm begegnen. Die Güte unseres Herrn, seine Gnade und Geduld werden uns helfen! Wir haben die Klinke schon in der Hand. Bald - nur noch Stunden - werden wir sie herunterdrücken. Lasst uns jetzt alles, was uns so befangen und ängstlich macht, an der Schwelle ablegen: die Zweifel, ob es wohl im kommenden Jahr besser werden kann mit uns und unserem Leben. Die furchtsamen Erwartungen, was der neue Raum wohl an Schwerem und Bedrängendem bereithalten mag. Auch das Urteil über uns selbst: Ich kann mich doch nicht mehr ändern. Auch die Schuld, die wir im vergangen Jahr aufgehäuft haben. Gott vergibt sie uns. Lassen wir das alles jetzt an der Schwelle abfallen von uns. Es soll uns nicht mehr belasten. Wir sind frei! Wir treten ein in den neuen Raum unseres Lebens und danken Gott: 365 Tage misst das Zimmer. An jedem Tag will unser Herr bei uns sein vom Morgen bis zum Abend. Mit ihm können wir den neuen Raum ganz getrost betreten und durchschreiten. Ihm gehört das ganze Haus. Aber er hat es uns überlassen für die Jahre unseres Lebens. Es wird an uns liegen, ob wir ihm den Platz darin geben, der ihm zusteht! Wo er mit uns lebt und arbeitet, da weicht alle Furcht. Es ist ein sicheres Gehen an seiner Seite. Auch unsere Schuld, die wir uns immer wieder aufladen, schleppen wir nicht allein. Er nimmt sie uns ab, wenn wir ihn bitten. Auch wenn wir im kommenden Jahr wieder dunkle Stunden erfahren müssen, werden wir nicht allein sein. Mit der Hilfe Gottes können wir alles bestehen, was uns erwartet. Und selbst wenn wir aus diesem Haus in ein anderes gehen müssen, verlässt er uns nicht. Er begleitet uns und hat das neue Haus schon bereitet - durch Jesus Christus, unseren Herrn, der uns heute zusagt: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ AMEN