Predigt am Reformationstag - 31.10. oder 4.11.2018 Textlesung: Gal. 5, 1 - 6 Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Liebe Gemeinde! „Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.“ Ich glaube, das ist der Satz, der uns hier am meisten Schwierigkeiten macht! Was kann denn an der Beschneidung, an dieser Kleinigkeit, liegen? Beschnitten zu sein, war ein besonderes Kennzeichen der Juden. Paulus und die Jünger Jesu waren gewiss auch beschnittene Juden gewesen - und dann erst Christen geworden. Wo also liegt das Ärgernis? „Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.“ Hier kommen wir der Antwort näher! Die Menschen, die sich durch das Wirken und die Predigt des Paulus zu Christus bekehrt hatten, hielten trotzdem weiter an der Beschneidung fest! Sie wollten Christen sein, ließen aber auch nicht davon ab, sich bzw. ihre männlichen Kinder beschneiden zu lassen. Vielleicht dürfen wir es so sagen: Sie hielten sich eine Hintertür offen, als meinten sie, es kann sicher nichts schaden, an Christus zu glauben und ein rechter Jude zu sein. Solchen „Christen“ hält Paulus vor: Wenn ihr euch jetzt noch beschneiden lasst, dann müsst ihr auch sonst wie rechte Juden leben! Bewusst daran festhalten, beschnitten zu sein oder zu werden, verlangt, dass ihr auch das ganze Gesetz haltet. Zu Christus gehören heißt, nicht vom Gesetz, sondern vom Glauben allein Heil und Rettung erwarten. - Gut soweit. Aber was hat das nun mit uns zu tun? Wir sind doch nicht beschnitten und das Gesetz der Juden gilt für uns auch nicht. Liebe Gemeinde, wir feiern heute den Gedenktag der Reformation. Wir Christen denken heute über die Grundfragen unseres Glaubens nach. Und wahrhaftig, hier sind diese wichtigsten Fragen berührt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ Und eben auch hier geht es um diese Grundfragen: „Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.“ - Aber wir wollen endlich von Beschneidung und Gesetz wegkommen und die Worte des Paulus einmal für uns Christen sagen - und das ganz deutlich und klar. Uns hätte Paulus vielleicht in seinem Brief so geschrieben: Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder irgendwelche Vorleistungen abverlangen und setzt auch selbst nicht darauf, sie zu erbringen! Ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr auf das vertraut, was ihr an religiösen Leistungen vorweisen könnt, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich auf seine Verdienste im Tun und Reden verlässt, dass er dann auch an diesen vermeintlichen Verdiensten gemessen wird. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch euer Verdienst gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gelten weder die Verdienste noch der Mangel an Verdiensten etwas, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Wie gefällt uns das? Vor allem: Haben wir solche Worte, solche Mahnung nötig? Ein Mann aus der Gemeinde hat neulich gesagt: „Ich halte jeden Morgen meine stille Zeit mit Losung und Gebet, ich gehe sonntags in die Kirche, ich bin für meine Nachbarn da, wenn sie mich brauchen...“ - Was soll daran verkehrt sein, so zu sprechen? Bis hierhin nichts. Aber dann kam es: „...ich bin für meine Nachbarn da, wenn sie mich brauchen...selbst für die, die nichts mit Gott zu tun haben wollen.“ Da ist sie, die Einschränkung, die alles verändert, alles entscheidet! Denn wir müssen jetzt doch denken, der Mann hilft den Mitmenschen nicht allein aus Liebe zum Nächsten, sondern um damit eine besondere religiöse Leistung vorweisen zu können. Und selbstverständlich meint dieser Mann auch, das wäre doch der besonderen Achtung Gottes wert. Immerhin: Andere verhalten sich ja nicht so! Andere kümmern sich ja weder um die Mitchristen, noch um die übrigen Mitmenschen. Das ist doch wirklich etwas, das die Zuwendung Gottes verdient hat, ja, auch Lohn... - „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch euer Verdienst gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.“ Entweder auf Christus vertrauen, dann aber auch ganz und ohne Ausnahmen - oder auf unsere eigenen Werke und Verdienste bauen, damit aber sagen wir, dass wir Christus nicht brauchen. - So wie dieser Mann, haben wir noch nie geredet. Das ist nicht unsere Art? - Wie nah ist uns mein zweites Beispiel?: Eine Frau, die jahrelang im Streit mit ihrer Nachbarin gelebt hat, hat neulich, als sie sich auf der Straße gesehen haben, die Gelegenheit ergriffen. Sie ist vor sie hingetreten und hat gesagt: „Lass uns doch endlich begraben, was damals gewesen ist.“ Dann hat sie die Hand hingestreckt und die andere hat sie wirklich ergriffen, und dann haben beide noch eine Weile miteinander gesprochen. - Schön, nicht wahr. So soll es sein - zumal zwischen Christen! - Aber halt, wir haben noch nicht gehört, was die beiden Frauen am Abend gedacht und zu ihren Familien gesagt haben. Die eine dies: „Das ist mir nicht leicht gefallen! Eigentlich hatte ich das ja gar nicht nötig, den ersten Schritt zu machen!“ Und die andere das: „Ich hätte die ja noch länger schmoren lassen können! Aber wenn die doch zu mir kommt, da will man als Christin ja nicht so sein!“ - „Denn in Christus Jesus gelten weder die Verdienste noch der Mangel an Verdiensten etwas, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Das gibt es nicht, dass wir etwas „nicht nötig haben“! Wenn uns die Liebe Jesu überwunden hat, wenn wir von ihr zu unseren Taten angesteckt sind, dann fragen wir nur noch danach, was gut ist, was richtig ist und dieser Liebe entspricht. Und „jemanden schmoren lassen“ ist auch nicht im Sinne der Liebe und als Christ kann man gar nicht anders sein, als genauso gütig und freundlich, wie Gott mit uns umgeht. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ Liebe Gemeinde, noch so viele Äußerungen, die wir täglich tun, noch manche Tat und noch mehr unser Denken geben Zeugnis davon, dass wir Christen noch lange nicht verstanden haben, was Paulus uns hier sagen möchte: „...wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.“ Und schon gar nicht folgen wir seinen Worten, denn unsere Sprache verrät immer wieder unser Denken und Dünken, dass wir uns eben doch ein Verdienst ausrechnen, weil wir so gläubig sind, so gut, so gottgefällig, so kirchlich oder bereit zu verzeihen... Täglich kann man solche Äußerungen hören - auch von uns: „Womit habe ich das verdient, dass es mir jetzt so schlecht geht, ich habe doch immer am Glauben festgehalten.“ - „Zu mir kommt der Pfarrer doch bestimmt, wenn ich im Krankenhaus liege; ich bin doch auch immer im Gottesdienst gewesen.“ - „Jetzt habe ich auch einmal Glück gehabt, Gott kennt halt doch seine Leute!“ Nein, das alles ist nichts Schlimmes. Aber ich möchte jetzt nicht in denselben Fehler verfallen, dass ich sage: Andere laden viel größere Schuld auf sich, da ist unser Verhalten und Denken ja noch harmlos! - Es ist gegen den Glauben! Es ist nicht im Sinne Gottes und wie er uns erlösen und von der Schuld und dem Gesetz freimachen wollte. Und es entspricht nicht den Gedanken, die wir mit der Reformation verbinden; es ist darum nicht „evangelisch“. Denn „evangelisch“ heißt die wirklich frohe und frohmachende Botschaft, dass wir kein Gesetz, keine Beschneidung, keine Werke und keine Leistung mehr brauchen, um Gott zu gefallen! Dazu ist Jesus Christus ans Kreuz gegangen, um uns dort von dem allen zu befreien. Wenn wir nun wieder zurückfallen in ein Denken, das auf religiöse Leistungen weist, das sich um gute Werke müht und die verachtet, die unserer Meinung nach nicht so viel davon zu bieten haben, dann gilt dieser Satz für uns: „Ihr habt Christus verloren, die ihr durch euer Verdienst gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.“ Was hilft uns nun aber, dass wir „in der Gnade bleiben“ können? Wo führt der Weg zu einem Tun, Reden und Denken, wie es rechten Christen wohl ansteht? Ich glaube, der Schlüssel dazu liegt hier: „Denn in Christus Jesus gelten weder die Verdienste noch der Mangel an Verdiensten etwas, sondern nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Die Liebe ist der Schlüssel! Aber nicht zuerst unsere Liebe! Wir vergessen immer so leicht und so schnell, dass Gott uns zuerst geliebt hat! Wie haben wir vorhin (EG 355) gesungen: „Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung deren ich nicht wert... Ich hatte nichts als Zorn verdienet und soll bei Gott in Gnaden sein...“ Das ist die Liebe, die unserer vorausläuft! Die war zuerst da - dann kommt unser Glaube, dann kommt unsere Erlösung, dann kommt unsere Liebe... Aber dann kann sie auch kommen! Und sie wird frei sein von allen Gedanken um Werke, um Leistung und um Lohn, den wir dafür verdient hätten! Noch ein Vers aus dem Lied von vorhin: „Gott hat mich mit sich selbst versühnet und macht durchs Blut des Sohns mich rein.“ Wer vor dem Kreuz Christi steht, der kann nicht mehr über seine eigenen guten Taten reden oder das, was er vermeintlich verdient hat. Wer einmal begriffen hat, dass dieser Christus für ihn sein Blut vergießt, der wird von seiner Liebe angesteckt nur noch Gott und die Mitmenschen lieben können. Gewiss wird er aufhören so zu fragen: Wer ist denn nun besser? Oder wer ist würdiger der Liebe Gottes? Kann denn angesichts des Kreuzes ein Sünder mit dem anderen rechten? - Wen die Liebe überwunden hat, der kann nur noch lieben. Liebe Gemeinde, ich will das nicht beschönigen oder verharmlosen: Wir sind noch sehr verhaftet in einem Denken, das nicht dazu passt, wie Gott uns liebt und sich unsere Rettung in Jesus Christus gedacht hat. Aber heute haben wir gehört, worauf es ankommt und woran wir wirklich sehen und selbst spüren können, ob wir Christen sind, die diesen Namen zu Recht tragen. Auf unsere Liebe kommt alles an. Die ist selbst auch nicht unser Verdienst, sondern kommt uns von Gott her. Und sie wird auch nicht nach den Verdiensten oder der Würdigkeit unserer Mitmenschen fragen. Sondern sie wird einfach lieben...so wie wir geliebt sind. AMEN