Predigt am 16. Sonntag nach Trinitatis - 1.10.2017 Textlesung: Klgl. 3,22-26.31.32 Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Denn der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. Liebe Gemeinde, mindestens an einer Stelle waren Sie - wie ich auch! - mit diesen Worten nicht einverstanden! Das ist doch kein „köstlich Ding“, wenn man sich gedulden muss, wenn Gottes Hilfe auf sich warten lässt, ja, wenn man sich ganz und gar verlassen fühlt und niemand mehr sich für einen zu interessieren scheint! Aber warum stehen diese Worte hier? Wie kommt ein Mensch dazu, so etwas zu schreiben? Und wir haben gar keinen Grund zu denken, dass er es nicht wirklich so meint, wie es hier steht: „...ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen...“ Mich hat das nicht losgelassen! Ich wollte herausfinden, warum man solche Gedanken haben und äußern kann. Dabei habe ich zuerst gefragt, was das wohl für ein Mensch ist, der so etwas sagt? Was wissen wir von ihm? „Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende...“ Dieser Mensch scheint Schuld auf sich geladen zu haben, jedenfalls gäbe es wohl Gründe, dass Gott ihn bestraft oder ihm gar den Tod schickt. Vielleicht hat er Gott erzürnt oder einem Mitmenschen etwas angetan, so dass der Grund gehabt hat, ihn zu hassen? Jedenfalls scheint dieser Mensch erlebt zu haben, dass Gott ihm dennoch barmherzig ist, ihm das Leben schenkt, wo er es eigentlich verspielt hatte. „...sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Ich höre da, wie dieser Mensch staunt! Trotz allem, was gegen mich spricht, hält Gott zu mir. Er schenkt mir immer wieder einen neuen Tag und einen neuen Anfang. Auch wenn ich nicht treu war, so bleibt Gott doch treu! „Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.“ Dieser Mensch hat erfahren, dass Gott ihn nicht fallen lässt. Er hat in Gott den Grund seiner Hoffnung gefunden. Er zweifelt nicht daran, dass dieser Gott ihn rettet, ihn herausreißt, ihm hindurchhilft... Da mag es bis dahin auch ein wenig dauern! Er weiß es: „...der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt...der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“ Liebe Gemeinde, ich glaube, darum kann dieser Mensch so sprechen: „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen...“ Wenn einer so viel Gutes von Gott erfahren hat, das er doch nicht erwarten konnte, dann ist es vielleicht ja ein Kleines, ein wenig Geduld aufzubringen, Gott ein bisschen Zeit zu geben, bis er meint, der Tag wäre gekommen, mir zu helfen! Und selbst, dass es „köstlich“ ist, zu warten, zu hoffen, erklärt sich so vielleicht... Wenn einer doch ganz genau weiß, Gott wird ihm am Ende zu Hilfe kommen! Was sind denn da ein paar Tage, ein paar Monate oder auch Jahre? Die Vorfreude kann mir keiner nehmen! Und von ihr sagt man ja, sie sei „süß“... Warum sollen wir sie nicht „köstlich“ nennen? Zugegeben, das bleibt uns alles ein wenig fremd. Das hat nichts mit unserem Leben und unseren Erfahrungen zu tun. - Oder doch? Wir sprechen im Allgemeinen nicht gern darüber, darum will ich zuerst von mir reden: Es gab in meinem Leben Zeiten, da war ich so, dass es Gott sicher nicht gefallen hat. Da habe ich an seinem Wort, seinem Gebot und Willen vorbeigelebt, seine Aufgaben an den Menschen nicht gehört und gesehen und bin an dem vorbeigegangen, was er mir doch so ganz deutlich an den Weg gelegt hatte. Da habe ich Schuld auf mich geladen. Ich habe doch gewusst, was Gott von mir wollte - aber ich habe ihm nicht gehorcht! Ich habe die Hilferufe meiner Mitmenschen gehört, aber ich bin nicht hingegangen, dass ich wirklich etwas für sie getan hätte. Das war Schuld! Da hatte ich Strafe verdient. Wir sind ja nicht nur zum Kreisen um uns selbst und einem Leben in Kurzweil und Zerstreuung bestimmt. Wenn wir Gott unseren Vater nennen, dann kennen wir auch unseren Auftrag an unseren Geschwistern! Und es ist durchaus nicht so, dass mein Leben sich irgendwann so ganz und gar zum Guten gewandelt hätte! An jedem Abend neu muss ich doch bekennen, dass ich wieder viel versäumt, viel Zeit vertan und meine Kraft und meine Wünsche an Dinge gehängt habe, die niemandem - oft nicht einmal mir selbst - gedient haben! Darum kann ich das nachfühlen und nachsprechen: „Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Liebe Schwestern, liebe Brüder, wenn Sie das jetzt so hören, spricht das nicht auch Ihnen aus dem Herzen? Und geht unser aller Erfahrung eben nicht so weiter: „Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt...“? Haben wir das denn verdient? Müssen wir nicht auch staunen, dass Gott uns immer wieder einen neuen Morgen schenkt, einen neuen Tag, an dem wir wieder anfangen und es besser machen können? Jetzt, da ich darüber rede und nachdenke, spüre ich: Uns ist etwas abhandengekommen in dieser Zeit! Wir können uns nicht mehr so wundern, nicht mehr so staunen, wie es die Menschen der Bibel noch konnten: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel!“ - „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ - „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.“ Uns ist so manches selbstverständlich geworden. Wir meinen, wir hätten Gottes Güte verdient. Wir denken, er müsse sich uns doch zuwenden, uns hören und helfen. Unser Gedächtnis ist kurz! Wem steht vor Augen, wie er früher einmal war, was er getan und wie er gedacht hat, ja, wer erinnert sich auch nur an das, was er vor Tagen versäumt oder erst gestern auf sich geladen hat? Kein Mensch - und Gott schon gar nicht! - will, dass wir immer zerknirscht und mit gesenktem Kopf herumlaufen. Gewiss hat Gott uns in Jesus Christus alle Schuld unseres Lebens vergeben. Aber so ein wenig von dem, was die Alten Ehrfurcht genannt haben, stünde uns doch wohl an! Ein bisschen Staunen, etwas Verwunderung darüber, wie gütig Gott ist, wäre gewiss kein Verlust. Im Gegenteil. Ich meine, das täte uns und anderen gut! Wer sieht, wie groß Gottes Barmherzigkeit über ihm ist, der gewinnt viel Freude und den Mut, nun auch dankbar davon an die Mitmenschen weiterzuschenken! Wenn ich darüber staunen kann, wie freundlich Gott zu mir ist, dann werde ich auch anderen Gründe zum Staunen geben! Aber Staunen und Wundern führen auch zur Hoffnung und können unsere Zuversicht stärken! Wenn mir unerwartet immer wieder von Gott geholfen wird, wenn ich immer wieder erleichtert sein kann, weil er mir vergibt, wenn ich seine Führung über meinem Leben nicht als verdient und darum selbstverständlich achte, dann werde ich auch mit Hoffnung und Zuversicht erfüllt: Gewiss wird sich Gott auch in Zukunft immer wieder als Helfer und Retter erweisen, wie er das schon so oft in meinem Leben getan hat! Mit solchen Gedanken im Kopf und solchen Gefühlen im Herzen, sind wir nun doch gar nicht mehr so weit von solchen Worten entfernt: „Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.“ Wo wir so reich beschenkt sind, da wollen wir wenigstens Geduld haben und dabei schon die „süße“ Vorfreude empfinden: Gott wird uns nicht fallen lassen, „er hilft, wie er geholfen“! (EG 329,3) Der große Gott will mit uns zu tun haben, trotz aller Schuld, trotz unserer oft auflehnenden Art, trotz aller Selbstverständlichkeit, mit der wir sein Erbarmen hinnehmen. - Womit haben wir das nur verdient!? Ich wünsche uns, dass wir darüber neu ins Staunen geraten, dass wir dankbar werden und dessen immer gewisser: „Der HERR verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“ AMEN