Predigt zum 2. So. n. Epiphanias - 15.1.2017 Textlesung: 2. Mos. 33, 17 - 23 Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen. Liebe Gemeinde! Ich weiß nicht, ob diese uralte Geschichte so ganz von selbst mit ihnen redet. Ich habe erst einmal eine ganze Weile davor gesessen - mit etwa folgenden Gedanken: Wieder einmal etwas aus dem Alten Testament, eigentlich schön, aber was sagt mir das, und was soll ich dazu weitersagen? Gibt das irgendwie Trost und Hilfe für heutige Menschen? Dann fiel mir's wie Schuppen von den Augen: Das hat doch haargenau mit den Fragen so vieler Menschen unserer Tage zu tun - und es sind viele Christen darunter - warum wir oft ein so schweres Geschick tragen müssen? Warum Gott auch die Besten nicht vor Leid bewahrt - und vielleicht gerade die nicht. Das lesen wir freilich nicht an der Oberfläche dieser Verse. Da müssen wir schon ein wenig in die Tiefe dringen: Mose will Gottes Angesicht sehen, seine Herrlichkeit. Doch er verlangt mehr, als Gott irgendeinem Menschen gewähren will. Und Gott verwehrt es ihm: „Keiner darf mein Gesicht sehen, er müsste sonst sterben!“ Doch das erlaubt Gott dem Mose: Er darf ihm nachschauen und während die Herrlichkeit Gottes vorbeigeht, stellt er ihn in die Enge zwischen zwei Felsen und hält schützend die Hand über Mose - und dann darf er ihm nachsehen. Für mich ist das zum Bild geworden für uns und unsere Fragen: Warum...? - Du willst von Gott wissen: Warum leide ich, warum hast du ihn mir genommen, weshalb diese Krankheit, dieses lebenslange Gebrechen, warum dieses harte Schicksal... Du willst Gottes Gesicht sehen! Du willst ihn erkennen, seine Pläne begreifen, sein Tun an dir und deinem Leben verstehen. Du forderst mehr, als Gott irgendeinem Menschen gestatten kann. Gott verweigert's dir: Keiner darf sein Gesicht sehen, niemanden weiht er ein in seine Pläne: Zu hoch, ja, gefährlich für dich und mich - wir müssten sterben! Aber das ist uns erlaubt: Wir dürfen ihm nachschauen, und dass wir nicht vergehen, während er an uns vorüberzieht, stellt er uns in die Enge, hält über uns schützend die Hand. Es wird eine Weile dunkel, aber es ist seine Hand, die das macht - und hernach werden wir schauen: Seine Herrlichkeit! Und wir werden begreifen erkennen, verstehen... Aber erst, wenn er vorbeiging - sein Angesicht kann niemand schauen. Ist das immer noch zu sehr in Rätseln gesprochen? - Ich will von zwei Frauen erzählen, die eine lebt längst nicht mehr. Sie war Jahrgang 1918. Sie war in einer Bauernfamilie im Osten groß geworden. Sie war in Stellung gewesen, hatte geheiratet. Aber bald kam der Krieg und der Mann fiel irgendwo im Westen. Vom 11. Dezember 1943 wusste sie bis zu ihrem Lebensende noch alle Einzelheiten. Sie wusste, wie sie in den Briefkasten schaute, als sie die Treppe hinunterging um einzukaufen. Sie erinnerte sich daran, wie sie die Milchkanne und die Einkaufstasche auf die Erde stellte und den Brief mit zitternden Händen herausnahm, öffnete und las. Auch den Text wusste sie immer auswendig: „Wir müssen ihnen leider mitteilen...“, und er schloss mit: „Ihr Mann...gefallen...für Volk und Vaterland.“ Sie wusste noch, wie sie die Treppe wieder hinaufging, wie sie die Wohnungstür aufschloss, sich setzte, den Brief noch einmal las und wie ihr endlich die Tränen kamen. Die andere Frau ist 1945 geboren. Sie war in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen, war Näherin geworden, hatte geheiratet. Das erste Kind, Bärbel, starb an Lungenentzündung mit sieben Jahren. Auch davon weiß sie noch alle Einzelheiten. Am 1. Weihnachtstag fing alles an, da hustete die Kleine. Die Mutter hat ihr Hustensaft gegeben. Sie hat Fieber gemessen. Weil das Kind nicht schlafen konnte, hat sie dann den Arzt geholt. Sie weiß noch, wie oft sie nachts aufgestanden ist, wie ihr Herz klopfte, wie das Kind sie ansah und wie es dann starb. - Das zweite Kind, ein Junge, wuchs dann allein auf. Der Mann ist früh bei einem Arbeitsunfall gestorben. Mit einer kleinen Witwenrente und ihrer Näherei hielt sie sich und den Jungen über Wasser. Der Sohn ist lange schon verheiratet, hat eine eigene Familie, lebt weit weg und sie ist allein. Zwei scheinbar austauschbare Lebensläufe, wie sie viele Frauen erlebt haben könnten. Harte Schicksale, sie haben geweint und geschrien, gehadert und gezweifelt damals, und sie haben gefragt: warum...und wieder und wieder: Gott, warum, warum? Aber er stellte sie in die Enge, dorthin wo der Atem schwer geht und die Angst gedeiht und die Furcht uns das Herz abschnürt...und es wurde dunkel über ihnen, stockfinster um sie her und nicht der kleinste Hoffnungsschimmer brach da herein. Die Schicksalsschläge, die sie trafen, sind lange vorbei. Aber wie sehen die beiden selbst ihr Leben, wenn sie zurückblicken? - Fragen wir sie! Die eine, die ältere, können wir nicht mehr fragen. Aber ich könnte mir denken, dass sie so geantwortet hätte: „Ich habe oft darüber nachgedacht. Aber ich wollte eigentlich nichts missen, nichts! Sicher hätte ich gern Kinder gehabt, aber - wie ich heute weiß - wären sie ohne ihren Vater aufgewachsen. Darum war es vielleicht ja gut so, wie es war. Lange Zeit habe ich mir gewünscht, dass mein Mann wiedergekommen wäre, damals. Aber jetzt würde ich sagen, ich bin dadurch selbständig geworden. Ich habe damals, wenn auch mühsam, gelernt, mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Ich wäre später wohl ein anderer Mensch gewesen, wenn ich das damals nicht gelernt hätte. Vielleicht wäre ich nicht so gut mit dem Alter zurechtgekommen, wie ich es es aber konnte? Und was meinen Mann angeht, ich habe ihn geliebt, o ja, aber ich weiß, er fiel damals nicht ins Nichts, als er starb, und ich weiß, wir werden uns wiedersehen.“ Lassen wir jetzt die andere sprechen: „Ich habe mir manchmal gewünscht, dass die Dinge anders verlaufen wären. Aber etwas davon streichen? Nein! Ich bin sehr verzweifelt gewesen, als das Kind starb. Aber als ich dann auch noch so früh von meinem Mann Abschied nehmen musste, dachte ich: Die Bärbel hat es gut! Wer weiß, was mit ihr geschehen wäre ohne Vater? Manchmal glaube ich, Gott hat meine Kleine wohl sehr lieb gehabt...und ich habe ja auch viel Freude an dem Kind haben dürfen...sieben Jahre lang. Die beiden Frauen haben Gott erfahren. Er hat sie hart geschlagen. Es war sein Wille so. Und sie wollten sein Angesicht sehen, wollten ihn erkennen, wollten wissen warum? Aber kein Mensch darf ihn sehen. Er hat sie in die Enge gestellt, in Angst und Zweifel geführt...aber er hat auch da noch schützend seine Hand über sie gehalten, bis er vorbei war. Und sie durften ihm hinterhersehen. Später, viel später durften sie schauen, ahnen, erkennen, begreifen...warum... - Schwierige Gedanken. Wie geht es uns damit? „Ich weiß nun warum, ich sehe einen Sinn, selbst in diesem Leid, auch in dieser Krankheit, sogar nach diesem Abschied...diesem furchtbaren Schmerz...“ So kann man wohl immer erst hinterher sagen. Hinterher kann es auch geschehen, dass in dem, was vorher dunkel und unverständlich schien, Gottes Antlitz aufleuchtet. Glaube an Gott, Vertrauen zu ihm, gehören wohl immer dazu! Dann aber kann es hinterher sein, dass wir erkennen: Auch die schlimmen Erfahrungen, die wir gemacht haben, machen mussten, kamen von Gott. Sie formten erst das, was wir heute sind. Wir haben unsere besondere, unverwechselbare Persönlichkeit durch sie gewonnen. Hinterher können wir vielleicht erkennen, dass in dem Geschehen, das wir Schicksal nennen, nicht irgendeine unpersönliche Macht am Werke ist, sondern dass daraus Gottes Barmherzigkeit, seine Liebe und seine Treue wie ein Licht aus dem Dunkel hervorstrahlen können. Gottes Pläne erkennt keiner. Niemand kann sein Angesicht sehen. Aber wenn es dunkel wird in unserem Leben, so ist das allemal seine Hand, die er schützend über uns hält, bis er vorbei ist. Dann dürfen wir ihm hinterhersehen. Hinterher werden wir schauen, Sinn finden und begreifen. Hinterher! Wir wollen uns daran erinnern, wenn wir in unserem Leben fragen müssen: Warum? AMEN