Predigt am Drittl. So. im Kirchenjahr - 11.11.2018 Textlesung: Hiob 14, 1 - 6 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. Liebe Gemeinde! Ja, auch das waren Worte der Bibel. Hiob war das. Er beklagt sich bei Gott: Wenn das Leben so kurz ist, dann lass uns doch wenigstens ein gutes, ein kurzweiliges Leben haben. Wenn es danach nichts mehr gibt, dann verschone uns doch mit deinen Strafen und Gerichten in dieser Zeit zwischen Geburt und Tod. Wenn dieses Leben alles ist, dann lass uns die paar flüchtigen Jahre hindurch wenigstens in Ruhe! Ja, blicke weg vom Menschen, Gott, und lass ihn zufrieden! Soweit Hiob. Er hat guten Grund, so zu sprechen. Er hat mehr Leid aufgebürdet bekommen, als einer tragen kann! Gott hat ihm alles, wirklich alles genommen, was er hatte: Sein Haus, seine Familie, seine Freunde... „Gott, lass mich zufrieden! Es ist jetzt genug!“ Ich kann das verstehen. Doch nun zu uns: Über 2000 Jahre liegen zwischen Hiobs Klage und uns. Jesus war da. Er hat uns eine Hoffnung eröffnet, Hoffnung über den Tod hinaus. Durch ihn ist uns alles geschenkt: Freiheit von Schuld, Liebe, ewiges Leben... Wer hätte sich mit Recht so zu beschweren: Du hast mir alles genommen, Gott, du hast mir nur Kummer und Schmerz zuteilwerden lassen... Wer von uns? Das sind aber Worte, wie sie in unserer Zeit gesagt - oft auch nur gedacht werden: „Lass mich zufrieden, Gott. Verschone mich - mit deiner ganzen Sache, lass mich in Ruhe!“ Was sind das für Menschen, die so sprechen? Hat Gott ihnen übel mitgespielt, ihnen ein schweres Geschick bereitet? Es mag solche Fälle geben, häufig sind sie nicht. Eher trifft das Gegenteil zu: Es sind Leute, die - zumindest äußerlich - recht begnadet erscheinen. Reiche sind darunter, denen es wirklich an nichts fehlt, Begüterte, die alle Voraussetzungen hätten, was sie haben, mit anderen zu teilen. Man fragt sich dann schon, ob es gerade das ist: „Gott, lass mich in Ruhe, weil ich weiß, du verlangst von mir, was mir wehtut: Hergeben, Teilen, Verschenken... Gott, lass mich zufrieden mit deiner Verheißung auf den Himmel! Ich genieße lieber das, was ich in Händen habe, so ist es mir angenehmer und sicherer! Solche Menschen sind gewiss recht häufig anzutreffen. Die meisten aber sind - so glaube ich - ganz einfach gleichgültig: „Gott, lass mich in Ruhe; ich habe für dich einfach keine Gedanken, keine Zeit, kein Interesse. Aber: So denken sie ja schon gar nicht mehr. Wie soll auch einer, dem Gott gleichgültig ist, sagen: Gott, lass mich zufrieden? Nein, die Art, wie sie leben, offenbart die Haltung, die dahintersteht: Gemeindeleben, Gottesdienst, Abendmahl, das Wort der Heiligen Schrift - für sie ohne Bedeutung! Taufe, Trauung und Konfirmation wird wohl mitgenommen, aber ohne wirkliches Interesse, nur weil es doch alle machen. Das Wort: „Gott“ schließlich, nehmen sie nicht in den Mund, es sei denn für eine Floskel wie: „Um Gottes willen!“ - Woher kommt diese Gleichgültigkeit? Warum leben sie diese Haltung: „Lass mich in Ruhe, Gott?“ Ich denke, oft liegt ein Erlebnis zugrunde. Nicht mit Gott, wohlgemerkt! Nein, mit einem Vertreter der Kirche zum Beispiel, einem Pfarrer, einem frommen Menschen, bzw. einem, der nur vorgab, fromm zu sein. Man machte eine Erfahrung: Eine Enttäuschung, ein böses Wort - vielleicht auch nur falsch verstanden und das Urteil war fertig: „Wenn das Christen sein wollen, wenn die in die Kirche gehen, wenn so Glaube aussieht...dann ohne mich.“ Seitdem galt das dann: Lass mich in Ruhe, Gott! Oft geht das so. Oft so ähnlich. In jedem Fall wird etwas verwechselt: Der Vertreter mit der Sache. Ein schwacher Mensch mit der besten Botschaft, die diese Welt kennt. Das Tun eines fehlbaren Nachfolgers mit dem Willen seines Herrn. Aber es bleibt dann dabei, meist für ein ganzes Leben, wenn nicht irgendwann... Ja, was muss da geschehen, dass einer doch wieder nach Gott fragt? Wie wird aus einem Saulus ein Paulus? Wie kommt das Evangelium zu den Gleichgültigen? Ich höre jetzt förmlich den Einwand: Aber, sind das denn wirklich so viele? Lohnt es sich nach denen zu fragen, die nun Mal nichts von Gott wissen wollen? Und dann: Die sind doch sicher jetzt nicht hier - in der Kirche! Ich glaube - und Statistiken belegen das - sie sind heute die Mehrheit: Die Gleichgültigen. Ich glaube - und jeder hier frage sich, ob ich Recht habe - wir kennen jeder mindestens einen von ihnen. Sie sind unsere Nachbarn. Wir sind mit ihnen verheiratet. Sie sind unsere Kinder. Wir haben sie zu Eltern. Darum meine ich auch, es lohnt sich, nach ihnen zu fragen, über sie nachzudenken. Außerdem glaube ich, viele von Ihnen haben oft schon den Schmerz erfahren, den das macht, wenn ein Mensch in unserer Nähe nichts von Gott wissen will. Wie tut das weh, wenn der eigene Ehegefährte zwar das Haus, das Bett und das Leben mit mir teilt, aber nicht meinen Glauben. Und wie muss ein Vater oder eine Mutter empfinden, die an Gott glauben, wenn das Kind, das sie doch liebhaben, über die Sache der Christen spottet. Und ich will mich jetzt beileibe nicht als empfindsamen Seelsorger herausstreichen, aber mich schmerzt es sehr, wenn ich die Paare, die ich einmal getraut habe, die Angehörigen eines Verstorbenen oder auch die vielen jungen Menschen, die ich konfirmiert habe, nie wieder im Gottesdienst oder in einem Kreis der Gemeinde oder bei irgendeinem anderen kirchlichen Angebot sehe. Und die diese Menschen haben doch oft auch gesagt: Dieser schöne Gottesdienst zu unserer Hochzeit, diese Begleitung durch die Trauer, diese Zeit auf die Einsegnung zu hat uns so viel bedeutet. Wir werden das nie vergessen. Ich habe es doch niemand abgepresst, das zu sagen. Die Menschen haben es doch aus freien Stücken bei mir vorgebracht! Aber wie traurig ist das doch, wenn diese Menschen an ihren eigenen Worten zu Lügnern und Heuchlern werden. Ob sie darüber nicht irgendwann einmal sehr unglücklich werden: So viel versprochen zu haben - und ja nicht nur mir, ihrem Pfarrer - sondern doch auch ihrem Gott. Und es dann nicht gehalten, ja, ihr Wort so treulos gebrochen zu haben. Darum sage ich: O ja, es lohnt sich, nach ihnen zu fragen - auch wenn sie jetzt nicht hier sind. Denn wir sind hier. Wir, die ihretwegen leiden. Wir die uns Gedanken, ja, Sorgen um sie machen. Wir, die sie so gern zurechtbringen würden. Nur wie? - Nichts richten wir aus, wenn wir ihrer Gleichgültigkeit einfach die eigene entgegensetzen: „Wenn er oder sie halt nichts mit Gott vorhat, dann soll's wohl nicht sein - was kann ich denn da machen?“ So werden wir schuldig an ihnen. So handeln wir lieblos, denn auch jener, der Gott fern steht, hat Anspruch auf unsere Liebe. Das will ich ganz deutlich sagen: Wenn wir sie nicht mehr auf Gott ansprechen, wird das zu unserer Schuld: Wir geben einen Menschen auf, den Gott nicht aufgegeben hat. Wir verdammen einen, für den Jesus auch gestorben ist. Auch möchte ich den Christen sehen, der von dem schweigen kann, was ihm zutiefst wichtig ist: Gott und sein Angebot für alle Menschen. Nein, Schweigen ist keine Lösung. Wir müssen reden, mehr als bisher und wohl auch anders als bisher: Mehr - weil wir allzu lange Zeit haben verstreichen lassen, seitdem wir unseren Partner, unseren Sohn auf den Glauben angesprochen haben. Anders - weil wir oft genug erfahren haben, dass es zu wenig ist, wenn wir mahnen: „Du könntest auch mal wieder zum Gottesdienst gehen“. Darauf hört ja erfahrungsgemäß keiner. Das wissen wir. Anders müssen wir's machen. Persönlicher müssen wir's sagen. Vielleicht so: „Was dir bedeutungslos ist, bedeutet mir alles!“ - „Worum du dich seit Jahren nicht mehr kümmerst, ist mir die beste Sache, die es gibt!“ Und vielleicht lassen wir's nicht nur dabei, sondern fügen hinzu: „Lass uns doch einmal über Gott, über den Glauben reden - es ist zu wichtig, es geht um zu viel, auch für dich!“ Sicher ist das noch längst keine Gewähr, dass einer zu Gott findet. Aber es ist ein Anfang. Ich bin sicher, dass dieser Anfang nur sehr selten gemacht wird - auch in unseren engsten Familienbeziehungen. Die Gleichgültigkeit dagegen ist häufig. Ich meine jetzt unsere eigene - den Gleichgültigen gegenüber. Gemessen an der Sache, um die es geht: Heil, Rettung, Leben mit Gott hier und in Ewigkeit - ist kein Versuch auszulassen, den Menschen von Gott zu reden, die ihn nicht kennen und nicht kennen wollen. Und kaum eine Art der Ansprache ist zu hart, wenn sie nur in Liebe geschieht. Die Gleichgültigen müssen spüren, dass wir überwunden sind von dem Gott, den sie nicht sehen wollen. Gehen wir ihnen ruhig auf die Nerven mit unseren Anschlägen, unseren Fragen und unserem Bekenntnis. Wenn wir schweigen, werden wir schuldig an ihnen. Hiob findet am Ende wieder zu Gott. Er hört auf, so zu reden: Lass mich in Ruhe, Gott. - Ist das nicht eine Verheißung - für uns?! Noch einmal: Jede und jeder hier kennt mindestens einen, der heute auch noch so spricht: „Gott, lass mich zufrieden.“ Gehen wir sie an, sprechen wir mit ihnen, wann immer sich Gelegenheit dazu bietet. Gott schenke uns Mut und die rechten Worte dazu! AMEN