Predigt am 3. Sonntag nach Trinitatis - 12.6.2016 Textlesung: 1.Tim. 1, 12 - 17 Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen. Liebe Gemeinde! Wir Predigerinnen und Prediger und überhaupt alle, die mit der Kirche und der Gemeinde verbunden sind, möchten Sie und alle Menschen gern zur Freude in und an der christlichen Gemeinschaft einladen. Ich persönlich wünschte mir, dass wir aus dem Denken herauskommen, als wäre doch alles selbstverständlich, nicht der Rede oder gar des Dankes wert. Ich wünschte mir, dass immer mehr Menschen sagen oder wenigstens denken: Welche Gnade ist das doch, eine Kirche haben zu dürfen, ein Gemeindehaus, Orte zum Loben, zum Hören, für die Feier und das fröhliche Zusammensein mit anderen. Heute weisen uns die Worte des Paulus, wie ich sie verstehe, in eine ähnliche Richtung, ja noch ein bisschen weiter. Mir drängt sich da sozusagen die Fortsetzung dieser Gedanken und der damit verbundenen Wünsche auf. Ich möchte das so ausdrücken: Heute wünschte ich mir, dass die Menschen denken und sagen: „Welche Gnade ist das doch, sein Leben mit Gott machen zu dürfen!“ Vielleicht können sie das ja nicht gleich mit diesen Zeilen an Timotheus zusammenbringen, die wir gerade gehört haben? Paulus beschreibt hier, wie er aus einem Lästerer und Verfolger Christi zum Apostel, zum Bekenner und Verkündiger geworden ist. Und er kann nur sagen: „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren!“ Und er sagt das gleich zweimal in diesen Versen. Nun gut, meinen wir, Paulus hat ja auch wirklich Grund, die Güte Gottes zu loben. Aber wer von uns hat so etwas erlebt? Wer von uns war ein Frevler und wurde ein Heiliger? Wer von uns hat je Christenblut vergossen und wird später als Märtyrer sterben? Wer erfuhr eine solche Wende um 180 Grad? Wirklich: Der Apostel muss wohl Gottes Barmherzigkeit loben, die ihn aus seinem verkehrten Leben befreit hat, die ihn so zum Guten verwandelt hat! Aber wir? Wie sind wir zu Gott gekommen? Es wird bei jeder und jedem von uns ein wenig anders gewesen sein. Aber doch meist ganz ähnlich: Hat nicht schon als wir ganz klein waren die Mutter oder der Vater abends an unserem Bett gesessen, mit uns gebetet und die kleinen Ereignisse des Tages vor Gott gebracht? Haben wir nicht später Erzieher gefunden, die uns die Geschichten der Bibel erzählt haben, die uns Jesus nahegebracht und uns zu ihm geführt haben? Und haben uns nicht immer wieder Führung in schwerer Zeit und Erfahrungen des Glücks an der Hand dieses Herrn gehalten? - Nun werden wir sagen: Irgendwie ist unser Leben mit Gott doch ziemlich „normal“ verlaufen. Kein geistliches Erdbeben, das bei uns das Unterste zuoberst gekehrt hätte, keine Wandlung vom Saulus zum Paulus, nichts Aufregendes, über das wir wie Paulus staunen müssten und ausrufen möchten: Mir ist Barmherzigkeit widerfahren... Gott sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Sie merken jetzt, wie auch hier alles so selbstverständlich erscheint, wie uns auch die Geschichte unseres Glaubens so wenig bedeutend, ja, so gewöhnlich vorkommt? Aber ich finde, auch hier ziehen wir ein großes „Wunder“ ins Alltägliche herab, so wie schon das Wunder, eine Kirche, eine Gemeinde zu haben. Auch machen wir hier das Wunder klein, glauben zu dürfen, glauben zu können, an der Hand Gottes zu leben! Wenn ich da einmal an so einen „Normal“-Fall denke, wie viele von Ihnen ihn erlebt haben: Kindergottesdienst vielleicht...christliche Werte im Elternhaus...ein Religionsunterricht, der Spaß gemacht hat! Später eine Pfarrerin, ein Pfarrer, der uns als Konfirmanden begeistern konnte. Vielleicht sogar Mitarbeit in der Gemeinde, Freude an der Sache Gottes... Oder es ging auch ganz anders zu, weniger gerade und mit mehr Umwegen. Aber irgendwann sind Sie doch in der Gemeinde angekommen, in der Gemeinschaft uns im Glauben. Und doch ist das keine christliche Laufbahn, wie sie der Apostel durchgangen ist. Unser aller Erfahrungen sind bestimmt weniger sensationell - aber sind sie darum für uns selbst, für uns persönlich weniger staunenswert und weniger Grund, Gott zu danken? Ich will einmal drei ganz andere Schicksale beschreiben, da wird es vielleicht deutlich: Ich denke da an einen Mann... Zum ersten Mal hat er von Gott gehört, da war er schon 30! Jedenfalls hat er da zum ersten Mal gespürt, dieser Gott hat ja mit mir zu tun, mit meinem Leben und Sterben, ich komme von ihm her und gehe zu ihm hin. Der Mann, von dem ich erzähle, lag mit einer schweren Verwundung im Lazarett. Es war Krieg und ein Feldgeistlicher wollte ihm, dem Sterbenden, letzten Trost geben. Noch nie hatte ein Mensch mit ihm über Gott gesprochen, seine Mutter nicht, kein Lehrer und kein Pfarrer. Jetzt, da es ans Sterben ging, wollte einer mit Worten vom Glauben trösten, von einem Glauben, den er nie kennengelernt hatte. Jetzt wollte einer ihn in die Hände des Vaters im Himmel befehlen, den er doch nie erfahren hatte. - Ich weiß nicht, ob es gelungen ist. Ich denke schon, dass unser Gott auch hier noch Wege und Mittel hat, aber ich weiß nicht, ob er sie da noch zeigt und einsetzt. Ich weiß aber, dass ich und die meisten hier sehr dankbar sein können, dass sie von Gott wissen und von seinem Sohn Jesus Christus! Und ich kenne eine junge Frau, die ist sehr fromm erzogen, wie man so sagt. Sie hat allerdings alles, was mit der Sache Gottes zu tun hat, immer nur als Zwang und Enge erlebt. Dass der himmlische Vater fröhliche Kinder liebt, hat ihr keiner je gesagt. Sie erfuhr in ihrer Umgebung immer nur die ernste Seite Gottes. Wollte sie an einem harmlosen Vergnügen teilnehmen, hieß es, das schickt sich nicht. Wollte sie zur Tanzstunde, hörte sie: Ein Christ tanzt nicht. Das schlimmste war: Nach und nach stand sie ganz allein; ihre Freundinnen wandten sich von ihr ab. Eine Zeitlang half sie sich mit dem Denken, ich bin eben ein Gotteskind und die andern sind „aus der Welt“. Auf die Dauer aber hatte das keine Kraft. Heute hat sie mit dem Glauben der Christen ganz gebrochen. Aus der Kirche ist sie ausgetreten. Sie betet auch nicht mehr. Sie kann nicht zu einem Gott beten, so sagt sie, den sie immer nur als bedrohlich, als Gefängniswärter und Spielverderber dargestellt bekam. Neulich fragte sie: Meinen sie, Gott kann auch lachen? Ich habe ja gesagt und ihr ein paar Bibelstellen genannt, die leicht und heiter sind. - Ob ihre Frage der Anfang eines neuen Suchens nach Gott ist? Ob sie ihn finden wird? Ich weiß es nicht, aber ich weiß, dass die meisten von uns Gott sehr dankbar sein können für den Weg, den er uns geführt hat und für die Menschen am Rande unseres Weges! Schließlich ist da noch ein Jugendlicher; so ganz ein Kind dieser Zeit. Die Stimme Gottes dringt einfach nicht durch vor lauter Hi-Fi und Techno, Computer und Smartphone... Seine Eltern bieten ihm rein alles - was man kaufen kann; wozu soll er da einen Gott brauchen? Irgendwie hat ihn die tägliche Jagd nach Vergnügen und Zeitvertreib so stumpf gemacht. Er stellt keine Fragen mehr an die Welt, an das Leben, keine Fragen jedenfalls, die nur Gott beantworten könnte. Er selbst hält sich - wenn er einmal eine Minute des Nachdenkens hat - gewiss für einen Gewinner, bevorzugt vom Glück. Mir tut er leid. Ich halte ihn für einen armen Menschen, für ein Opfer eigentlich liebloser Erziehung. - Wo bei ihm der Anknüpfungspunkt für die Botschaft von Jesus Christus sein soll? Wie er je noch „die Kurve kriegen“ soll? Ich weiß es nicht. Aber ich würde ihm gern helfen und bin von Herzen dankbar, dass mich keiner verführt hat, mein Leben auf Ersatz zu gründen, auf den Sand vergänglichen Krams. Liebe Gemeinde, kennen Sie nicht auch ähnliche Lebensläufe wie die, von denen ich erzählt habe? Und durften Sie nicht auch in Ihrem Leben - Gott sei Dank! - andere Erfahrungen machen? Nimmt sich dagegen Ihr eigener Glaubensweg nicht auch ganz anders aus, dankenswert anders? Ich will ja bestimmt niemanden verleiten, dass er die schlechten Beispiele seiner Umgebung benutzt, um mit Fingern zu zeigen. Aber gebrauchen wir sie ruhig einmal, um unsere Geschichte mit Gott damit zu vergleichen. Bei manchem von uns wird das gewiss Staunen auslösen. Bestimmt nicht nur ich kann dann von „Wunder“ sprechen! Und schließlich - hoffentlich! - erwächst uns aus dem Staunen die Dankbarkeit für alles, was wir von und mit Gott erfahren durften. Dankbarkeit nämlich wird uns zu den Menschen führen, die noch nicht in der guten Beziehung zum Vater im Himmel stehen. Rechtes Danken wird zur Tat, zum Wort und zur Hilfe für diese Menschen werden. Dankbarkeit lässt uns immer neue Wege zu den Menschen gehen, immer neue Ideen entwickeln und immer neue Versuche machen. Dankbare Leute sind gewappnet gegen Hochmut und gegen Gleichgültigkeit. Mir scheint, hier liegt der Grund dafür, dass Paulus uns von seiner radikalen Umkehr berichtet: Dass wir erkennen, wie auch bei uns so viel Wunderbares geschehen ist, für das wir nur danken können. Dass wir erkennen: „Welche Gnade ist es doch, sein Leben mit Gott zu machen!“ Dass wir aus diesem dankbaren Erkennen Worte und Taten der Hilfe für unsere Mitmenschen werden lassen, bis auch sie sprechen können: Ich danke unserem Herrn Jesus Christus, der mich stark gemacht hat und für treu erachtet hat... mir ist Barmherzigkeit widerfahren! Gott sei Ehre und Preis in Ewigkeit. AMEN.