Predigt am 27.11.2016 - 1. Sonntag im Advent Liebe Gemeinde! Mir geht das jedes Mal am 1. Advent, also zum Anfang des Kirchenjahres, wieder so: Ich empfinde sehr stark, dass wir an diesem Tag eine Schwelle überschreiten und etwas Neues beginnt. Das ist für Predigerinnen und Prediger der Frohen Botschaft sicher ein wenig anders als bei Ihnen. Für mich gibt es mehr Zeichen dafür, dass die Kirche sozusagen ihr „Neujahr“ schon im Advent feiert. Ich fange z.B. in dem dicken Buch, in dem die Predigttexte für jeden Sonntag stehen, wieder ganz vorn an. Auch in dem Heft, das uns Vorschläge zu den Liedern der Sonntage macht, geht es wieder von vorn los. Und schließlich - aber wenigstens das merken Sie ja genauso - sind heute wieder besonders die Lieder von den ersten Seiten unseres Gesangbuchs dran. Gewiss, das sind alles bis jetzt noch sehr äußerliche Dinge. Aber ich glaube schon, dass sie auch innerlich spüren, dass der 1. Advent ein Neubeginn ist: Denken wir an die Lichter an den Adventskränzen, die ja auch unseren Herzen vermitteln, dass es in dieser Zeit auf Weihnachten hin, immer heller wird und dass heute mit der ersten Kerze etwas anfängt. Oder denken wir an die Atmosphäre, die Stimmung in diesen Adventswochen: Da hat sich in unseren Familien, unseren Dörfern und Städten, ja, in unserer ganzen Wohlstandsgesellschaft bei allem Kitsch und Flitter, bei allem künstlichen Glanz von Stanniolpapier und Lichterketten doch ein Gefühl dafür bewahrt, dass diese Zeit eine „besinnliche“ ist, ja, dass wir uns also auf etwas besinnen wollen und dass wir auf etwas, auf einen warten... Hören wir in diese Gedanken hinein den Predigttext zum 1. Advent. Wir wollen sehen, ob da auch von Anfang und Neubeginn die Rede ist: Textlesung: Jer. 23, 5 - 8 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“. Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, dass man nicht mehr sagen wird: „So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!“, sondern: „So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.“ Und sie sollen in ihrem Lande wohnen. Sprechen diese Zeilen von Neuanfang und Beginn? Wenn wir sie ganz äußerlich betrachten, wenn wir auf sie sehen, wie wir den Flitter und die Lichterketten dieser Adventstage betrachten, tun sie das gewiss: Hier wird dem Volk Israel in der Verbannung der neue, lang ersehnte Anfang in ihrer Heimat angekündigt und versprochen. Wir können das nachempfinden, was das für die verzweifelten, unglücklichen Menschen nach Jahrzehnten der Gefangenschaft bedeutet hat! Aber es spricht uns, wenn wir ehrlich sind, dennoch nicht so recht an, denn unsere Lage ist ganz anders. Und wenn wir ein wenig tiefer schauen? Wenn wir diese Verse als Christen lesen? (- und wir können sie ja gar nicht anders lesen!) Dann werden wir sicher schnell zu ihrer Mitte finden. Und es ist ihre Mitte nicht nur von dem her, was diese Worte bedeuten. Nein, genauso weit vom Anfang wie vom Ende dieser Verse entfernt steht dieses Wort: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“. Liebe Gemeinde, es gibt sicher wenige Gedanken im Alten Testament, die so „christlich“ sind, die so genau der Botschaft und dem Wirken Jesu Christi an und für uns entsprechen, wie dieser: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“. Und dieser Vers ist noch dazu so „evangelisch“, wie es ein Bibelwort nur sein kann. Er sagt uns, was der Kern des „Evangeliums“ ist, der tiefste Grund der guten Nachricht Gottes an seine Menschen: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“. Von der Mitte hören wir also in diesem Vers. Aber spricht er auch von Anfang und Neubeginn? Ich glaube, da sind jetzt wir dran, liebe Gemeinde. Wir sind gefragt, ob wir aus dieser Mitte in diesem Advent unseren Anfang machen wollen. Es wird an uns liegen, ob also aus der „Mitte“ ein „Beginn“ wird: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“. Dazu müssen wir aber erst noch tiefer verstehen, was hier eigentlich behauptet wird! „Der HERR unsere Gerechtigkeit“ - meist stimmt das ja gar nicht! Unsere Gerechtigkeit heißt: Unser Geld, unsere Habe und unser Ansehen bei den Leuten zum Beispiel. Wem ist es denn wirklich genug, Gottes Kind zu sein, von ihm geliebt, durch Christus erlöst, bei Gott einen Namen zu haben und eine ewige Zukunft? Wer weist denn nicht, wenn er gefragt wird, was er denn darstellt in dieser Welt, zuerst auf sein Einkommen, dann vielleicht auf sein Sparkonto, was er sich für ein Haus hingestellt hat, was er sich leisten kann und wieviel er für seine Familie, seinen Verein oder die Gemeinschaft tut? Gut, werden jetzt einige sagen: Das sind doch nur Zugeständnisse an die Welt! Wir müssen uns schließlich auch in ihr engagieren, behaupten, unsere Brötchen verdienen und uns und unsere Lieben durchs Leben bringen. Geistlich sieht das doch ganz anders aus! Als Christen bauen wir unser Lebenshaus schon auf diesen festen Grund: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“ - Ach, ja? - Woher kommt dann, was Sie und ich doch so häufig hören - und vielleicht auch sagen: „Aber ich bin doch ein so guter Kirchgänger!“ - Soll das etwa verdienstlich sein, wenn ein Christ in das Haus seines Gottes geht, um dort das Wort dessen zu hören, an den er glaubt, der ihn geschaffen, der sein Leben in der Hand hat in dieser und einmal der ewigen Welt? Soll das etwas Besonderes sein, ja, auch nur wert, dass man es erwähnt? - So ist es doch gar nicht gemeint! - Nein? - Wir sagen das halt manchmal so dahin, wie wir vielleicht auch einmal aussprechen, dass wir Humor besitzen oder gern mit Menschen zu tun haben! - Gut! Warum aber, so frage ich mich und Sie, warum hört man, dass wir „gute Kirchgänger“ sind oder vielleicht „gläubige, überzeugte Christen“ so oft in einem solchen Zusammenhang: „Ich bin doch ein so guter Kirchgänger, warum nur schickt mir Gott jetzt dieses Leid?!“ Oder: „Ich glaube doch an Gott, warum musste ich jetzt so krank werden?“ Wird in solchen und ähnlichen Äußerungen nicht doch deutlich, dass wir meinen, unsere Kirchlichkeit, unser Glaube, unsere guten Taten müssten Gott gefallen, ihn beeinflussen, ihn bewegen, uns nun auch Güte zu schenken und böses Schicksal von uns abzuwenden? Haben wir das also wirklich ganz begriffen und ist da Mitte und Grund und heute vielleicht ein Anfang für uns: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“? Aber wir wollen uns das ganz konkret, ganz praktisch fragen lassen: Willst du von heute an davon ausgehen, dass nichts, wirklich gar nichts von dem, was du bist, hast, tust, sagst oder kannst, Gott zu irgendwelchen Zugeständnissen an dich bringen kann oder dazu, dich zu lieben, dir etwas zu schenken oder zu ersparen, dir gnädig zu sein, gütig und dir das ewige Leben zu geben? - Aber dass du diese Frage jetzt nicht falsch verstehst: Gott gesteht dir Leben zu, tausend gute Gaben, er liebt dich, er beschenkt dich und erspart dir manche schwere Stunde...aber nicht um deiner Gerechtigkeit willen, nicht wegen deiner Verdienste, sondern weil Christus für dich alles getan hat, weil er für dich gelitten hat und gestorben ist, und weil das die Gerechtigkeit ist, die ein für alle Mal bei Gott gilt: „Der HERR unsere Gerechtigkeit“! Aber noch konkreter, noch praktischer: Willst du von heute an darauf achten, wie du denkst? Wenn du vergleichst, was dein doch so gottloser Nachbar alles hat und erreicht und wie wenig dagegen du besitzt und fertigbringst im Leben, und dass Gott doch wirklich einmal mehr für dich tun könnte, ja, dass er dir das doch eigentlich schuldig wäre, wo du doch schon so lange für seine Sache eintrittst und doch auch hin und wieder in der Bibel liest und dich bemüht hast, deine Kinder christlich zu erziehen... Und willst du von heute an darauf achten, wie du redest? Wenn du immer wieder das, was dir fehlt oder was du von oben erwartest und dir von Gott wünschst in Zusammenhang damit bringst, wie gottgefällig und christlich deine Tage doch sind, wie gläubig dein Herz und wie fromm deine Gedanken.... Und willst du schließlich von heute an darauf achten, wie du handelst? Wenn dein Tun an den Mitmenschen doch immer wieder und immer mehr davon bestimmt ist, wie viel dabei für dich selbst zurückkommt, was dein Geld und Gut, deinen Einfluss und dein Ansehen fördert... Noch einmal: Gott liebt dich! Jawohl! Gott hat dich geschaffen und dir alles geschenkt, was du bist und hast. Gott will dich in dieser Welt erhalten und tragen. Gott will dich in eine andere Welt hinüberretten. Gott will dich in Ewigkeit in seiner Nähe haben. Jawohl! Aber nicht um deiner Verdienste willen. Und nicht weil ihn dein Denken, Reden oder Handeln so beeindruckt. Seine Liebe, seine Güte und was er an dir tut kommt immer allem zuvor, was du tun, denken oder reden könntest! Jesus Christus ist der Grund für Gottes Liebe zu dir. Er ist die Gerechtigkeit, die einzig vor Gott zählt und sein Herz gewinnt und gewonnen hat - für dich! „Der HERR unsere Gerechtigkeit“! Das ist die Mitte - schon der Worte aus dem Alten Testament, die uns für heute zu hören und zu bedenken verordnet sind. „Der HERR unsere Gerechtigkeit“! Das ist auch Grund und Mitte der Liebe Gottes zu uns und der Antwort darauf, die wir mit unserem Leben geben sollen. „Der HERR unsere Gerechtigkeit“! Das ist schließlich ein Anfang, ein Wort, ein Gedanke, von dem wir ausgehen dürfen und sollen - für das neue Kirchenjahr aber auch für unser ganzes Leben von heute an. AMEN