Predigt am Ewigkeits- oder Totensonntag - 26.11.2017 Liebe Gemeinde, ich weiß wohl, welche Gedanken und Fragen Sie heute mitgebracht haben: „Warum musste dieser Tod sein? Hätte unser Leben miteinander nicht noch dauern können? Warum so früh? Weshalb auf solche Weise? Was wird nun aus ihm - aus ihr?“ Ich würde Ihnen so gern ein wenig helfen, dass sie Antwort finden! Aber ich kann es nicht. Vor allem: Ich darf es nicht! Unsere Toten sind unserem Urteil und unserem Wirken entzogen. In der Stunde des Todes beginnt Gottes end-gültiger Einfluss auf unsere Verstorbenen. Sie selbst können ihrem Leben nichts mehr abziehen oder hinzufügen. Und wir auch nicht! Der Schlussstrich ist gezogen. Die Bilanz macht ein anderer. Soll oder Haben - Gott wird es feststellen. Das Urteil - seine Sache! Eines aber wissen wir, dass Gott barmherzig ist wie ein Vater und gütig wie eine Mutter. Dass seine Liebe zu uns alle Morgen neu ist und seine Gnade niemals aufhört - und daran wollen wir uns halten! Und etwas tun, können wir doch: Für unsere Toten bitten! „Gütiger Gott, schenke ihnen deine ewige Nähe!“ Und Gott hört es und er versteht es, und er weiß, wie wir zu denen gestanden haben, um die wir trauern und er liest in unseren Herzen, was wir ihnen jetzt wünschen, die wir doch liebhatten, liebhaben... Und doch bleiben unsere Fragen! Was kommt jetzt für meinen Mann, für meine Frau, für meinen Vater, für unsere Mutter? Und doch suchen wir weiter eine Antwort: „Warum dieses Sterben, warum so, warum schon?“ Liebe Gemeinde, das macht es schwierig, an diesem Tag heute das Wort Gottes zu verkündigen. Das aber ist mein Amt. Dieses Evangelium ist aber nicht immer nur Trost, immer nur Hilfe, sondern auch Mahnung, Warnung und Anspruch. Und es soll das wohl auch heute für Sie sein, für Menschen, die den Tod erfahren haben, die immer noch - und heute wieder - sehr traurig sind. Die tröstliche Gedanken erwarten, die sich ein Licht im Dunkel erhoffen, die von der Last ihrer Trauer ein wenig abgenommen haben wollen... Allen aber kann es die Verkündigung am Totensonntag wohl niemals recht machen: Sprichst du von Gottes herrlicher Zukunft, vom ewigen Leben, das er uns versprochen hat - dann sagen einige, du vertröstest aufs Jenseits. Weißt du - wie es die Bibel bezeugt! - auf das Gericht Gottes am Ende der Tage hin - dann meinen andere, du machst bloß Angst und hebst drohend den Zeigefinger, oder du willst nur Macht über die verängstigten Herzen gewinnen. Lässt du schließlich die Auferstehung Christi und das zukünftige Leben ganz beiseite - dann bist du wieder für andere kein rechter Prediger der biblischen Botschaft. - Für alle kann es also nicht richtig sein, was wir auch sagen. Darum will ich es jetzt mutig - nach bestem Wissen und Gewissen angehen. Ich habe dabei die Hoffnung, dass Gott über unsere schwachen Worte und unsere kurzen Gedanken doch die Herzen der Menschen erreichen kann, die er erreichen will! Ich lese uns den Predigttext für diesen Ewigkeitssonntag: Textverlesung: Lk. 12, 42 - 48 Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen. Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen. Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen. Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern. Sie verstehen jetzt meine lange Vorrede! Hier liegt keine Antwort darin: „Was wird aus unseren Toten?“ Und auch da lassen uns diese Worte allein, wo wir fragen: „Warum musste dieser Abschied sein?“ Hart und ohne jede Schonung wird uns die Frage herumgedreht: Wie lebst du angesichts des Verhängnis'? Bist du bereit für den Tod, für das Gericht, für die Rechenschaft über dein Tun und Lassen? Wenn du selbst nun deinem Leben nichts mehr hinzufügen könntest und nichts mehr abziehen...? - Wie schwer wird es uns da jetzt, nicht zu entfliehen! Wie weh tut das, hier standzuhalten und auf einmal an den eigenen Tod zu denken! Vielleicht geht uns jetzt auf, dass auch schon der Schmerz bei unserem Verlust vor Wochen, Monaten oder auch schon vor Jahren ein bisschen von daher kam: Wir wurden eben auch auf die Frage nach dem eigenen Sterben gestoßen. Immer ist das ja so. Wenn ein Mensch geht, den wir liebhaben, dann stirbt immer auch ein Stück von uns. Und wir können uns mühen, wie wir wollen, es gelingt uns dann nicht, die Gedanken abzuwehren: Was ist, wenn es für mich einmal so weit ist? Wie werde ich bestehen? Und was kommt dann für mich? Gewiss, wir haben eine Fülle von Methoden entwickelt, die uns helfen sollen, diese Fragen schnell wieder loszuwerden. Aber ob das wirklich hilfreich ist? Viele Angehörige von Verstorbenen beklagen auch heute noch insgeheim, dass der Trauergottesdienst ohne den Verstorbenen in der Kirche stattfindet. Als könnte ein toter Mensch hören! Und als ginge es in diesen Gottesdienst um ihn - und eben nicht um uns, die Menschen, die zurückbleiben, die noch vor sich haben, was der Tote hinter sich hat! Oder denken wir an unsere Versuche des Trostes in Worten und Gesten - die oft einfach zu früh kommen! Der Tod hat ja immer auch eine Botschaft an die Lebenden, eine sehr ernste Botschaft. Aber eine, die Menschen auch erschüttern kann und soll, verändern und zurechtbringen kann und soll. Der Tod - besonders der in der Nähe - hat ja auch immer die Chance, dass er uns endlich herausreißt aus dem Trott und uns wieder einmal vor die tiefsten Lebensfragen stellt. Was kann das da wohl anrichten, wenn wir schnell, zu schnell und leichtfertig so sprechen: „Das wird schon wieder; Kopf hoch; da bist du bald drüber weg; Wunden heilen ja auch wieder...“ Und was uns sonst noch einfällt. - Vielleicht aber sollen die Wunden ja nicht heilen, bevor auch der trauernde Mensch für sich selbst ein neues Leben gefunden hat, das einmal vor dem Tod bestehen kann? Vielleicht sollen wir ja über einen Abschied nicht hinwegkommen, bevor wir nicht auch die Frage nach dem Sinn unseres eigenen Lebens beantwortet haben? Und vielleicht wird es eben nicht wieder, solange wir nicht endlich selbst Lebensfrüchte bringen - für Gott und unsere Mitmenschen! Wie schnell pfuschen wir Gott ins Handwerk! Wie gefährlich kann unsere Rede für einen Menschen sein, wenn der Tod, den er schmerzlich erfährt, von uns seiner wichtigen Botschaft beraubt wird! Und ein Drittes kommt mir jetzt in den Sinn: „Herr Pfarrer, die Beerdigung war ja ganz schön, aber dass sie ständig von „Tod“ und „Toten“ gesprochen haben, das war furchtbar grausam!“ So sagte es einmal jemand aus der Trauergemeinde. Aber wäre das nicht auch solch ein Versuch, Gottes Ruf an die Trauernden zu mildern und zum Schweigen zu bringen, wenn wir Pfarrerinnen und Pfarrer bei einer Bestattung nicht mehr vom Tod sprechen? Es könnte ja doch gerade dieses Wörtchen sein, das am Ende durchdringt durch die Mauer aus Abwehr und Verdrängung. Denn unsere Verstorbenen sind nicht nur „heimgegangen“, „von uns gegangen“, „verschieden“, „abgereist“, „entschlafen“ und „entrückt“ - sie sind tot! Und wir haben nicht nur „einen Verlust erlitten“, wir sind nicht nur „allein zurückgeblieben“, haben nicht nur „Abschied nehmen müssen“ - wir haben einen Toten zu betrauern! Und das soll uns selbst vielleicht auch genau dahin bringen, dass wir uns dem eigenen Tod endlich stellen und unsere Zeit vor seiner grausamen Macht neu bedenken und neu gestalten! Und genau deshalb sind auch die Verse, die uns heute gesagt sind, nicht froh und unverbindlich, sondern hart und - ja - vielleicht sogar grausam: „Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.“ „In Stücke hauen lassen“, „Teil geben bei den Ungläubigen“, so ist der Tod, sehr ernst, sehr hart, sehr grausam! Er will und er kann uns Furcht einflößen! Er will und er soll uns Fragen stellen! Aber er will und er wird uns auch zurechthelfen, wenn wir bis heute gelebt haben, als gäbe es ihn nicht! Der Tod ist und bleibt ein Skandal - wir mögen ihn abtun, vergessen, verdrängen oder abwehren wollen. Er wird uns einmal nahekommen und uns angreifen. Dann wird nicht mehr der Tod eines anderen Menschen zwischen uns und ihm stehen, dann wird es nicht mehr das Sterben eines Angehörigen sein, dann wird es unser eigenes sein! Liebe Gemeinde, noch eines bin ich ihnen jetzt schuldig, und ich sage es nicht, um dem Tod oder dieser Predigt nun doch noch die Härte zu nehmen, weiß Gott nicht! Aber eine Predigt am Totensonntag wäre nicht vollständig ohne diesen Gedanken: Jesus, der uns diese Geschichte vom untreuen Knecht erzählt hat, hat sich selbst von solchen Knechten umbringen lassen. Er hat die unbarmherzige Härte des Todes am eigenen Leibe gespürt. Ihn aber - so ist es unser Glaube seit Ostern - hat Gott nicht im Tod gelassen. Er hat ihn auferweckt, wie er uns auch einmal auferwecken will. Und dies ist das einzige, das gegen den Tod hilft: Das Vertrauen zu diesem Jesus Christus! - Vergessen können wir den Tod nicht, solange wir leben. Aus eigener Kraft besiegen werden wir ihn auch nicht. Verdrängen müssen wir ihn nicht - einer hat ja die Macht, uns hindurchzuführen. Beginnen wird unser neues Verhältnis zum Tod, wenn wir uns wie der „untreue Knecht“ oder die „untreue Magd“ fragen lassen: Was wäre, wenn der Herr in eben dieser Stunde käme? Und weiter ginge es, wenn wir dann nicht sagen würden: Er kommt ja doch noch nicht! Und noch einen Schritt weiter kämen wir voran, wenn wir nach Kräften abtun, was dem Herrn, der da kommt, nicht gefallen kann. Und schließlich dürften wir uns von ganzem Herzen darauf verlassen, dass der Herr gütig ist und für unsere bereute Schuld ans Kreuz gegangen ist. Er wird uns durch den Tod hindurchführen! - Liebe Gemeinde, gern hätte ich Ihnen zu einer Antwort auf die Fragen geholfen, die Sie wahrscheinlich heute mit hierher gebracht haben. Mit der Botschaft der Verse, die uns für heute zu hören bestimmt sind, konnte und durfte ich es aber nicht. Vielleicht aber hat Gott Ihnen heute eine Antwort auf eine Frage gegeben, die viel tiefer geht und die sie lange nicht oder noch nie gestellt haben??? Wir werden alle unseren eigenen Tod sterben müssen! Der Glaube an Jesus Christus allein kann uns durch den Tod ins Leben führen. AMEN