Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis - 28.8.2016 Textlesung: Röm. 8, 12 - 13.14 - 17 So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben. Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben. Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden. Liebe Gemeinde! In einem Bibelkreis erzählte neulich eine schon ältere Frau vom Pfarrer ihrer Kindheit und Jugend. Der Mann wäre durchdrungen gewesen davon, gegen das zu wettern, was Paulus hier „Fleisch“ nennt. Die Sündhaftigkeit, die Verderbtheit, die Bosheit, der Neid und die Eigensucht der Menschen waren seine bevorzugten Themen. In fast allen Predigten am Sonntag, in den Ansprachen der Beerdigungen, in den Andachten im Frauenabend, selbst bei seinen Besuchen bei Altengeburtstagen und Feiern zur Goldenen Hochzeit..., immer wieder prangerte er das „Fleisch“ an und versuchte so mit heiligem Eifer die Menschen für den „Geist“ zu gewinnen, also zur Nächstenliebe, zum Tun des Guten und dazu, auf Gottes Wort und Willen zu hören. Ich denke, bis hierher können Sie diese Geschichte durchaus gut in unsere Zeit übersetzen. Solche Pfarrer und Pfarrerinnen gibt es auch noch in unseren Tagen. (Ja, vielleicht denkt jetzt sogar der eine oder die andere von Ihnen, ob Sie nicht in Ihrem Leben auch schon einem solchen eifernden Prediger begegnet sind?) - An dieser Stelle aber nimmt die kleine Geschichte eine erstaunliche Wendung. Die Frau im Bibelkreis nämlich erzählt weiter: Die Gemeinde hätte diesen Pfarrer bald deutlich spüren lassen, was sie von seinem ewigen Herumreiten auf der Sünde, der Bosheit, eben dem „Fleisch“ hielt. Bei allen Gelegenheiten, wenn dieser Pfarrer sich zu verkündigen anschickte, hat sie ihn immer, wenn die einschlägigen Begriffe fielen, mit hörbarem Murren unterbrochen! - Wir wollen uns das ein wenig ausmalen: Der Pfarrer spricht von der Schuld des Menschen - die Gemeinde setzt mit einem lauten Gemurre ein. Der Pfarrer sagt: „Ihr seid Sünder vor Gott!“ - Die Gemeinde lässt ihre Unmutslaute hören. Um das einmal in unsere Zeit zu übertragen und es damit ganz deutlich zu machen: Wenn ich jetzt in diesem Gottesdienst die Worte des Paulus wiederhole, „wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben“, dann müssten Sie jetzt in ein heftiges Gemurmel verfallen, solange bis ich irritiert von etwas anderem predige. - Können Sie sich das vorstellen? Liebe Gemeinde, leider ist nicht überliefert, ob der Pfarrer aus der kleinen Geschichte durch seine Gemeinde „kuriert“ worden ist. Ob er wohl aufgehört hat, von der Sünde zu reden? Ob er schulterzuckend dem „Fleisch“ mehr Raum bei den Menschen seiner Gemeinde gegeben und hinfort vielleicht resigniert von Sünde und Verderbnis geschwiegen hat? Wir wissen es nicht. Darum noch einmal zu uns: Wollten wir das? Ganz konkret: Soll ich auch lieber schweigen, wenn uns die biblische Botschaft die Wahrheit zumutet, dass alle Menschen Sünder sind, dass wir dem Fleisch zu viel nachgeben, dass wir oft der Bosheit verfallen, dem Neid zugetan sind und uns nicht von Gottes Geist leiten lassen wollen? - Ich höre jetzt kein Murren? Trauen Sie sich nicht? Sie spüren jetzt und Sie wissen es ja auch längst, worauf ich hinaus will: Nein, er hat davon nicht schweigen dürfen, der Pfarrer aus der Geschichte. Und er hat - hoffentlich - nicht geschwiegen! Wir sind allzumal Sünder. Des Menschen Tun und Trachten ist böse von Jugend an. Wir sind tief verstrickt in das, was Paulus „Fleisch“ nennt. Und trotzdem, hoffentlich hat dieser Pfarrer nicht vergessen, wozu all unser Reden und Predigen über das Fleisch eigentlich dienen muss: Dass wir nämlich im „Geist“ leben sollen, dass wir über die Sünde hinauskommen, dass wir Kinder Gottes werden und bleiben und Gott unser Vater ist. Nur zu wettern wäre zu wenig. Die Schuld, die Sünde, eben das „Fleisch“ kann nur den dunklen Hintergrund abgeben, dass sich das Glück, die Freude und der Segen eines Lebens als Kind und Erbe Gottes nur umso heller und schöner abheben. Hierin muss alle Predigt über das „Fleisch“ münden: „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind. Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“ Nun wird und wurde in unseren Kirchen vielleicht wirklich schon immer viel (zu viel?) von Sünde, Schuld, Bosheit und anderen Verkleidungen des „Fleisches“ gesprochen. Und auch heute haben wir den Gedanken um das „Fleisch“ schon genug Raum in dieser Predigt gegeben. Warum also nicht einmal vom „Geist“ sprechen? Warum nicht einmal Lust und Freude daran machen, die hellen Geistesgaben vor den dunklen Hintergrund des Fleisches zu setzen? „Wir haben keinen knechtischen Geist empfangen.“ - Wir sind keine Sklaven unserer Gewohnheit oder gar einer höheren Bestimmung über uns. Das muss nicht immer und immer so weiter gehen wie bisher in unserem Leben. Oft genug haben wir uns doch schon darüber geärgert: Dass wir uns - wie wir meinen - nicht ändern können. Dass wir dies nicht lassen und jenes nicht endlich beginnen. Dass wir vielleicht immer wieder in unsere Launen verfallen, nicht freundlich sein und den Mitmenschen nicht in Güte und Liebe begegnen können. Vielleicht ärgert uns ja auch unsere Trägheit in geistlichen Dingen, die wir an den Tag legen: Dass wir unsere Sache mit Gott immer wieder auf die lange Bank schieben, von einem Jahr auf das andere vertagen - und das schon so lange. Dass wir nicht im rechten Maß am Leben der Christengemeinde teilnehmen. Dass wir die Dinge des Glaubens, das Beten, Danken und Hören nicht ausreichend üben. Wir haben „einen kindlichen Geist empfangen“, liebe Gemeinde! Noch heute dürfen wir uns beschenken lassen, wie ein Kind die Hände öffnen... Gott wird uns hineinlegen, was wir zu einem neuen Leben brauchen! Wir werden das Glück von Kindern erfahren, die sich nicht fürchten müssen, für die gesorgt ist, die alles, was zum Leben nötig ist, reichlich empfangen. Wir werden die Freude empfinden, die das gibt: Selbst geborgen sein und anderen Geborgenheit schenken. Selbst geliebt zu sein und andere zu lieben. Selbst getrost zu sein und andere zu trösten. Selbst von Güte umgeben zu sein und anderen mit Güte zu begegnen. Alles das schenkt Gott seinen Kindern. Und wir werden zu ihm rufen: „Abba, lieber Vater!“ „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben!“ Nein, wir sind nicht für ein Leben im „Fleisch“ bestimmt. Unser Ende ist nicht der Verfall, der Tod! Kinder sind wir! Der Vater hat uns ein Erbteil vor Augen gestellt, und er wird es uns geben. Und die Freude eines Lebens im „Geist“ gibt uns ja schon einen Vorgeschmack auf das, was einmal unser Erbe sein wird: „Geborgenheit schenken, lieben, Güte und Trost austeilen...“ Wieviel Sinn liegt doch darin! Welches Glück! Da weiß einer, wo seine Mitte ist. Da erfährt eine, dass es sich lohnt, für die Mitmenschen da zu sein. Da hört einer: „Wie gut, dass es dich gibt.“ Da spürt eine: Ich werde gebraucht und ich kann helfen. - Wenn das nun unser „Erbe“ wäre: Dieser Sinn, dieses Glück, diese Freude - nicht nur in diesem Leben, sondern in Ewigkeit, in Gottes herrlicher, neuer Welt, ohne Ende!? Wahrhaftig: „Wir sind dem Fleisch nicht schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben!“ Gott hat uns keinen Geist von Knechten und Mägden gegeben. Wir sollen Kinder sein - und wir können es! Wir sollen Erben sein - und wir sind und werden es! Vielleicht beginnen wir damit, dass wir uns prüfen, wo wir noch dem Geist von Knechten und Mägden anhängen. Vielleicht gehen wir einen Schritt weiter damit, dass wir uns das sagen lassen: Wir sind Kinder Gottes, wir dürfen ihn Vater nennen. Und vielleicht lassen wir uns noch ein Stück weiterhelfen auf dem Weg, dass wir auch das sehen und uns herzlich daran freuen: „Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“ (Liebe Gemeinde, murren Sie ruhig - und wenn es während der Predigt wäre - wenn ich zukünftig zu viel vom Fleisch, von Sündhaftigkeit, Verderbtheit, Bosheit, Neid und Eigensucht spreche und zu wenig vom Geist, von Gottes Liebe, der Geborgenheit bei ihm und dem herrlichen Erbe in seiner Ewigkeit, das er uns versprochen hat!) AMEN