Predigt am Drittl. So. im Kirchenjahr - 6. Nov. 2016 Liebe Gemeinde! Wie oft mögen Pfarrerinnen und Pfarrer die Worte, die uns heute zur Betrachtung vorgelegt sind, wohl schon an Gräbern gesprochen haben? Wenn wir diese Worte jetzt hören, merken wir auch, dass wir uns langsam dem Ende des Kirchenjahres nähern: Textlesung: Röm. 14, 7 - 9 Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. Ich glaube, wir kennen für unseren Glauben kaum ein wichtigeres Wort, kaum eine entscheidendere Tatsache als diese: Wir leben nicht, um irgendwann einmal - früher oder später - zu sterben und dann ins kalte Nichts zu fallen. Wir gehören Jesus Christus. Er ist für uns gestorben und auferstanden. Er hat uns ein neues Leben bei Gott verheißen und verdient. Und er hat uns - wie er selbst sagt - drüben im neuen Leben schon eine Wohnung bereitet. Aber das ist noch nicht alles! Auch in diesem Leben sind wir schon begleitet von diesem Herrn. „Unser keiner lebt sich selber...“ Wir sind nie allein. Wenn wir die Stunden der Freude durchleben, ist Jesus an unserer Seite. Aber auch in unserem Leid: Er ist ganz nah. Und selbst wenn wir sterben - oder gerade dann! - verlässt er uns nicht: „Unser keiner stirbt sich selber...“ Nun könnte man meinen: Zunächst ist das doch nur eine Behauptung. Das ist doch alles gar nicht überprüfbar! Und wer so spricht oder denkt, hat ja Recht! Und besonders, wenn man die letzte Verheißung hört, stimmt das natürlich: „Unser keiner stirbt sich selber...“ Aber ich widerspreche trotzdem allen, die so denken und reden. Und ich weiß, viele von Ihnen würden auch widersprechen. Warum tun wir das? Weil wir etwas mit diesem Wort in unserem Leben erfahren haben und täglich noch erfahren! Wie habe ich eben gesagt? Wir sind nie allein? Da sind wir uns sicher alle einig, wenn's um die Freude geht. Sie kennen das doch auch: Die Augenblicke des Glücks, wenn wir die Liebe unseres Lebens gefunden haben, wenn uns ein Kind oder Enkel geboren wurde oder wir eine Prüfung bestanden haben und jetzt die Zukunft in strahlendem Licht vor uns liegt. Da möchten wir jubeln und danken - und wir tun's ja auch und wir wenden uns an den, der uns das alles schenkt und wir spüren es ganz genau: Er ist uns dann ganz nah. Ja, das kann ein Gefühl sein, als stünde er neben uns und wir meinen, ja, wir wissen, dass wir ihm alles sagen können: Unseren Dank, wie froh wir sind und wie glücklich. Manchmal geht es uns sogar so, dass wir gar nicht anders können, als unsere Freude aussprechen und ausdrücken...sonst würden wir ja platzen vor Glück! Aber wie ist es in unseren Leidenstagen? - Auch da weiß ich sicher, dass viele von Ihnen bestätigen können, was ich jetzt sage. Haben Sie nicht auch in ihren Krankheitszeiten schon die Hilfe dieses Herrn erlebt? Hat er Sie nicht damals vor der Operation gestärkt? Hat er Ihnen nicht den Mut gegeben, den Sie aus sich selbst nicht haben schöpfen können? Und in Ihrem Leid? Gab es da nicht auch immer wieder die gewisse Zuversicht: Es kommen auch wieder andere Tage; es ist nicht das Letzte, was ich jetzt mitmachen muss! Ja, vielleicht kennen Sie sogar auch das: In den schwersten Stunden, in denen es uns das Herz abdrückt und wir schier verzweifeln wollen, ist doch auch eine leise Ahnung davon da, wofür das wohl alles gut sein könnte. Nennen wir's ein Ahnen von Sinn - auch unseres Leids. Vielleicht verstehen wir dann auch, zu welchem (höheren) Ziel das alles führen soll? Manche von uns kommen hier aber wohl nicht mehr mit. „Das sind doch bloß Worte!“ Die decken sich nicht mit dem, was Sie erfahren haben und erleben mussten. Da will ich jetzt doch noch einen Gedanken hinzufügen, der Sie vielleicht nachdenklich macht: Sie meinen, Sie hätten Gott nicht gespürt, als Sie krank waren oder in Ängsten und nahe am Verzweifeln? Ich frage zurück: Hat Ihnen niemand geholfen in Ihren schweren Tagen? Gab es da nicht Ärzte und Schwestern im Krankenhaus, die mit dem, was sie ausstrahlten, Vertrauen erweckten und eine gewisse Ruhe verbreiteten? Wie ist es denn sonst gekommen, dass Sie doch so gefasst waren und so gewiss: Es wird am Ende gut ausgehen? Und in den Zeiten, als der Zweifel und die Angst nach Ihnen gegriffen hat? Gab es da nicht auch den Nachbarn, der Ihnen im Gespräch einen Weg gewiesen oder ein bisschen von Ihrer Sorge abgenommen und der Hoffnung wieder eine Bahn gemacht hat? Ja, ich glaube fest, es sind immer wieder auch Menschen, in denen sich Gott an unsere Seite stellt, mit uns spricht und uns ganz nah ist. Diese Menschen müssen gar keine frommen Sprüche sagen. Ja, oft sprechen sie überhaupt nicht, legen vielleicht nur ihre Hand auf unsere Hand oder fassen uns an die Schulter oder machen sonst eine ermutigende Geste. Und noch mehr: Es müssen nicht einmal Christen sein, die so an uns handeln, wie es Gott tun würde. Gott kann sich ja aller Menschen bedienen, ganz wie er das will. Und er tut es auch oft genug - vielleicht haben wir nur bisher zu wenig darauf geachtet? Wirklich: „Unser keiner lebt sich selber...“ Das ist wahr. Das werden wir auch, wenn wir nur ein wenig aufmerksam sind - immer wieder spüren und an den Menschen und mit ihren Worten und Taten erfahren. „Christus hat keine Hände, nur unsere Hände, um seine Arbeit heute zu tun...“ So sagt es ein Gedicht aus unseren Tagen. Und es geht weiter: „Er hat keine Füße und keine Lippen und keine Worte...als unsere!“ Das haben wir an und mit den Menschen erlebt. Das werden wir mit ihnen - so Gott will - immer wieder erleben können. Gott ist in den Menschen, die uns begegnen und uns zum Leben helfen. Das ist natürlich auch so, was uns selbst betrifft: Auch unserer Hände will sich Gott bedienen. Auch unserer Lippen und unserer Füße! Denken wir daran, wenn wir das nächste Mal mit einem Menschen zu tun bekommen, der uns braucht und unsere Hilfe nötig hat! Nun steht aber noch eines aus: Wie ist das mit diesem anderen Gedanken: „Unser keiner stirbt sich selber...“ Ich denke, da dürfen wir nun einfach Vertrauen haben: Wenn Gott uns doch im Leben nah ist, in Freude und Leid, im Glück und in den schweren Tagen, warum sollte er uns dann verlassen, wenn wir ihn doch am nötigsten brauchen? Und hören und bedenken wir doch auch das, was uns hier auch noch gesagt wird: „Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden...“ Gott selbst hat sich ja in diesem Jesus von Nazareth auch den Tod nicht erspart. Er kennt ihn also und weiß, wie bitter er ist. Darum wird er uns dann gerade nicht alleinlassen, wenn wir ihn erleiden müssen. Und das steht uns allen bevor. Wie gesagt: Überprüfbar ist das für uns heute noch nicht. Aber „bloß glauben“ müssen wir es auch nicht! Ich weiß, viele von Ihnen haben selbst mit dem Erfahrungen machen können, was ich jetzt noch ansprechen will: Ich habe schon viele (einige?) Menschen auf ihrem Sterbelager gesehen und gehört und wahrgenommen, was sie sagten und womit ich oder andere ihnen Kraft und Trost geben konnten, wenn sie sich für den Abschied rüsteten. Immer wieder gab es dabei auch solche Momente, in denen wir anderen gefühlt haben: Jetzt hat sich ein anderer unserer Lippen bemächtigt. Jetzt führt Gott selbst uns die Hand und gibt uns ein, was wir tun und reden müssen. Und wir durften dann oft genug auch sehen, wie ein sterbender Mensch still wurde und gelöst und bereit... Das sind sehr persönliche Dinge, von denen ich hier rede. Und sie sind sehr zerbrechlich. Aber wahr sind sie auch, dafür stehen ich und gewiss auch andere ein. Unser keiner lebt sich selber - das werden wir und das haben wir schon oft erleben dürfen! Unser keiner stirbt sich selber. Das werden wir erfahren, wenn für uns die Stunde des Abschieds gekommen ist. Wir müssen das Leben nicht fürchten und nicht den Tod. Beide sind in der Hand Gottes und wir auch. AMEN