Predigt am 10. Sonntag nach Trinitatis - 1.8.2016 Textlesung: Röm. 11, 25 - 32 Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist; und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): „Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.“ Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Denn wie ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen. Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme. Heute ist zwar der „Israelsonntag“, aber sie werden schon verstehen, wenn ich nicht über die Juden, sondern über uns sprechen möchte. Zumal bei diesem Thema: „Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren...“ Ich werde mich doch nicht hierher stellen und über die Verblendung der Juden reden, die Jesus nicht als den Messias erkannt, ihn vielmehr abgelehnt und ans Kreuz gebracht haben. Ich kann doch nicht den „Ungehorsam“ Israels in die Mitte meiner Predigt rücken, nicht ihre „Sünden“ und dass sie sich von ihrem „Erlöser“ abgewandt haben... Was würde denn dabei herauskommen? Sicher genau das, wovon Paulus schreibt: Dass wir uns „selbst für klug halten“ und auf die Juden herabschauen. Aber, ich glaube, dazu haben wir überhaupt keinen Grund! Nein, sehen wir uns an! Blicken wir auf unsere Verstockung. Nehmen wir den Ungehorsam und die Sünde wahr, mit der wir Gottes Gaben und seine Berufung beantworten! Da haben wir alle ausreichend Anlass zum Nachdenken - und ich gewiss Stoff für mehr als eine Predigt! „Verstockung ist einem Teil von uns widerfahren...“ Wahrhaftig! Ich nenne es Verstockung, wenn Menschen immer wieder, ja, immer mehr meinen, sie könnten ihr Leben, ihre Zukunft und ihr Glück machen, es hinge alles nur von ihrem Wollen, ihrem Einsatz und vielleicht ihren Ellenbogen ab. Dabei haben doch auch diese Menschen immer wieder erfahren, dass die wichtigsten, die wesentlichen Dinge des Lebens nicht zu machen sind, uns vielmehr zuwachsen, geschenkt werden. Ich nenne es Verstockung, wenn sie Gottes Güte nicht im Hintergrund ihres Lebens erkennen wollen, wenn sie die Gaben Gottes dann „Glück“ oder „Zufall“ nennen, ihrer eigenen Mühe zurechnen, ihrer Leistung, ihrem Geschick oder ihrer Beharrlichkeit. Verstockt ist ihr Herz, das Gottes Liebe und Fürsorge über ihnen nicht sehen will. Verstockt ist ihr Geist, der nicht begreift, dass selbst ihre Kraft, die ihnen geholfen hat, den Erfolg zu erreichen, von Gott herkam. Verstockt ist schließlich ihr Mund, der nicht loben und danken kann, verstockt selbst ihre Hände, die dann nicht weitergeben, was ihnen doch ganz unverdient zugefallen ist. „Verstockung ist einem Teil von uns widerfahren...“ Und es ist für mich Verstockung, wenn immer wieder die Menschen, die in angstvollen Stunden von Gott in Gefahr bewahrt und vor Unglück behütet worden sind, so schnell vergessen oder abtun, was sie doch in diesen Stunden spürbar erfahren haben. Und es ist gewiss Verstockung wenn jenen, die bei einem Unfall wunderbar am Leben und bei unversehrter Gesundheit geblieben sind, das nicht einmal ein Gebet, einen Kirchgang oder ein Opfer wert ist. (Wie oft habe ich das schon gehört: „Bei diesem Unfall, da hat Gott seine Hand im Spiel gehabt!“ Oder: „Wenn ich diese Operation überstehe, dann wird alles anders, ich will mein Leben ändern!“ Oder auch: „Ich bin meinem Herrgott ja so dankbar, dass alles gut ausging, was erst so schlimm aussah!“ - Nur - und nicht oft, sondern meist! - blieb es bei diesen Bekundungen der Lippen - die ja nichts kosten!) „Verstockung ist einem Teil von uns widerfahren...“ Verstockung ist wohl auch das: Der falsche Glaube, der heute überall Platz greift, man könnte nur für sich leben, man brauchte die Gemeinschaft und die Gemeinde nicht, man könnte sich schließlich selbst helfen. Ja, manche erklären es gar für einen Makel und ein Zeichen von Schwäche, wenn Menschen den Gottesdienst ihrer Kirche oder einen Kreis ihrer Gemeinde aufsuchen, um sich dort stärken und das Wort der Vergebung sagen zu lassen. Und es sind für mich besonders verstockte Menschen, die von unserem Abendmahl und denen, die es gern genießen, sagen: „Die müssen es ja nötig haben! Ich brauche das nicht!“ Und ich kann schließlich nur von Verstockung reden, wenn den Menschen unserer Tage alles selbstverständlich ist, was wir haben, wie wir leben können, unser doch überwiegend gutes Geschick, der Wohlstand, unser Luxus und der Lebensstandard. Und diese Verstockung bezieht die anderen Menschen gleich mit ein: Selbstverständlich, dass meine Frau jeden Morgen als Erste aufsteht und das Frühstück macht, obwohl ihr Arbeitstag doch viel später beginnt. Selbstverständlich, was mein Vater, meine Mutter bis heute für mich tun, obgleich ich doch längst erwachsen bin und es eigentlich selbst tun müsste. Selbstverständlich, dass der Nachbar immer da ist, wenn ich etwas von ihm brauche. Selbstverständlich, dass sich der Kollege, die Kollegin neulich so für mich eingesetzt hat. Selbstverständlich, dass mein Freund, die Freundin seit meiner Kindheit die Beziehung zu mir hält - manchmal bin ich doch ganz schön launisch und alles andere als liebenswert. „Verstockung ist einem Teil von uns widerfahren...“ Einem Teil von uns? Wie kommen wir heraus aus der Verblendung? Was schreibt Paulus? „Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob.“ Da denken wir wieder zuerst an die Juden und ihre Verstockung. Aber wie steht es damit: „Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde...damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen...denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“ Damit können wir schon mehr anfangen: Gott schließt einen Bund mit uns verstockten Leuten, er nimmt die Sünde weg, er ist barmherzig mit uns und erbarmt sich über unserem Ungehorsam und unserer verkehrten Art. So könnten wir herauskommen! Da ist der neue Anfang für uns! Ein „Bund“ Gottes...er streckt uns die Hand hin, wir müssen nur einschlagen, dann ist vergeben, vergessen, was war, dann können wir neu beginnen, anders werden und so, wie wir vielleicht schon lange sein wollen... Endlich sehen und sagen: Nichts an meinem Leben habe ich letztlich selbst gemacht. Alles kam von Gott her, von seiner Güte, von den Gaben, mit denen er mich ausgestattet, den Eltern, der Erziehung, dem Ort im Leben, an den er mich gestellt hat. „Glück“ oder „Zufall“ hat es nicht gegeben und gibt es ja überhaupt nicht. Gottes Barmherzigkeit, sein Schenken ist alles. Und wenn ich das nun sehe und bekenne - vielleicht lerne ich auch das Loben und das Danken? Endlich wahrnehmen und aussprechen: Wie oft mir mein Gott schon geholfen hat, wie viele Bewahrungen in Angst und Schutz in Gefahr ich schon erlebt habe. Wie oft gut ausging, was nach meiner Erwartung nur böse enden konnte. Und dann halten, was ich zum Dank oder auch als Opfer zu tun versprochen habe. Und wo ich in der Vergangenheit schnell und leichtfertig über mein Versprechen hinweggegangen bin, kann ich es heute nachholen - es ist ja, Gott sei Dank, noch nicht zu spät! Endlich erkennen und ausprobieren: Wie viel ich doch der Gemeinschaft um mich her verdanke! Dass ich nur bin, was ich bin, weil Menschen mich liebhatten und -haben, für mich da waren und da sind, mir gedient und mich umsorgt haben und das noch tun. Auch was uns von unserer Kirche geschenkt wurde, war bei keinem so wenig! Schon einmal: Getauft zu sein...auch wenn ich das vielleicht ja gar nicht mehr lebe...aber zurückkehren können, jederzeit, anfangen können dabei: Ich bin getauft! Ich gehöre zu Gott! Gott liebt mich und will mich in Ewigkeit behalten. Und bei denen, die näher bei der Kirche sind: Ist das nicht schön und des Dankes wert, wie oft uns schon ein Trost erreicht hat, wenn wir uns hier versammelt haben, um Abschied zu nehmen? Wie viel Kraft und neuer Mut von einem Lied ausging, das wir hier gesungen oder einer Predigt, die wir hier gehört haben? Und das Abendmahl...ja, wir haben es gebraucht, weil wir schwach, verängstigt und ohne Hoffnung waren. Aber wir sind hinterher gestärkt vom Tisch Jesu nach Hause gegangen! Und schließlich: Endlich begreifen und staunen, dass nichts selbstverständlich ist, alles auch ganz anders sein könnte...wir aber sind auf dieser Seite des Globus geboren, in einem reichen Land, dürfen von allem genug haben, übergenug. Und was die Menschen für mich tun, ist auch nicht selbstverständlich! Das kostet sie Arbeit, Kraft, Zeit, Mühe, manchmal sehr viel Liebe und Überwindung, wenn es etwa darum geht, mit mir und meinen Launen klarzukommen. Aber sie tun es! Für mich! Weil ich wichtig für sie bin, ihnen an mir liegt, sie mir Freude machen und mir helfen wollen. „Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.“ Wahrhaftig! Wir sind alle auf diese oder jene Weise verstockt. Aber wir können aus der Verstockung herauskommen! Gottes Barmherzigkeit ist es, die uns über uns selbst hinausbringt! Mit unserem Sehen und Wahrnehmen wird es beginnen. Mit unserem Bekennen und dem Willen, neu und anders zu werden, geht es weiter. Gottes Vergebung und sein Erbarmen wird es vollenden. Gott will keine verstockten, in Schuld und Ungehorsam verschlossenen Menschen, sondern erlöste, fröhliche und dankbare Kinder. AMEN