Predigt am 4. So. nach Trinitatis - 24.6.2018 Textlesung: 1. Petr. 3, 8 - 17 Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, dass ihr den Segen ererbt. Denn „wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der hüte seine Zunge, dass sie nichts Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht betrügen. Er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach. Denn die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet; das Angesicht des Herrn aber steht wider die, die Böses tun“ (Psalm 34,13-17). Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen. Denn es ist besser, wenn es Gottes Wille ist, dass ihr um guter Taten willen leidet als um böser Taten willen. Liebe Gemeinde! „Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort...“ Ach, wäre das schön! Aber so ist es nicht. Im Gegenteil. Wenn wir einmal hinschauen, was Menschen an Schuld auf sich geladen haben im Laufe der Geschichte: Das Meer von Blut, der Ozean von Tränen, die Grausamkeit! Und oft mit dem Kreuz auf der Fahne! Da führt eine breite Blutspur durch die Jahrhunderte. Über die Heidenmission, oft nicht mit Wasser allein, sondern mit dem Schwert durchgeführt. Über den 30jährigen Krieg, der die Bevölkerung Europas - auch im Namen der Religion - in manchen Landstrichen bis auf 5 % dezimiert hat. Über die großen Kriege unseres Jahrhunderts mit Millionen Toten, Vergasten, Gefolterten und Verjagten... Bis hin zu den Kriegs- und Krisengebieten unserer Tage, dem Morden und Brandschatzen allenthalben. Und immer wieder sind es doch auch gläubige Menschen, angebliche Christen, die zutiefst mit verstrickt sind in das Leid und die Trauer anderer. Die selbst foltern, verjagen, töten, Geiseln nehmen, Waffen herstellen oder mit ihnen ihre Geschäfte machen. „Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort...“ Ach, wenn es nur das wäre, woran es hapert: Dass wir nicht „mitleidig“ wären oder „brüderlich“ genug. Aber es geht, weiß Gott, um Schuld anderer Größenordnung! Manchmal meint man doch, wenn man die Nachrichten auch nur eines Tages hört und sieht, Gott könnte das nicht mehr länger dulden, er müsste endlich dreinschlagen und dem ein Ende machen, was da alles verübt wird und auch denen, die es verüben. Aber bevor wir uns nun vielleicht doch mit einem Seufzer in unserer Bank zurücklehnen und denken: Gemessen daran sind wir ja nicht so schlecht, möchte ich noch das hinzufügen: Einmal geschieht auch in unserer Nähe sehr viel Böses, oft müssen wir es leiden, oft sind wir aber auch die, durch die andere leiden müssen, schwere Stunden oder großen seelischen Schaden haben. Zum andern wissen wir doch: Schon wer seinen Bruder oder seine Schwester einen Narren nennt, ist nach den Worten unseres Herrn „des höllischen Feuers schuldig“! - Wie gut fühlen wir uns noch, wenn wir das ernst nehmen? Und schließlich müssen und wollen wir doch auch darüber hinaus kommen! Das kann doch wohl nicht unser Alibi sein, dass wir nun auf die Bosheit anderer, die übergroße Schuld zu allen Zeiten der Weltgeschichte weisen und sprechen: Warum soll ich denn da noch bei der Wahrheit bleiben, nicht meinen eigenen Vorteil suchen, den geraden Weg gehen, wo ein krummer Weg mehr Gewinn verspricht? Ich glaube, so können wir nicht sein. Wenigstens wir möchten doch aufrichtig bleiben. Wenigstens an uns sollen die Mitmenschen einen Halt und einen echten Nächsten finden. Wenigstens du willst in Jesu Spur bleiben. Wenigstens ich will einer sein, an dem Gott Freude hat. Aber da ist auch wieder die andere Seite: Es kann schon den Mut nehmen, tagtäglich sehen zu müssen, wie skrupellos Zeitgenossen über das Leid und manchmal die Leichen anderer hinweggehen. Nicht dass uns das dazu führt, nun auch rücksichtslos und gemein zu werden, aber es kann uns leicht unwichtig und gleichgültig erscheinen, ob wir nun gut und christlich oder schlecht und gottlos handeln. Dann fragen wir vielleicht: „Was kann denn ich schon ausrichten - bei aller Bosheit unserer Tage!?“ Vor dem Hintergrund dieser Gedanken ist mir ein anderer Vers aus dem Predigttext für heute wichtig geworden: „Die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet!“ Mögen es auch vielleicht nur wenige sein, die in unserer Zeit der Sache Gottes treu bleiben, ihr Tun wird von Gott gesehen! Mag die Schar der Gläubigen auch abnehmen, umso wichtiger wird es doch, was sie von Gott reden und wie sie aus ihrem Glauben heraus handeln. Es ist ja gerade umgekehrt, wie wir zuerst denken: Was die echten Christen in der Welt tun und lassen, wird nicht immer unwichtiger, je kleiner ihre Zahl ist, sondern immer bedeutsamer! Und da fiel mir wie eine Illustration zu diesen Worten die Geschichte von „Abrahams Fürbitte für Sodom“ (1. Mose 18) ein. Wir haben sie ja vorhin als Schriftlesung gehört. Diese uralte Erzählung beginnt mit einem Zwiegespräch zwischen Gott und Abraham. Abraham bittet Gott, ob er die sündige Stadt Sodom nicht um der 50 Gerechten willen verschonen könnte, die vielleicht in ihren Mauern wohnen? Gott sagt es zu. Dann bittet Abraham für 40 Gerechte, die es vielleicht nur sind, dann für 30. Immer wieder gibt Gott nach. Ja, er lässt sich - sozusagen - auf 10 Gerechte herunterhandeln. Wir wissen, dass die Stadt doch zerstört wurde. Es waren also nicht einmal 10 Gerechte in ihr zu finden. Aber es geht um etwas anderes: Gott hätte die Stadt verschont, wären es auch nur 10 Gerechte gewesen, die in ihr wohnten. Wir können also nicht mehr sagen: Was bedeutet das schon, ob ich nun noch bei Gottes Sache bleibe, ob ich mich nun noch um das Gute und Rechte bemühe, ob ich noch meinem Glauben entsprechend lebe? Alles ist vielleicht daran gelegen! Ja, mit der Geschichte von Sodom können wir sagen: Das bin vielleicht gerade ich, um dessentwillen Gott auch den Menschen in meiner Umgebung noch Zeit lässt! Nur weil es in diesen Tagen noch die paar guten Menschen gibt, vertilgt Gott nicht die ganze Menschheit von der Erde. Wem das jetzt nun doch zu hoch gegriffen ist, dem halte ich entgegen: „Die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet!“ Es sind nicht die Großen, die Mächtigen, die Gewaltigen, die Reichen an Geld und Einfluss, derentwegen Gott die Weltgeschichte noch weiterlaufen lässt. Es sind - meiner festen Überzeugung nach - die Wenigen, die Kleinen, die Geringen - aber Gerechten! - um derentwillen Gott noch kein Feuer regnen und sein Gericht noch nicht über uns kommen lässt. Und bei „Gebet“ fällt mir noch etwas ein, was ich immer wieder gerne denke: Ob es nicht wirklich die Beter sind, die vielen anderen, die das gar nicht wissen oder auch nur ahnen, das Leben erhalten und damit die immer neue Möglichkeit, doch noch zu Gott zu finden!? Wie Abraham für Sodom treten sie für die Mitmenschen ein, die selbst nicht mehr beten, nicht mehr glauben, nicht mehr die Sache Gottes hochhalten! Und wer weiß, vielleicht gab es ja auch in unserem Leben Zeiten, über die uns nur das Gebet anderer gebracht hat. Hätte alles an uns gelegen, an unserem Verhalten und Verdienst, wir wären untergegangen - wie Sodom. Wie alle Menschen vor Gott ihr Leben Jesus Christus verdanken und seinem Opfer am Kreuz, so verdanken wir vielleicht unser Leben der Fürbitte und der Fürsprache unserer Mitmenschen. Und wir verdanken ihnen damit, was wir heute sind, unseren Glauben, was aus uns einmal wird, unsere ewige Zukunft. „Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort... Die Augen des Herrn sehen auf die Gerechten, und seine Ohren hören auf ihr Gebet!“ Nein, es ist ganz und gar nicht unwichtig, ob wir uns noch bemühen, brüderlich und barmherzig zu sein! Daran hängt vielleicht die Welt und dass auf dieser Erde doch noch Menschen leben dürfen. Laut genug schreit ja das Blut und das Leid von Milliarden Opfern und gewaltsam Getöteten zu Gott. Milliarden und Abermilliarden Gründe gibt es für Gottes Zorn - zwischen Golgatha und Ausschwitz. Aber Gott sei Dank: Gott sieht die Gerechten. Er hört ihr Gebet. Welch ungeheure Macht ist ihnen gegeben! Welche Verantwortung! AMEN.