Predigt am Vorl. So. im Kirchenjahr - 19.11.2000 Textlesung: Offb. 2, 8 - 11 Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden: Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut - du bist aber reich - und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern sind die Synagoge des Satans. Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten To- de. Liebe Gemeinde! Ganz gewiß war es besonders ein Vers, der uns jetzt im Ohr geblieben ist; und er klingt in unserem Herzen auch immer noch nach: "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens ge- ben." Und das ist auch ein wunderschönes Wort. Sehr tröstlich, sehr anrührend! Und es sind sicher jetzt einige Menschen unter uns, in deren Leben gerade dieser Vers eine Rolle spielt oder an einer bestimmten Lebensstation einmal gespielt hat. Vielleicht war es ihr Konfirmationsspruch oder der Vers zur Trauung? Vielleicht hat auch der Pfarrer darüber gesprochen, als ihnen ein lieber Mensch gestorben war? Für viele aber ist dieses Wort einfach "nur" schön, hilfreich, wenn man nicht weiter weiß, tröstend, wenn wir weinen müssen, stärkend, wenn wir meinen, wir müßten vor Sorge und Leid vergehen... "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben." Und das ist ganz wunderbar, daß es solche vertrauten Verse gibt! Man hört sie - und wird ruhig. Man sagt sie sich vor - und bekommt neue Kraft. Und manchmal geben wir solche Worte ja auch an andere weiter - da wo sie hingehören! - und erfahren dabei, wie ihre Kraft auch bei anderen Men- schen wirkt und ihnen Mut und Trost schenkt. - Aber wie geht das? Und warum sprechen solche Worte zu den einen - die anderen aber können nichts mit ihnen anfangen? Warum stärken solche Verse manche Menschen, andere aber bleiben so, wie sie sind: angstvoll, trostlos, verzweifelt? Ich glaube, das hat damit zu tun, wie vertraut uns solche Worte sind. Oder besser: Es kommt von daher, daß wir hinter solchen Versen immer mehr hören, als ihren bloßen Klang. Und noch einmal anders ausgedrückt: Wenn uns so schöne, bekannte Worte begegnen, dann ist mit ihnen viel mehr da, als das, was sie ihrem Inhalt nach sagen: Unser Glaube ist darin enthalten, unsere Hoffnung, un- ser Sehnen auch und unser Gebet... Und da versteht es sich ganz von selbst, daß diese Worte nur zu uns sprechen können, wenn wir auch vertraut sind mit den Glaubensdingen, mit dem, was wir erseh- nen und als Christen auch hoffen dürfen. Wenn wir einem Menschen, der noch nie von Jesus Chris- tus gehört hat, ein solches - noch so schönes - Wort vorsagen, dann wird wahrscheinlich nichts ge- schehen, da kann kein Trost aufkommen, keine Kraft entstehen. Aber was ist es, was diese schönen Worte in uns aufrufen? Welche Gedanken sind sozusagen im Hintergrund solcher Verse verborgen? "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Le- bens geben." - "Getreu"..., treu sein, verläßlich und zuverlässig fällt uns ein. Und wir denken gewiß an Jesus, der uns dafür ein Vorbild gegeben hat: Von Anfang an, seit der Versucher an ihn herange- treten ist, wußte er, was sein Weg war und daß er ihn in Leid und ans Kreuz führen würde. Aber er ging diesen Weg...getreu... Und vielleicht fällt uns auch ein, wie dieser Jesus mit seinen Jüngern um- ging: Petrus, der ihn doch verleugnet hat, bekommt von ihm noch Aufträge und er traut ihm etwas zu: "Weide meine Lämmer!" - "Du bist der Fels, auf den ich meine Gemeinde bauen will!" Und auch ein Judas wird nicht von der Tischgemeinschaft ausgeschlossen. Selbst ein Verräter darf noch in Jesu Nähe bleiben. - Wirklich: Treu ist er gewesen, den wir unseren Herren nennen. Aber ich glaube, immer wenn wir solche Worte hören oder sagen, sind auch wir selbst mit drin... Vielleicht ist es so, daß diese Verse auch Fragen an uns stellen, ganz in unserem Inneren, Fragen, die nur wir hören und immer wieder in und mit unserem Leben beantworten müssen. Vielleicht solche: "Sei getreu bis an den Tod..." Bin ich treu? Wie bestehe ich die Anfechtungen, die Zweifel, die Ver- suchungen meines Lebens? Gehe ich überhaupt noch auf dem Weg Jesu? Kann man mir etwas davon abspüren, daß er mein Herr ist? Halte ich an ihm und seiner Art zu leben und zu lieben fest? "...bis an den Tod..." Denke ich noch daran, daß mein Leben endlich ist? Oder habe ich das ganz verdrängt? Wie beeinflußt es die Art, wie ich lebe, daß ich einmal vor Gott stehen werde, um alles zu verantworten, was ich getan und gelassen habe? Weiß ich noch und setze ich allein darauf mein Vertrauen, daß Jesus Christus dann für mich einsteht und mich freispricht? Versuche ich mein Leben und meine Gerechtigkeit vor Gott noch und immer wieder selbst zu machen? Wie die Fragen genau lauten, die von diesem Wort ausgelöst werden, das ist sicher bei jeder und bei jedem anders. Aber ihr tiefster Grund ist bei allen derselbe. Und die eine Frage heißt für uns alle: Sind wir treu und verbunden mit unserem Herrn? Und noch eines ist uns allen gemeinsam - und das spricht der zweite Teil dieses Verses an: "...so will ich dir die Krone des Lebens geben." Diese Hoffnung, diese Sehnsucht haben wir alle! Unser Leben soll einmal nicht für immer vorbei sein. Wir wollen nicht ins kalte Nichts stürzen am Ende, sondern in Gottes Hände fallen. Wir wünschen uns, daß wir dann leben dürfen, alle unsere Fragen beantwortet werden und wir dahin kommen, was un- sere Kinder und manchmal wir selbst "Himmel" nennen und was die Bibel mit Reich Gottes meint... Wahrhaftig! Das wäre die Krone, die Krönung unseres Lebens! Aber ich glaube, sie spüren das jetzt auch: Die Gedanken und Fragen, die beim Hören solcher Worte in uns entstehen, sind nicht nur schön und unverbindlich, sie fordern auch eine Antwort! Immer wenn wir solche Verse hören, dann verklingen ihre Fragen nicht in uns, bis sie ein Echo hervorgeru- fen haben. Gewiß, manchmal bemühen wir uns dann auch, die Fragen zu verdrängen, die Gedanken, die in uns groß werden, zu unterdrücken. Lange aber geht das nicht so. Vielleicht sind wir deshalb dann aufs Neue so berührt, wenn wir das nächste Mal ein solches Wort hören: "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben."? Was könnte das Echo dieses Wortes in uns sein? - Hören wir einmal hinein...in uns selbst: Sei getreu... Ja, ich will treu sein! Ich will die Dinge, die ich zu tun versprochen habe, nicht verges- sen. Ich will verläßlich sein. Wer sagt, daß er auf mein Versprechen vertraut, den werde ich nicht enttäuschen. Ich will auch zu denen halten, die sonst niemand haben in unserer Gesellschaft, unserer Gemeinde, unserem Dorf. Ich will nichts auf die Vorurteile geben, die von ihnen im Umlauf sind. Und wenn etwas dran ist an dem, was die Leute über sie erzählen, dann will ich auch verstehen, wa- rum die Menschen so sind, so geworden sind... Auch die eigene Mitschuld daran, will ich sehen und nicht leugnen. Wir leben in einer Gemeinschaft. Wir sind alle untereinander verbunden - selbst wo wir einander meiden. Wenn einer "draußen" ist, sind die anderen gefragt, wie sie ihn wieder herein- holen! Auch wer nicht mit mir spricht, ist von mir ansprechbar. Sei getreu... Und bei allem will ich Maß nehmen an der Treue Jesu, die nicht fragt, ob einer diese Treue verdient und die kein Ende hat. Sei getreu bis an den Tod... Daß mein Leben endet, daß die Zeit vergeht, soll mich nicht schrecken, sondern beflügeln! Ich will, was zu tun ist, nicht immer wieder aufschieben. Ich möchte den Besuch, den ich schon so lange vorhabe, endlich machen. Es gibt ein Ende - also auch ein "Zu-spät". Ich kann einmal nichts mehr tun, was ich mir vorgenommen habe, darum muß ich es heute tun. - Aber ich will auch mit guten Gedanken an den Tod denken: Er muß mich nicht schrecken! Wenn ich heute tue, was ich kann und tun muß, dann bin ich immer bereit. Dann wird er mir als Freund begegnen und ich muß ihn nicht fürchten. "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben." Die Krone des Lebens, die Ewigkeit, der Himmel soll mir immer vor der Seele sein! Nicht nur in den trüben Stunden, sondern auch in den frohen! In dunkler Zeit wird mir das helfen, Leid, Kummer oder Krankheit zu bestehen. An hellen Tagen will ich mich bewegen und anstoßen lassen, daß ich nach Kräften auch meinen Mitmenschen die Hoffnung auf diese Zukunft weitersage und glaubhaft vorlebe. Es sind ja noch so viele in meiner Nähe, die ohne Zuversicht, ohne Glauben ihre Zeit in dieser Welt verbringen. Und so oft habe ich schon gedacht, wie das eigentlich geht: ohne Glauben, ohne Vertrauen, ohne den Blick nach drüben, ohne Hoffnung auf die "Krone des Lebens"... Es liegt mit an mir, ob sie davon hören. Es liegt mit an mir, ob ihre Sehnsucht Antwort findet. Es liegt mit an mir, ob sie glauben können und ob ihr Leben Tiefe bekommt und Zukunft... "Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben." Ein wunderschönes Wort. Sehr anrührend, sehr tröstlich. Aber wir wollen heute auch die Fragen hören, die es uns stellt und wollen antworten mit unserem Leben. Lassen wir dieses Wort heute nicht ohne Echo in uns verklin- gen!