Predigt zum Sonntag „Septuagesimä“ - 28.1.2018 Textlesung: Jer. 9, 22 - 23 So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR. Liebe Gemeinde! Gar nicht so leicht, diesen Text zu predigen! Möchten wir nicht gern weise sein? Wissen ist Macht! Wir spüren es doch täglich, dass da etwas dran ist: Da legen junge Leute ihr Abschlusszeugnis vor. Wer kriegt die Lehrstelle? Der mit den besseren Noten natürlich, von dem man denkt, dass er mehr im Kopf hat. Da muss ein Betrieb Arbeitskräfte entlassen. Wer muss zuerst gehen? Die mit der schlechteren Ausbildung, von denen man glaubt, sie taugen weniger für die Firma. Und wollen wir nicht auch stark sein? Was passiert denn mit den Schwachen, den Alten, den Behinderten, den Außenseitern? Sie müssen am Rand der Gesellschaft stehen, dankbar sein, für das, was man ihnen - gnädig - überlässt, sie leben von Almosen an Geld und Achtung. Weiß Gott, lieber will ich meinen eigenen Kräften vertrauen; mich durchsetzen und behaupten, auf niemanden angewiesen sein. Und schließlich: Wer möchte denn nicht reich sein? Ganz ehrlich, bitte! Warum spielen denn Millionen Menschen Lotto? Was kann denn einer auch noch machen, wenn ihm das Geld ausgeht, wenn er keinen ausreichenden Verdienst mehr hat? Er muss das Haus räumen, das er nicht bezahlen kann. Er muss den Wagen abschaffen, den er nicht mehr halten kann. Keiner wird uns etwas schenken! „Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums.“ Wirklich, nicht leicht, das zu predigen! Gut, man könnte sich so helfen: Rühmen wollen wir uns nicht! Wir wollen nicht auf die herabsehen, die nicht so viel haben, wissen und können, denn die Hauptsache ist doch: Ich bin weise, ich bin stark, ich bin reich! Aber wir spüren es: So kommt man nicht an der Schärfe dieses Wortes vorbei, vor allem nicht an seiner Wahrheit. Denn wer, wenn er wirklich klüger wäre als andere, würde es nicht ausnutzen, nicht damit prahlen und in seinen Vorteil ummünzen? Und wer, wenn er stärker ist, als sein Mitmensch, wird ihn das nicht spüren lassen, ihn nicht drücken, wo immer sich Gelegenheit dazu bietet? Und dann: Wer möchte von sich selbst behaupten: Wenn ich reich wäre, so richtig reich, würde ich genauso weiterleben wie bisher. Ich würde mir bestimmt nicht Macht und Einfluss über andere zu kaufen versuchen, ganz bestimmt nicht! - Wer hat einen so festen Charakter? Wer könnte - für sich selbst - die Hand ins Feuer legen? „Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden...“ Das macht's nun auch nicht gerade leichter, diesen Predigttext in Ihre Ohren und Herzen zu bringen. Wie sage ich das denn denen unter Ihnen, die tagtäglich nur Leid und Kummer erfahren, die vielleicht Arbeitslosigkeit betroffen hat, die immer nur getreten und ausgenutzt werden, über die man gemeine Reden führt oder bloß lacht... Und wie kann ich das vor Menschen vertreten, die in wirtschaftliche Not geraten sind oder nie etwas anderes gekannt haben? Darf ich da wirklich von Gnade, Recht und Gerechtigkeit auf Erden sprechen? Muss ich nicht vielmehr von schreiendem Unrecht, von Gemeinheit und Gewalt gegen Schwächere reden, von gnadenloser Ausbeutung und schließlich: vom behaupteten und durchgesetzten Recht des Stärkeren, des Reicheren und dessen, der mehr weiß und kann und die besseren Beziehungen hat? Müsste ich nicht so predigen, um wahrhaftig zu bleiben? Oder soll ich gar aufs Jenseits vertrösten? So vielleicht: Erfahrt ihr hier auch Leid, Elend, Armut, Unrecht und Ohnmacht - haltet aus! Im Himmel soll es besser werden. Liebe Gemeinde, ich kann nicht so reden! Ich darf nicht so predigen! Wie gehen wir dann aber um mit diesen Worten? Lassen wir uns davon bloß ein bisschen - am Sonntagmorgen - erbauen. Erhebt uns das in diesem Gottesdienst bloß ein wenig über die Niederungen des Alltäglichen, des ganz anderen Lebens da draußen vor der Kirchentür? Immerhin: Das klingt schon gut! „Ich, der Herr, bin es, der Gnade und Recht und Gerechtigkeit auf Erden übt!“ Aber klingt es nur gut??? Wenn wir jetzt einmal davon ausgingen, einmal ernst machten mit der Wahrheit dieses Wortes: „Gott übt Gerechtigkeit auf dieser Erde.“ Wir halten es vielleicht kaum für möglich, wir sehen vielleicht in unserem Alltag sehr wenig davon, aber lassen wir's einmal gelten: Gottes Gerechtigkeit verwirklicht sich auf der Erde. Wo könnte das geschehen? Wie könnte das aussehen? Vielleicht sind es ja solche Dinge, in denen Gott tätig wird: Da hätte einer die Möglichkeit weiterzukommen, eine höhere Sprosse auf der Lebensleiter zu erklimmen. Die Gelegenheit ist günstig. Die Mitbewerber sind abgeschlagen. Sie hatten nicht die guten Beziehungen. Der Preis des Aufstiegs würde „bloß“ sein: Ein paar andere an die Wand drücken. Ein paar Ideale opfern, etwa das: „Auch im Beruf fair zu bleiben“ und „saubere Hände zu behalten“. - Was macht der Mann? Er verzichtet. Der Preis ist ihm zu hoch. Vielleicht wüsste er selbst nicht einmal, was ihn so handeln lässt. Aber ich würde hier Gott am Werk sehen, der nicht will, dass Menschen sich verkaufen. Oder dieses Beispiel: Streit zwischen Nachbarn, viele Jahre schon. Man schneidet sich, man meidet sich - obgleich man Tür an Tür wohnt. Einer aus den Familien aber bricht aus. Er findet, es reicht. Und er beginnt nun nicht nur damit, die anderen wieder zu grüßen. Er geht einmal ins „feindliche“ Lager. Zuerst: „Was willst du denn hier?“ Aber dann lockern sich die abweisenden Mienen, man spürt ein bisschen Wohlwollen, dann Freude. Langsam geht das weiter. Stück für Stück bloß. Man sieht sich wieder, nimmt einander aus der Ferne wahr. Dann nickt man sich zu. Man spricht ein Wort miteinander. Wo so etwas anfängt, sehe ich Gott am Werk, der nicht will, dass Menschen sich feind sind. Und schließlich: Ein junger Mensch, längst konfirmiert, geht regelmäßig zum Gottesdienst. Er will die Sache, von der er im Konfirmandenunterricht gehört hat, auch in seinen Leben probieren. Und vor allem: Er will sein Ja, das er bei der Konfirmation gesagt hat, nun auch wahr machen. Sicher, manche Kameraden werfen vielsagende Blicke. Aber er hat gelernt, ihr mitleidiges Lächeln zu übersehen. Ihr spöttisches Gerede trifft ihn nicht mehr. Wo einer, zumal ein junger Mensch, soviel Kraft und Mut aufbringt, da sehe ich Gott am Werk, der nicht will, dass Menschen sich für seine gute Sache schämen und sie verleugnen. Und gibt es nicht auch dafür - wenn auch seltene - Beispiele: Einer der „weise“ ist, einer der gebildeter ist als andere, wendet sich dem weniger weisen zu, ohne Arroganz, ohne seinen Vorteil auszunutzen, ohne überhebliches Gebaren. Einer der „stark“ ist, der die Macht auf seiner Seite hat, und alle Trümpfe in der Hand, spielt das nicht aus, sondern nutzt seine Stärke, seine Macht und seinen Einfluss, um Schwächeren beizustehen. Einer der „reich“ ist, der mit seinem Geld und materiellen Besitz viele Menschen in der Hand hat, nutzt es nicht aus, vielmehr nutzt er, was er hat, zum Segen anderer. - Gibt es das nicht auch? Selten?! Aber wo es geschieht, da sehe ich Gott am Werk, der nicht will, dass wir mit seinen Geschenken andere bedrücken, ausbeuten oder beschweren. Wir merken: Ohne dass wir mitspielen, kann Gott auf dieser Erde nichts tun und will er nichts tun. Seine Gerechtigkeit, sein Recht wird dort wahr, wo wir uns dafür einsetzen, mit allen Kräften, die er uns gegeben hat. Das kann durch uns schon auf dieser Welt anfangen, nicht erst in der anderen. Das Leid der Armen, das Unrecht, die Gemeinheit, die Erfahrungen von Unterdrückung und Ohnmacht werden bleiben. Aber da mitten hinein will Gott Wunder seiner Gnade, seines Rechts und seiner Gerechtigkeit geschehen lassen - durch uns! Es wird damit beginnen, dass wir auf die Worte Gottes hören, Worte wie diese: „Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums...“ Und es geht weiter, wenn wir's befolgen, gegen all unsere Erfahrung, gegen die Versuchung in uns selbst, gegen das Geschwätz der Leute, vielleicht gar gegen den Rat unserer Freunde. Wir werden dann spüren, dass Gott uns nahe ist, denn solchen Menschen verspricht er: „...an solchen habe ich Wohlgefallen!“ AMEN