Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis - 7.8.2016 Textlesung: Eph. 2, 4 - 10 Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen. Liebe Gemeinde! Das ging mir nicht anders als Ihnen: Man kann sich diesen Text gar nicht behalten, so schwierig ist er! Barmherzigkeit, tot in Sünden, Reichtum seiner Gnade, Gottes Gabe, gute Werke... Ja, worum geht es denn eigentlich? - Die nähere Beschäftigung mit dem Sonntag zeigt es aber dann doch, was heute Thema sein soll: Die Gnade Gottes. Davon sprechen alle vorgeschlagenen Predigttexte und der Wochenspruch. (Sie erinnern sich: Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.) Denken wir also über „Gnade“ nach. Bei unserem Nachdenken könnte uns der Gedanke helfen, dass wir heute in unserer Kirche meist schon die kleinen Kinder taufen. Ich kann mir gar keine bessere Verdeutlichung der Gnade vorstellen, als so ein Kind und seine Taufe... Warum? Nun, die Taufe ist ja sicher etwas, was sich Säuglinge und Kleinkinder noch nicht erworben und verdient haben können. Aber wir wissen im Glauben von der Taufe, dass sie Gottes Segen bedeutet, die Zusage seiner Hilfe, seine Führung, sein Schutz, seine Begleitung und noch manches mehr. Wie kostbar ist diese unscheinbare Handlung! Und doch kostenlos, geschenkt, eben unverdiente Gabe: Gnade Gottes! Und wenn wir an die Kinder selbst denken: Haben wir unsere Kinder „verdient“, erworben? Sind nicht auch sie reines Geschenk, eine Gabe - ja, wir wollen es einmal aussprechen - eine Gabe, die viele erhalten, die anderen aber vor-enthalten bleibt. Denken wir einmal so...wir tun es viel zu wenig! Bei der Taufe und wenn uns Kinder geschenkt sind, haben wir es ganz deutlich mit Gottes Gnade zu tun. Beides sind Zeichen dafür, dass es in unserem Verhältnis zu Gott nicht um Verdienste und Werke und dergleichen, sondern um Geschenke und um Gnade. - Nun weiß ich, Sie sagen zu diesen Worten um die „Gnade“ alle in Gedanken ihr „Ja“. Ich tu's auch, natürlich. Aber noch heute Nachmittag werden wir uns so benehmen, als hätten wir noch nie etwas von „Gnade“ gehört. Das wird sich vielleicht so anhören: „Wenn du jetzt schön lieb bist, dann gibt es nachher noch ein Eis.“ Oder so: „Hör' mir bloß mit Meiers und ihren momentanen Schwierigkeiten auf und dass wir ihnen helfen müssten; wo haben die denn früher einmal etwas für uns getan?“ Vielleicht auch so, morgen, wenn der Alltag wieder beginnt: „Du bist schön blöd, lässt dich ausnutzen...können die nicht dafür bezahlen, dass du so viel für sie tust?“ Gut, zugegeben, das ist alles sehr schwierig und kompliziert. Da stehen Geschichten dahinter, Erfahrungen - oft auch erlebtes Leid. Ich will jetzt die Hintergründe nicht erforschen, warum so geredet wird. Ich kann es auch gar nicht. Aber das andere einmal wieder ins Gedächtnis rufen, das will ich und das kann ich und das soll ich - als Prediger des Evangeliums, das ja „frohen Botschaft“ heißt. Denn das ist die „frohe Botschaft“, die gute Nachricht um die alles geht und sich alles dreht für uns Christen: „Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben!“ Und ich sag's noch einmal: Aus Gnade - nicht aus Verdienst, nicht weil wir aus uns selbst so liebenswert wären, nicht weil Gott uns irgendetwas schuldet: Allein aus Gnade leben wir, haben wir, sind wir, was wir sind. Hier könnten wir getrost schon einmal „Amen“ sagen. Aber dann wären wir wieder nur so weit, wie wir vorhin schon einmal waren: Wir sagen unser „Ja“ dazu und damit hat es sich... Es hat sich aber nicht damit, dass wir das hier in der Kirche gelten lassen, im religiösen Winkel unseres Lebens - der heute sowieso meist schon klein genug ist! Das soll für alle unsere Stunden und Lebenstage gelten; was sage ich, das gilt oder wir haben von Gott und seiner Sache nichts, aber auch gar nichts verstanden! Wie sagen wir immer, wenn wir taufen: „Geht hin in alle Welt und machet zu Jüngern alle Völker und taufet sie...“ Wenn wir Christen in unserem Leben vor Gott von der Taufe ausgehen sollen, von einem Zeichen der Gnade also, dann darf doch wohl später nicht nach Verdienst, nach Werken und dergleichen „abgerechnet“ werden! Wenn wir unsere Kinder in der Taufe zu Gott bringen, dass er sie beschenkt und segnet, dass er ihnen Führung, Hilfe und Gnade verspricht, dann können wir denselben Kindern doch später nicht beibringen, es käme auf ihre Leistung und ihre Ellenbogen an! Ja, wenn wir selbst - vielleicht heute neu - begriffen haben, dass schon unsere Kinder - für sich - Geschenke, Gaben der Gnade Gottes sind - die andere bitter entbehren müssen! - dann können wir sie doch später nicht nach ihrem „Wert“ oder ihren erworbenen Fähigkeiten beurteilen. (Zumal wir dabei in hohem Maß über uns selbst urteilen - und vielleicht den Stab brechen würden!) Und wie das heute, an diesem (Datum einfügen!), gilt und auch später, solange uns Gott noch Zeit lässt, so gilt es auch hier in der Kirche und draußen, überall wo wir leben und arbeiten, reden, denken und handeln! Laufe ich in meinem Betrieb als Ungetaufter herum? Gebe ich meine Taufe vor dem Fußballspiel in der Garderobe ab? Liebt meine Frau nicht auch (wahrscheinlich gerade!) das, was ich durch die Gnade Gottes bin? - Wie bitte? Was das heißen soll? Ganz einfach das: Es gibt die Trennung nicht, die wir immer so gern machen: hier Welt, da Kirche, Gott und so. Und noch deutlicher: Bleibt für einen Täufling nur Taufkleid und Kerze...und vielleicht der kleine Schreck über das Wasser, das ihm über den Kopf gegossen wird? Ist die Taufe damit schon in der Kirche an ihr Ende gekommen? Wenn ja, dann könnten wir uns das Taufen getrost schenken, nein, besser: sparen. Der Sinn jeder Taufe nämlich ist es, dass wir in der Gnade Gottes anfangen und bleiben, immer und überall, als Schulkind, als Arbeiter, als Hausfrau, in der Fabrik, in der Universität, in der Freizeit, im Leben - und einmal im Sterben. Und, ja, im Gottesdienst am Sonntag auch! Aber das hätte ich jetzt gar nicht sagen müssen: Da lassen wir Gottes Gnade ja gelten, da ist ja ihr Ort und ihre Zeit - aber meist auch nur da! Wir machen immer gern einen feinsäuberlichen Strich. Wir ziehen einen Kreis um die paar Minuten, die wir Gott in unserem Tagesplan einräumen - wenn wir's überhaupt tun. Und wir ziehen einen Strich, einen Kreis um den Altar: Da steht Gottes Stuhl, dort herrscht er - und da mag er gefälligst bleiben! Ist es nicht so? Nein? – Darf ich einmal fragen: Wie oft ging es in ihrem persönlichen Leben in der letzten Woche um Verdienst, um Werke, um Bezahlung, um Scheck und Schein...und wie oft um Gnade, Schenken, Geben, ohne zurückzufordern? Und noch das will ich fragen: Wo alles waren sie in den vergangenen sieben Tagen, wo sie spürten: Hier gilt, was ich leiste, was ich bringe, was ich kann und gelernt habe - und wo war die Atmosphäre, in der es uns leicht ums Herz wurde, wo wir aufatmen konnten, wo einer gefragt hat, wie es uns geht? Und - ja! - wir selbst fordern und verlangen auch von den anderen. Und wir verbreiten auch Beklemmung und Angst, durch uns fühlen sich andere gemessen und bewertet, gefangen und verurteilt. Gewiss: Auch das hat alles seine Hintergründe. Da gibt es manche Zwänge und Geschichten, warum es so gekommen ist und warum auch wir so sind. - Nehmen wir doch heute einfach einmal auf und nach Hause mit: Bei Gott geht es nach Gnade. Schon am Anfang unseres Lebens in der Taufe. Und er will, dass „Gnade“ uns ein ganzes Leben begleitet. Er möchte, dass wir Gnade ausstrahlen und verbreiten, wo immer wir sind. Er will, dass jede Stunde unserer Tage Gnade empfängt und weitergibt. Lang genug haben wir der Leistung und ihren Predigern das Feld überlassen. Oft genug haben wir gefragt: Was bringt das, was springt dabei heraus, was nützt mir das?! Es ist Zeit für die Gnade! Eine Atmosphäre der Freundlichkeit wird von uns ausgehen. Unsere Kinder lernen ein neues Gesetz. Ein Nachbar entdeckt das Lachen. Unser Kollege versteht die Welt nicht mehr, aber er freut sich daran. Unserem Partner wird ein Stein von der Seele fallen... Es ist Zeit für die Gnade! AMEN (Vielleicht 2. Textlesung: Epheser 2, 4 – 10)