Predigt am 1. Sonnt. nach Trinitatis - 29.5.2016 Textlesung: 1. Jh. 4, 16 - 21 Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. Liebe Gemeinde, Ein Mädchen aus der ersten Schulklasse fragt im Religionsunterricht seinen Lehrer: „Herr Pfarrer, woher weißt du überhaupt, dass es den Gott gibt?“ Dem Pfarrer fällt im ersten Augenblick nichts Besseres ein, als mit einer Gegenfrage zu antworten: „Hat dich deine Mutti lieb?“ - „Na klar“, sagte das Mädchen, ohne auch nur einen Moment zu überlegen. Und der Pfarrer fragt zurück: „Woher weißt du das denn?“ - Da wird das Kind ganz still und nachdenklich. Liebe Gemeinde, ich weiß schon, dass eine Siebenjährige mit diesen, doch ein wenig spitzfindigen Fragen, überfordert war. Ich weiß auch, dass sie wohl nicht wirklich verstanden hat, was ihr Religionslehrer damit gemeint hat. Aber - wie gesagt - etwas Besseres wusste der Pfarrer nicht zu entgegnen. Und ganz ohne Antwort wollte er das Kind auch nicht lassen. Schon gar nicht mochte er sagen, was sicher viele sagen würden: „Das verstehst du noch nicht“ oder gar „Gott ist nur etwas für große, erwachsene Leute!“ Daran jedenfalls musste ich zuerst denken, als ich das gelesen habe: „Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe...“ Einem Erwachsenen kann ich allerdings auch nichts Besseres sagen, wenn er nach Gott fragt und ob es den denn wirklich gäbe, als dies: Woher weißt du denn, dass es die Liebe gibt...bei deiner Frau, deinem Mann, deinen Eltern, deinen Kindern... Denn genau wie niemand Gott beweisen kann, kann auch kein Mensch die Liebe beweisen, die er, dieser Mensch, zu mir oder zu irgendjemand hegt. Und trotzdem würde doch sicher keiner auf den Gedanken kommen, dass es dann eben auch keine Liebe gibt...oder? - Halten wir also fest: Die Liebe können wir nur glauben...oder sagen wir: Wir können nur darauf vertrauen, dass ein Mensch uns wirklich liebt - aber wir werden dann - sozusagen hinterher - auch erkennen, dass es stimmt. So ist es auch mit Gott: Wenn wir ihm mit Glauben, mit Vertrauen entgegenkommen, dann werden wir es erfahren: Gott ist wirklich da. Er liebt uns. Er sorgt für uns. Wir können das erkennen, auch wenn wir ihn nicht sehen! Und da wir nun schon einmal dabei sind und da hier ja auch behauptet wird: Gott ist die Liebe... Bleiben wir noch ein wenig bei diesem Vergleich. Wir werden sehen: Gott und die Liebe haben noch viele Eigenschaften gemeinsam! „Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben...“, heißt es hier. Ist es nicht so, wenn wir wissen, dass uns ein Mensch herzlich liebt, dass wir spüren: Mir kann nichts geschehen. Es kann kein Schicksal drohen, vor dem mir bange sein müsste. Dieser Mensch wird mit mir durch dick und dünn gehen. Er wird meine Hand nicht loslassen. Er bleibt immer bei mir, auch wenn es mir schlecht geht und ich schwach oder krank werde. Gerade so ist Gott! Es gibt keinen Augenblick in meinem Leben, wo er nicht in meiner Nähe wäre, wo ich also allein und verlassen bin. Und es gibt keine Lebenslage, in die ich kommen könnte, in der Gott mich aufgeben, abschreiben würde. Und etwas dabei geht weit über alle menschliche Liebe hinaus: „Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts...“ So geht dieser Vers ja weiter. Gott verlässt uns auch nicht, wenn wir in Schuld fallen. Auch im Gericht, wenn einst die Bilanz unseres Lebens gezogen wird, wird er für uns sprechen...besser: Er wird Jesus Christus für uns sprechen lassen - und sein Urteil wird von der Liebe bestimmt sein und wird heißen: Freispruch! In Ewigkeit frei! „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus...“ So heißt es weiter. Nein, niemals werden wir uns vor einem Menschen fürchten, der uns wirklich liebhat! Nun mag es ja sein, dass in vielen Beziehungen, in denen eigentlich die Liebe regieren sollte, die Furcht regiert und darum die Heimlichkeit. „Sag bloß meiner Frau nichts davon, die braucht das nicht zu wissen!“ - „Wenn mein Vater das erfährt, der schlägt mich tot!“ - „Ich habe Angst, dass mein Mann wieder wochenlang nicht mehr mit mir spricht, wenn ich ihm das sage!“ Solche oder ähnliche Äußerungen haben wir alle schon gehört, vielleicht selbst gesagt? Wo so gesprochen wird, wo solche Furcht, Verstecken und Verdecken herrschen, da ist keine Liebe, zumindest ist das Verhältnis zwischen denen, die sich lieben, geliebt haben, tief gestört. Denn Furcht ist nicht in der Liebe! Und selbst, wo wir eine solche Liebe ohne Furcht unter Menschen nicht kennengelernt haben, nie erleben durften, selbst da sehnen wir uns doch danach: Ja, so müsste das sein zwischen uns! Das würde ich gern sagen können: Ich habe nicht die leiseste Angst vor dir, ich vertraue dir - grenzenlos! Gott ist die Liebe - und in seiner Liebe zu uns hat die Furcht keinen Raum! Seine Liebe ist vollkommen, und vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. „Lasst uns lieben, denn Gott hat uns zuerst geliebt.“ Eine weitere Eigenschaft wahrer Liebe: Sie kommt immer zuvor! Sie hat nicht ihren Grund darin, dass ich so schön oder gut oder liebreizend wäre. Liebe weiß ja oft selbst nicht, warum sie eigentlich liebt, und warum sie sich ausgerechnet diesen Menschen ausgesucht hat. Ein Ehemann lange nach der Silbernen Hochzeit hat mir einmal gestanden: „Sie hat so viele Eigenheiten, die mir ganz und gar nicht passen. Sie hasst, was ich gern habe, sie mag, was ich verabscheue. Überhaupt sind wir in vielem völlig verschieden und es ist ein Rätsel für mich, wie wir schon so lange zusammenleben können. Aber, wissen Sie was, ich liebe sie!“ So ist wahre Liebe: Nicht wegen diesem oder jenem, nicht weil du so oder so bist, nicht als Lohn für deine freundliche Art oder die Liebe, die du zu mir hast... Nein: Ich liebe dich...und weiß nicht warum, könnte keinen Grund angeben, keinen jedenfalls, der vor der Vernunft standhielte. So ist Liebe. So ist Gott...denn Gott hat uns zuerst geliebt! Nicht weil wir so gut wären. Nicht um unseres Glaubens willen. Nicht als Lohn für Tugend, christliches Tun und Leben. Einen Grund allerdings hat Gottes Liebe schon: Er liegt darin, was Jesus Christus für uns getan hat, aber nicht in dem, was wir getan hätten. Und das gilt da ja wohl auch: „Vernünftig“ - in unserem menschlichen Sinn - war Jesu Leiden und Sterben wahrhaftig nicht! Liebe Gemeinde, über allem Vergleichen der Liebe und der Art Gottes wollen wir nicht vergessen, dass uns diese Verse auch über den bloßen Vergleich hinausführen wollen: „Lasst uns lieben...“ heißt es. Und: „...dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.“ Wie ist das, wenn wir die wunderbare, herzliche Liebe eines Menschen erfahren, in der wirklich keine Furcht ist? Werden wir diese Liebe nicht beantworten mit eben solcher herzlichen Liebe? Wie ist das, wenn wir hören und doch auch im Leben immer wieder erkennen, dass Gott uns mit einer solchen Liebe entgegen- und zuvorkommt? Muss uns das wirklich geboten werden, Gott nun auch lieb zu haben? Ist es nicht das Selbstverständlichste von der Welt, dass ich seine Liebe erwidere? Und wie ist das schließlich, wenn ich das mit der Liebe und mit Gott erfahre, und wenn mich, was ich da erfahre doch so glücklich, so erfüllt und zufrieden macht, werde ich nicht - wie von selbst und vielleicht wie einen Dank - auch meinem Mitmenschen solche Erfahrungen schenken? Dass er an mir spüren kann, dass ich Gott liebe, weil ich eben ihn liebhabe? Vielleicht fragt ja das Mädchen im Religionsunterricht demnächst wieder einmal: „Herr Pfarrer, woher weißt du überhaupt, dass es den Gott gibt?“ Vielleicht wird der Pfarrer dann so antworten: „Ich weiß es, weil ich jeden Tag fühle, dass er mich liebhat! Und ich weiß, dass er dich auch liebhat.“ Und vielleicht sagt er dann sogar noch, was Kinder oft viel leichter herausbringen als wir Große: „Und dich habe ich auch lieb! Und ich will mich im Religionsunterricht bemühen, dass du und die anderen Kinder in meiner Schulklasse das auch glauben können! AMEN